«Wir müssen jetzt prüfen, ob es noch weitere Veränderungen gibt, die ihn so gefährlich machen, die die Ursache sind für seine hohe Virulenz», sagte Mikrobiologe Prof. Helge Karch. Inzwischen ist ein dritter Todesfall bestätigt worden.
Karch leitet das Konsiliarlabor für das hämolytisch-urämische Syndrom (HUS). Dieses ist die schlimmste Form einer EHEC-Infektion, die unter anderem zu Nierenversagen führen kann. In wenigen Tagen solle ein Test für diese Bakterien-Variante zur Verfügung stehen, kündigte Karch am Donnerstag an. Bisher sei es weder in Deutschland noch weltweit zu dokumentierten Ausbrüchen des neuen Typus gekommen.
Drei Menschen starben bislang nachweislich an den Folgen der Infektion: eine 83-Jährige in Niedersachsen und eine 89-Jährige in Schleswig-Holstein. Auch die in der Nacht zum Dienstag in einer Bremer Klinik gestorbene 24-Jährige wurde Opfer des Keims.
Nach Angaben des Robert Koch-Instituts sind derzeit 214 HUS-Fälle bekannt. Am Mittwoch wies die Statistik noch 140 HUS-Fälle aus. Die meisten Patienten gibt es - wie bisher - in Norddeutschland.
Das RKI hatte am Mittwochabend vor dem Verzehr von Salatgurken, Blattsalaten und rohen Tomaten insbesondere in Norddeutschland gewarnt. EHEC-Erkrankte hätten diese Gemüse häufiger verzehrt als gesunde Vergleichspersonen. Ob das Gemüse aber tatsächlich von norddeutschen Bauern stammt, ist unklar. Laut RKI ist auch denkbar, dass die kontaminierten Lebensmittel vorrangig dort vertrieben werden. Für eine mutwillige Verbreitung des Erregers gibt es laut RKI-Direktor Reinhard Burger «keinerlei» Hinweise.
Lothar Beutin vom Bundesinstitut für Risikobewertung (
BfR) geht davon aus, dass die Krankheitswelle durch ein Produkt ausgelöst wurde, das über weite Wege in Deutschland vertrieben wird. «Bei der Ausbreitung der Infektion glaube ich eigentlich nicht, dass das etwas ist, was nur lokal angebaut und auf einem Wochenmarkt verkauft wird», sagte der Mikrobiologe am Donnerstag im RBB-Inforadio.
Man wisse nicht, ob die Lebensmittel in Norddeutschland angebaut werden. Es könne sein, dass die Waren an einem anderen Ort kultiviert und lediglich im Norden verstärkt vertrieben werden. «Es können auch Importwaren sein», so Beutin.
Die deutschen Gemüsehändler befürchten als Folge der EHEC-Warnung massive Einnahmeausfälle. «Die Auswirkungen sind katastrophal», sagte Andreas Brügger, Geschäftsführer des Deutschen Fruchthandelsverbandes (DFHV), der Nachrichtenagentur dpa. Bereits jetzt würden Lebensmittelketten und Kantinen pauschal Ware zurückweisen. «Das ist für unsere Unternehmen ein Totalausfall.»
Die Warnung des RKI hält Brügger für falsch. Es sei «praktisch ausgeschlossen», dass bei Tomaten, Salat oder Gurken die Ursache liege. Dieses Gemüse komme momentan aus dem Treibhaus und «da fährt keiner mit dem Güllewagen durch». Ähnlich äußerte sich der Deutsche
Bauernverband (DBV): Im Freiland könnten zurzeit noch keine Tomaten und Gurken geerntet werden, «schon gar nicht in Norddeutschland». Gurken und Tomaten in Norddeutschland kämen derzeit nur aus dem Anbau unter Glas.
Hamburgs Gesundheitsbehörde sieht rohes Gemüse nicht zwangsläufig als Ursache für die Verbreitung des aggressiven Durchfall-Keims. «Es ist eine Vermutung», kommentierte ein Behördensprecher die Warnung.
In der Kantine des Unikrankenhauses Basel wird derzeit kein Gemüse aus Deutschland verarbeitet - Ursache sind die EHEC-Darmerkrankungen in Deutschland, bestätigte das Krankenhaus entsprechende Medienberichte. Jedes Risiko solle vermieden werden.
Deutschland erlebt laut RKI derzeit den stärksten je registrierten EHEC-Ausbruch. Seit Einführung der Meldepflicht 2001 wurden jährlich zwischen 800 und 1200 Erkrankungen registriert. Derzeit gebe es so viele Erkrankte pro Woche wie sonst in einem Jahr. Das Bakterium sei hochinfektiös, schon 10 bis 100 Keime genügen für eine Ansteckung. Zwei Drittel der Betroffenen seien Frauen.
EHEC-Keime sind eine besonders gefährliche Form des Darmbakteriums Escherichia coli. Seine Gifte führen bei schweren Verläufen zu Blutarmut, Gefäßschäden und schädigen die Nieren.