Seit Bekanntwerden der Wüstenstrom-Initiative «Desertec» streiten Experten über die Chancen des Mammut-Projektes. Die Idee - bald schon könnte saubere Energie aus der
Sahara nach Deutschland und Europa fließen - klingt verlockend. Die Vorwürfe der Kritiker aber reichen von Realitätsferne bis PR-Gag. Es mangele nicht nur am politischen Willen zur Umsetzung, sondern auch an konkreten Vorstellungen zur Finanzierung des 400 Milliarden Euro teuren Vorhabens.
Am kommenden Montag (13. Juli) wollen deutsche Großkonzerne in München eine Initiative gründen. Doch auch danach stehen sie vor vielen Hürden: «Es ist natürlich im Moment noch Zukunftsmusik, aber das überwältigende Interesse zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind», heißt es beim weltgrößten Rückversicherer Münchener Rück.
Mit an Bord sind auch Siemens, die Energieversorger
RWE und E.ON, der Solartechnik-Anbieter
Schott Solar, die Deutsche Bank und Vertreter der Desertec Foundation. Deren Begründer verfolgen schon lange die Vision, mit der unerschöpflichen Kraft der Wüstensonne die Energieprobleme der Zukunft zu lösen. Denn in sechs Stunden geht dort so viel Sonnenenergie nieder, wie die gesamte Menschheit in einem Jahr an Energie verbraucht, sagt der Desertec- Aufsichtsratsvorsitzende Gerhard Knies. Mit geeigneten Kraftwerken und einem entsprechenden Leitungsnetz ließen sich einer Studie zufolge etwa 15 Prozent des europäischen Strombedarfs decken.
Zum Einsatz kommen soll die sogenannte Parabolrinnen-Technologie, die bereits seit Mitte der 80er Jahre in der kalifornischen Mojave- Wüste und mittlerweile auch beim Solarkraftwerk «AndaSol» in Andalusien genutzt wird. Über Dampf und Turbinen wird Sonnenenergie in Strom umgewandelt. Die sogenannte Hochspannungs-Gleichstrom- Übertragung soll dafür sorgen, dass der Strom nicht nur in Nordafrika genutzt werden kann, sondern auch nach Europa fließt. «Technologisch sind wir so weit, wir müssen auf nichts mehr warten», sagt Knies.
Dass das Projekt erst jetzt in Gang kommt, hat viele Gründe. Der Rohölpreis gab nach den Ölkrisen der 70er Jahre kräftig nach. Das nahm bei der Suche nach Alternativen zu fossilen Energien erstmal den Druck aus dem Kessel. Die Gefahren des Klimawandels wurden damals noch kaum ernst genommen. Mittlerweile hat sich das Blatt gründlich gewendet: Horrende Schäden durch
Wetterextreme wie Wirbelstürme, Starkregen und
Überschwemmungen, die auch die weltweite Versicherungsbranche treffen, lassen sich nicht mehr wegdiskutieren. Alle Welt schaut deshalb zurzeit auch auf den G8-Gipfel im italienischen L'Aquila, bei dem sich der weltgrößte Klimasünder USA erstmals auf Ziele im Kampf gegen die
Erderwärmung festlegte.
Aber auch die knapper werdenden Ressourcen und drastische Preisanstiege bei der Energie haben das Bewusstsein geschärft, dass neue, länderübergreifende Lösungsansätze her müssen. «Die Zeit scheint reif zu sein für ein wirklich großangelegtes Manöver gegen den Klimawandel», sagt Knies.
Vorerst zeigen sich die beteiligten Energiekonzerne zurückhaltend. Die Idee sei interessant, «wir befinden uns allerdings noch in einem ganz frühen Anfangsstadium», bremste E.ON-Chef Wulf Bernotat kürzlich die Euphorie. Auch die Münchener Rück räumt ein, dass die Finanzierung des spektakulären Vorhabens noch völlig offen sei. Und der Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) lobt zwar die Technologie, meldet aber Zweifel am Bedarf und ökonomischen Nutzen an. Bei den derzeitigen Wachstumsraten für die erneuerbaren Energien wie Solar- Wind- und Wasserkraft könne bereits 2020 die Hälfte des deutschen Strombedarfs daraus gedeckt werden, sagt BSW-Geschäftsführer Carsten Körnig. Er verweist auf Fortschritte in der Photovoltaik: «Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah. Die Wüsten sind hier auf unseren Dächern.»
Bedenken gibt es auch wegen politischer Unsicherheiten und schwieriger Investitionsbedingungen in einigen Ländern des Sonnengürtels. Die Befürworter glauben, dass sich die Probleme angesichts der großen Potenziale ausräumen lassen - schließlich könnte das Projekt viele Tausend Arbeitsplätze schaffen und auch der Energiegewinnung für Meerwasser-Entsalzungsanlagen dienen, sagt Knies. Von der neuen Initiative würden aus seiner Sicht also alle profitieren. (dpa)