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28.07.2014 | 07:26 | Unwetter am 28.Juli 2013 

Ein Jahr nach dem teuersten Hagel-Schaden Deutschlands

Reutlingen - Vor einem Jahr stand Bernhard Baum buchstäblich vor den Scherben seiner Existenz. Die riesigen Glasdächer seiner Gewächshäuser, die 400.000 Blumen darin - Alles war zerstört von golfballgroßen Hagelkörnern.

Hagelschaden Juli 2013
Hagelschaden im Juli 2013 (c) proplanta
«Das war ein Totalschaden», erinnert sich der Gärtnerei-Besitzer. Zehntausenden Menschen ging es nicht besser. Denn das Unwetter, das am 28. Juli 2013 über dem Großraum Reutlingen wütete, war der verheerendste Hagel-Schaden, den es je in Deutschland gab. Am Ende waren mehr als 150.000 Häuser und Autos demoliert. Und viele Reutlinger kriegen noch heute Panik, sobald am Albtrauf dunkle Gewitterwolken aufziehen.

Dabei war es damals eigentlich ein wunderschöner Sonntag mitten im Sommer. Im Rheintal kletterte das Thermometer auf fast 40 Grad, die Eisdielen wurden regelrecht belagert, die Liegewiesen der Freibäder waren überfüllt.

Doch dann dauerte es nur wenige Minuten, bis die Straßen von einer zentimeterhohen Eisschicht aus bis zu 14 Zentimeter großen Hagelkörnern überzogen waren. Autos wurden total verbeult, Fensterscheiben klirrten, Dachpfannen barsten unter den schweren Eisgeschossen. Landwirte und Obstbauern verloren ihre gesamte Ernte.

«Die Erinnerung wird man so schnell nicht mehr los», sagt Gabriele Gaiser, Vorsitzende des vor wenigen Wochen gegründeten Vereins zur Hagelabwehr im Landkreis Reutlingen. «Wenn wieder ein Gewitter im Anzug ist, reagieren die Menschen fast panisch.»

Reutlingen und Tübingen waren am stärksten betroffen, aber auch die Kreise Göppingen und Esslingen bekamen einiges ab. Noch heute sieht man dort viele Autos mit tiefen Hagel-Beulen im Blech. Auch aufgeplatzte Hausfassaden und durchlöcherte Jalousien gehören ein Jahr nach dem Unwetter noch zum Stadtbild.

Die Kreishandwerkerschaft Reutlingen schätzt, dass erst 2016 - also drei Jahre nach dem Hagel - alle Schäden beseitigt sein werden. Schneller könne man die ganzen Aufträge gar nicht abarbeiten, sagt Geschäftsführer Ewald Heinzelmann. Und das, obwohl Hunderte Dachdecker und Fensterbauer aus ganz Deutschland und Europa seit einem Jahr in Reutlingen arbeiten.

Viele Handwerker haben allmählich auch die Nase voll. Fast überall werde seit dem großen Hagel jeden Samstag durchgearbeitet, anfangs bis zu 16 Stunden pro Tag. «Das ist schon eine extreme Belastung bis an die Grenze des Möglichen und darüber hinaus», sagt Heinzelmann. Dazu kam der Unmut vieler Kunden, denen alles nicht schnell genug ging. Ein Handwerker war oft erst mit monatelangen Wartezeiten zu bekommen.

Teilweise wurden Fenster über den Winter nur notdürftig mit Planen gegen die Kälte abgeklebt. In und um Reutlingen gab es kaum ein Haus, das nicht irgendeinen Schaden davongetragen hatte.

Welchen finanziellen Schaden der Hagel angerichtet hat, lässt sich nur schätzen. Von 1,4 Milliarden Euro geht die Sparkassenversicherung aus, die Württembergische Gemeinde-Versicherung spricht sogar von 1,9 Milliarden Euro. So oder so ist klar, dass Hagel in Deutschland nie zuvor mit so zerstörerischer Kraft gewütet hat.

Viele Reutlinger haben deshalb Angst und suchen nach Möglichkeiten, wie man das Wetter in den Griff bekommen könnte. «Es gab unzählige Rückmeldungen von Bürgern - mit Sorgen mit Nöten», sagt Hagelbekämpferin Gaiser. Neidisch schauen viele Richtung Stuttgart oder in den Schwarzwald-Baar-Kreis, wo Hagelflieger die bedrohlichen Wolken seit Jahren mit Silberjodid besprühen. Dadurch soll statt zerstörerischem Hagel nur weicher Regen zu Boden Fallen.

Doch bislang haben Stadt, Kreis und Land jede Unterstützung für den teuren Einsatz der Hagelflieger abgelehnt - denn die Wirksamkeit ist umstritten. Gaiser will deshalb nun mit einer kleinen Gruppe Ehrenamtlicher im Alleingang die jährlich benötigten 130.000 Euro für den Flieger einsammeln. Das Interesse von Bürgern und Firmen sei enorm, sagt sie.

Auch Gärtnerei-Besitzer Bernhard Baum ist schon Mitglied. In seinen Gewächshäusern blühen heute wieder die Begonien, nebenan wachsen schon die Weihnachtssterne. Genau wie vor einem Jahr. «Der Betrieb läuft wieder, nachdem wir vier Monate nur mit Aufräumen beschäftigt waren», sagt er. Der Hagelflieger sei vielleicht immerhin eine Chance, der Natur nicht völlig schutzlos ausgeliefert zu sein.
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