Vorsprung durch Wissen
schließen x
Suchbegriff
Rubrik
 Suchen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
12.08.2015 | 11:30 | Selbsthilfe statt Profit 

Gemeinsam stark: Die Genossenschaftsidee lebt

Bad Kreuznach - Gemeinsam schrauben zwei Männer die fehlende Hausnummer an den blauen Putz der Hauswand. Wenn es in einem der beiden blau-roten Häuser in Bad Kreuznach bei Mainz an etwas fehlt, dann packen alle gemeinsam an.

Genossenschaft
Armut, Energiewende, demografischer Wandel: Die Gesellschaft steht vor großen Herausforderungen. Bestehen kann sie, wenn viele Schultern die Last gemeinsam tragen. Diese Genossenschaftsidee aus dem Westerwald soll nun immaterielles Kulturerbe der Unesco werden. (c) proplanta
Die 33 Bewohner sind Nachbarn und gleichzeitig Genossenschaftler. In Zeiten der alternden Gesellschaft wollen sie mit dem Mehrgenerationenprojekt «WohnArt eG» bestehen.

Auch in vielen anderen Lebensbereichen lassen sich Herausforderungen heute in Genossenschaften meistern. Die Idee dahinter hatte vor 160 Jahren Friedrich Wilhelm Raiffeisen im Westerwald in Rheinland-Pfalz. Sein Ideal - Solidarität und Selbsthilfe statt Profit - ist Deutschlands erste Nominierung für die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes. Diese Aufstellung der Unesco enthält etwa Bräuche und Handwerksformen. Sie soll das Bewusstsein für solche kulturellen Ausdrucksformen der Menschheit stärken.

Für fast alles finde sich bei WohnArt ein Experte aus den eigenen Reihen. Jeder solle bereit sein, sich einzubringen, sagt Gründungsmitglied Eva-Maria Knauthe. In Gruppen gestalten sie den Garten, lernen Englisch, schmieden Pläne. Vor knapp einem Jahr bezog Monika Lenger-Kirn eine der 22 Wohnungen. Später, im Alter will sie nicht alleine sein: «Es ist schön, wenn Menschen da sind», sagt die pensionierte Sozialpädagogin.

Nicht immer seien alle einer Meinung, nicht jeder engagiere sich genug, sagt ihre Nachbarin Ursula Kresa. «Hier sind schließlich Fremde zusammengekommen und müssen sich zusammenruckeln.» Doch schon vor der Gründung 2009 sei klar gewesen, dass WohnArt zur Genossenschaft werden solle, berichten die Frauen: Weil alle gemeinsam eine Idee tragen, weil keiner alleine die Kosten trägt. Es gelte: «Einer für alle, alle für einen», sagt Knauthe.

Das hatte Friedrich Wilhelm Raiffeisen Mitte des 19. Jahrhunderts im Sinn. Der Bürgermeister aus dem Westerwald gründete Hilfsvereine für verarmte Bauern auf dem Land, später eine erste Genossenschaft. Chancenlosen Menschen habe er eine Chance gegeben, sagt der Vorstand der Deutschen Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft, Josef Zolk. «Es ging immer darum, Kredite zu vergeben» - wie etwa bei den bis heute verbreiteten Raiffeisenbanken.

Genossenschaften sind nicht in erster Linie auf hohe Gewinne ausgelegt. Wichtiger waren Raiffeisen Solidarität und Hilfe zur Selbsthilfe. Ohne Genossenschaften wäre die Armut größer gewesen, sagt Zolk. Unabhängig von der Einlage habe jeder genau eine Stimme: «Das ist emanzipatorisch über den finanziellen Aspekt hinaus.»

Die Idee ist heute in vielen Lebensbereichen aktuell. Weltweit organisieren sich nach Angaben der Raiffeisen-Gesellschaft mehr als 800 Millionen Menschen in rund 900.000 Genossenschaften. Im hessischen Odenwald etwa schimmern Photovoltaikanlagen der «Energiegenossenschaft Odenwald» auf 80 Dächern. «Die Bürger sind bereit, die Energiewende mitzutragen», sagt Vorstand Thomas Mergenthaler in Erbach. Mit Summen von 100 Euro bis 2.500 Euro beteiligen sich inzwischen 3.000 Mitglieder. «Jeder kann mit kleinem Geld dazu beitragen, dass etwas Großes passiert», sagt Mergenthaler.

«Drop-Out Cinema» aus Mannheim dagegen bringt Filme jenseits des Massengeschmacks auf die Kinoleinwand. Wegen hoher finanzieller Risiken für die Verleiher würden sie sonst durch das Raster fallen, sagt Vorstand Jörg van Bebber. Rund 25 Filmen bescherte Drop-Out seit 2013 einen offiziellen Kinostart. «Die Genossenschaft verteilt das Risiko auf viele Schultern», sagt van Bebber.

Bei WohnArt hat sich für Knauthe der Aufwand gelohnt: «Vor zehn Jahren galten wir als Exoten, jetzt sind wir das Aushängeschild», sagt sie. Doch dem Mehrgenerationenprojekt fehlen bislang Bewohner unter 50 Jahren. Junge Familien seien früh wieder abgesprungen, sagt Knauthe. Als Genossenschaftsanteile tragen die Mitglieder zusammen rund zwei Millionen Euro, die Hälfte der Baukosten. Ein Alleinerziehender könne das nicht leisten. Künftig könne deswegen das Alter der Bewohner zur Herausforderung werden. Gemeinsam wollen sie sich aber auch darauf eine Antwort finden.
zurück
Seite:12
weiter
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Kommentierte Artikel

 Erleichterungen bei GAP-Anträgen und Hanfanbau

 In der Corona-Pandemie wurden zu oft Antibiotika verschrieben

 Jäger sehen dringenden Handlungsbedarf bei Umgang mit Wölfen

 Söder setzt sich gegen Verbrenner-Aus ab 2035 ein

 2023 war Jahr der Wetterextreme in Europa

 Wind- und Freiflächen-Solaranlagen: Niedersachsen führt Abgabe ein

 Keine Reduzierung beim Fleischkonsum durch Aufklärung

 Größter Solarpark von Rheinland-Pfalz eröffnet

 Gipfelerklärung der EU setzt auf Lockerungen für Landwirte

 Grundwasser in Bayern wird weniger