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02.08.2015 | 11:41 | Milchmarkt 

Milchmarktbaisse sorgt für politischen Wirbel

Brüssel/Paris - Die aktuelle Schwäche des europäischen Milchmarktes hat diese Woche die agrarpolitische Debatte bestimmt.

Milchauszahlungspreise
(c) proplanta
Während eine französische, von Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll vermittelte Initiative zur Stützung des Milchpreises durch Bevorzugung heimischer Produkte besonders in Deutschland für Verstimmung sorgte, wurde die EU-Kommission vonmehreren Seiten aufgerufen, Maßnahmen auf europäischer Ebene zu ergreifen.

Eine schnelle Erholung des Milchpreisniveaus scheint nicht in Sicht. Wie bei der jüngsten Sitzung der EU-Milchmarktbeobachtungsstelle am Dienstag (28.7.) festgehalten wurde, betrug der durchschnittliche Ab-Hof-Preis im Mai 30,5 Cent/l Milch - ein Jahr zuvor waren es 7 Cent/l mehr gewesen. Für den Juni war noch keine gesicherte Zahl verfügbar. Schätzungen gehen jedoch von 30,4 Cent/l aus; das wären 9 % weniger als im fünfjährigen Mittel, wobei Landwirte im Baltikum, Irland, Ungarn, Rumänien und den Niederlanden die größten Preisrückgänge hinnehmen mussten.

„Weitere Preisabschläge werden für die nächsten Monate erwartet“, hieß es von Seiten der Kommission. Biomilch biete bessere Erlöse, stelle aber auch nur einen geringen Teil des Marktes. Die Milcherzeuger sehen sich laut Kommission Problemen mit dem Cash Flow gegenüber, während die Banken aufgrund des Ausbleibens der zum Jahresanfang angekündigten Erholung vorsichtiger agierten. In mehreren Staaten, darunter Dänemark und Großbritannien, wurde ein Anstieg der Kuhschlachtungen verzeichnet.

Verantwortung übernehmen

„Die derzeitigen Erzeugerpreise machen mir ein Stück weit Sorge“, erklärte Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt in Berlin. Eine Preisspirale nach unten helfe niemandem, natürlich nicht den Erzeugern, aber auch nicht den Konsumenten.

„Unsere Milch ist einen guten Preis wert und die Erzeuger müssen davon leben können“, so der Minister. Im Agrarrat Anfang September werde man die Marktlage intensiv erörtern und gegebenenfalls die Kommission um die Prüfung von Maßnahmen bitten.

„Ich appelliere an die Verantwortung aller Beteiligten, insbesondere an die Verantwortung des Handels“, betonte Schmidt. Ferner müsseman die Exportmärkte wie China weiter im Blick halten.

In einem Interview mit dem Deutschlandfunk hatte der Minister zuvor eingeräumt, dass die jüngsten Milchpreisverhandlungen mit dem Handel leider zu keinen guten Abschlüssen für die Produzenten geführt hätten. Schmidt plädierte in diesem Zusammenhang für noch mehr Erzeugerzusammenschlüsse, um eine bessere Verhandlungsposition zu erreichen.

Kein Verständnis

Scharfe Kritik an der politischen Vereinbarung in Frankreich übte der deutsche Milchindustrieverband (MIV). „Wenn unter Leitung eines französischen Ministers Beschlüsse gefasst werden, die einem Handelsboykott für deutsche Waren gleichgestellt sind, stellt man das Prinzip Europa in Frage“, monierte MIV-Hauptgeschäftsführer Eckhard Heuser in Berlin.

Aus seiner Sicht sind die getroffenen Vereinbarungen wettbewerbswidrig. Daher habe man die EU-Kommission um Unterstützung gebeten. Bei allem Verständnis über die Verärgerung der Landwirte über zu niedrige Erzeugerpreise dürften wettbewerbswidrige Maßnahmen nicht das Mittel der Wahl sein. „In einem funktionierenden Binnenmarkt haben alle Beteiligten Vorteile“, so Heuser, auch vor dem Hintergrund der parallel stattfindenden Grenzblockaden französischer Landwirte (EUNachrichten 3).

Die „Tradition der Warenblockaden“ habe in der Vergangenheit keine Wirkung gezeigt. Deutschland sei einer der größten Abnehmer für französische Milchprodukte. Umso unverständlicher seien die Blockaden der Landwirte an den Grenzübergangsstellen. Vorläufigen amtlichen Zahlen zufolge importierte Deutschland im vergangenen Kalenderjahr aus Frankreich Milch und Milcherzeugnisse einschließlich Butter und Käse im Gesamtwert von 959 Mio. Euro, während sich der Ausfuhrwert der in das Nachbarland geliefertenWaren in diesem Segment auf insgesamt etwa 677 Mio. Euro belief.

Gemeinsam drosseln


Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) rief Bundesminister Schmidt und dieAgrarminister der Bundesländer auf, sich umgehend auf EU-Ebene für eine kurzfristige und abgestimmte Drosselung der Milcherzeugung einzusetzen. „Der Milchmarkt steckt in einer tiefen Krise. Die Marktpreise für Standardprodukte wie Milchpulver und sogar für Käse sind bereits unter das Niveau des letzten Krisenjahres 2012 gefallen“, betonte der stellvertretende AbL-Vorsitzende Ottmar Ilchmann. Das Melken sei zu einem bedrohlichen Verlustgeschäft geworden. Er plädierte für „ein EU-weit abgestimmtes Vorgehen, um die Milchmenge insgesamt zu drosseln und an die Nachfrage anzupassen“.

Die AbL schlägt vor, dafür die Mittel der Superabgabe einzusetzen. „Mit diesem Geld sollte den aktiven Betrieben einAnreiz gezahlt werden, ihre Milcherzeugung befristet um einige Prozent zu reduzieren“, fordert der stellvertretende AbL-Vorsitzende. Schon relativ kleine Mengenveränderungen hätten große Auswirkungen auf den Preis. Nicht finanziert werden sollten mit der Superabgabe eine Ausdehnung der staatlichen Lagerhaltung oder eine Exportoffensive der Molkereien.

Keine Schuldzuweisungen

Martin Häusling, der agrarpolitische Sprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im Europaparlament, sprach von einem ruinösen Milchpreiskampf, der alle Erzeuger in Europa treffe. „Schuldzuweisungen und ein gegeneinander Ausspielen sind das Letzte, was sie jetzt gebrauchen können“, so der hessische Biolandwirt.

Die Politik sei sehenden Auges in diese Krise gesteuert und winde sich seit Monaten aus der Verantwortung für zukunftsfähige Instrumente und Steuerungsmöglichkeiten für den europäischen Milchmarkt. Viel zu lange sei auch den deutschen Milchbauern weisgemacht worden, dass Wettbewerbssteigerung und Exportmarktorientierung ihre Zukunft richten und sichern würden, so Häusling. Stattdessen fänden sich die Milchbauern jetzt in einem Dumpingwettstreit mit ihren europäischen Kollegen wieder, der die Existenzen zahlreicher Betriebe in ganz Europa akut bedrohe. Häusling forderte die umgehende Einberufung eines europäischen Milchgipfel, noch vor September.

Systemreform verlangt

Auch das European Milk Board (EMB) sieht den Auslöser der schwierigen Lage in einer „Milchpolitik, die auf Exportorientierung und Überproduktion setzt“. EMB-Vizepräsidentin Sieta van Keimpema hält das aktuelle System für gescheitert. Forderungen nach einer Anhebung des Interventionspreises bezeichnete sie ebenso als „halbseidene Vorschläge“ wie „fragwürdige Preisabsprachen und realitätsferne Exportstrategien“.

Wenn zu viel Menge den Preis kaputt mache, dann müsse am EU-Produktionsvolumen angesetzt werden, um der europaweiten Existenzbedrohung der Milcherzeuger etwas entgegenzusetzen. Eine Verringerung der Menge in Krisenzeiten nehme den Druck vom Markt und erlaube höhere Preise. Da Erzeuger ihre Produktion nicht individuell senkten, müsse dies solidarisch über ein Kriseninstrument wie das vom EMB vorgeschlagene „Marktverantwortungsprogramm“ geschehen.

Die EU-Agrarminister müssten auf ihrer Sondersitzung im September wichtige Signale geben und langfristige Lösungen auf den Weg bringen. Mit Blick auf die Grenzblockaden französischer Landwirte ließ das EMB verlauten, man begrüße Aktionen, die auf die Misere hinwiesen, distanziere sich aber von Äußerungen, bei denen die Schuld den Erzeugern anderer Länder zugewiesen werde. „Wir setzen auf gemeinsame, solidarische Aktionen aller Milcherzeuger in Europa, um zusammen eine Lösung für dieses europäische Problem zu finden“, hieß es. (AgE)
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