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17.10.2015 | 08:13 | Weihnachtsstollen 

Stollen: Weihnachtsgebäck kommt in Nordhessen aus dem Stollen

Willingen - Es ist nasskalt, ungemütlich und dunkel, fahles Licht scheint auf Paletten mit großen Plastikhauben, umgeben von massivem Stein.

Stollen
Um Weihnachtsstollen besonders lecker zu machen, wird er in Nordhessen in einem Bergwerksstollen gelagert. Der Stollen im Stollen ist aber nicht nur geschmacklich eine gute Idee, sagt ein Marketing-Experte. (c) proplanta
Wenig weihnachtlich lagert in einer Höhle in einem Bergwerksstollen im nordhessischen Willingen ein besonderes Gebäck: Christstollen. «Nach vier Wochen im Bergwerksstollen hat sich was getan. Während der Lagerung gibt das Produkt keine Feuchtigkeit ab und trocknet nicht aus», erzählt Konditormeister Wolfgang von der Heide.

Seinen «Christinen-Stollen» bringt er bereits seit Jahren zum «Reifen» in den Stollen. «Ich kam auf die Idee, Stollen im Bergwerksstollen einzulagern, weil ein Gärtner dort früher Blumenzwiebeln überwintert und vorgezüchtet hat. Denn meine Oma hat immer gesagt: «Ein guter Stollen muss auch Ostern noch schmecken»», berichtet der 54-Jährige. Die ersten so produzierten Stollen gingen in ein exklusives Kaufhaus in Berlin - das beliefert von der Heide noch immer. Mittlerweile gibt es Stollen zwischen 250 Gramm und vier Kilogramm. «Das beste Produkt ist aber der Kilostollen», betont er. Mittlerweile wurden Geschmacksrichtungen wie Walnuss, Bratapfel oder Schoko eingeführt. Er verschickt Brot, Kuchen und vor allem die Stollen in die ganze Welt.

In der Backstube riecht es nach Rum. Mit einem Sprühgerät werden noch heiße 500-Gramm-Stollen mit einer Schicht Rum überzogen. «Das ist für den Geschmack, der Alkohol verfliegt», sagt von der Heide. Den Stollen beginnt von der Heide bereits noch im Sommer zu backen, verkauft wird er ab Ende September. «Jeder Stollen geht zwölfmal durch die Hand», betont er. Wie viel verkauft wird, hängt auch vom Wetter ab. «In einem milden November, Dezember gibt es weniger Nachfrage, aber auch bei einem starken Winter mit Blitzeis und Schnee. Denn da kommen die Leute nicht aus ihren Häusern raus.»

Erstmals sei ein Weihnachtsstollen 1999 in einem Bergwerk bei Mayen (Rheinland-Pfalz) gelagert worden, sagt Bernd Kütscher, Direktor der Akademie Deutsches Bäckerhandwerk in Weinheim. Mittlerweile werde dies nicht nur in Willingen, sondern auch im Erzgebirge und anderen Orten praktiziert. Weil Stollengebäck einen hohen Fruchtanteil hat und die Früchte das Aroma an das Gebäck abgibt, schmecke ein frischer Stollen nie so gut wie einer, der durchgezogen sei, betont Kütscher. «Die Lagerung im Bergwerk ist aufgrund der geringen Feuchte und der konstanten Temperatur durchaus förderlich.»

Bei der Entwicklung des Stollens hat sich von der Heide auch in Dresden informiert, der Ursprungsstadt des Christstollens. «Das ist aber ein anderes Produkt», betont von der Heide. Der original und mittlerweile markenrechtlich geschützte Dresdner Christstollen geht auf das Jahr 1474 zurück und soll das in Windeln gewickelte Christkind darstellen. Zunächst waren Butter und Milch als Zutaten verboten. Erst 1491 hob Papst Innozenz VIII. im sogenannten Butterbrief das Verbot auf. Doch auch der Willinger Christinen- Stollen ist ausgezeichnet - im wahrsten Wortsinn: 2002 gewann er den 1. Preis beim Stollenwettbewerb «Zacharias Stollen-Champion-Award».

Der Willinger Stollen heißt «Christinen-Stollen», denn passenderweise war das Bergwerk als Grube Christine bekannt. «Die Aktion ist gut für die Qualität, aber auch sehr hilfreich fürs Marketing. Dann auch noch der Name - das passt», sagt von der Heide. In dem Bergwerk begannen Bergleute 1864 in Handarbeit mit dem Abbau des Willinger Qualitätsschiefers. Bis Anfang der 1980er Jahre wurde Schiefer abgebaut, dann wurde die Grube geschlossen. Mittlerweile wird sie auch für Führungen genutzt.

Die Nutzung eines Stollens könne für den Verkauf förderlich sein, erklärt auch Andreas Mann, Marketing-Professor an der Universität Kassel. «Aufmerksamkeit erreicht man am besten mit außergewöhnlichen, überraschenden und vermeintlich spektakulären Ereignissen oder Geschichten, die auf die Einzigartigkeit hinweisen», betont er. Dazu gehöre auch das Reifen eines Christstollens in einem Bergwerksstollen. Dies erzeuge beim Verbraucher das Gefühl einer gewissen Knappheit, die dazu führe, «dass man es bedauern könnte, wenn man dieses besondere Produkt, das nur für kurze Zeit angeboten wird, nicht kauft». Um jedoch dauerhaft Markterfolge zu erzielen, müsse man dem Kunden auch einen höheren Nutzen liefern, zum Beispiel den Geschmack.

Von der Heides Kunden sind vor allem Feinkostgeschäfte und Händler. Einer der größten Kunden kommt aus Luxemburg. «Da gehen nächste Woche zehn Paletten raus», sagt von der Heide. Die meisten Stollen verkauft er nach Deutschland, doch im Ausland liege noch viel Potenzial. Insgesamt bringt er pro Stollensaison rund 25 Tonnen an den Mann. Wie viel Umsatz er damit macht, will er nicht sagen. Insgesamt beschäftigt von der Heide 24 Mitarbeiter, dazu kommen Saisonarbeitskräfte in den Hochzeiten vor allem für die Verpackung. (dpa/lhe)
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