Papst setzt Kirche radikal auf neues Gleis
Die Umwelt-Enzyklika von Papst Franziskus schlägt nach Ansicht des Sozialphilosophen Michael Reder eine neue Richtung in der Kirchengeschichte ein. «Sie setzt das Denken der Kirche radikal auf ein neues Gleis», sagte Professor Reder am Donnerstag in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. Die katholische Kirche habe das Thema
Klimawandel bisher kaum beachtet und auch selber an der Umweltzerstörung mitgewirkt.
Frage: «Macht Euch die Erde untertan», heißt es in der Bibel. Ist die Kirche also selber schuld an der Umweltzerstörung?
Antwort: Die Kirche hat lange Zeit keine richtige Sensibilität für Umweltfragen gehabt. Sie hat mit diesem Satz aus der Bibel auch eine Politik und ein Verhalten gefördert, das eher auf Ausbeutung der Natur ausgerichtet war. Insofern ist diese Enzyklika wirklich ein neuer Schritt in eine neue Richtung. Sie setzt das Denken der Kirche radikal auf ein neues Gleis.
Frage: Wobei ja auch schon die Vorgänger von Franziskus über Umweltschutz gesprochen haben.
Antwort: Das ist richtig. Allerdings wurde das Thema Klimawandel bisher nur sehr zaghaft angegangen - und das ist eine der großen Herausforderungen für unsere Zeit. Hier finden sich sehr deutliche Worte, und zwar in einer spezifischen Wendung.
Frage: Nämlich?
Nämlich dass Armuts- und Umweltpolitik zusammengehören. Es ist zwar eine Umweltenzyklika, aber nicht ausschließlich. Es geht darum, die Interessen der Ärmsten zu beachten und derjenigen, die am stärksten diskriminiert werden. Klima- und Entwicklungspolitik dürfen nicht getrennt werden.
Frage: Wie groß sind die Kräfte innerhalb der katholischen Kirche, die sich darüber ärgern, weil ihnen das zu politisch ist oder weil sie einen menschengemachten Klimawandel bestreiten?
Antwort: Die Kirche ist wie jede große Organisation geprägt von unterschiedlichen Positionen. Es gibt hier einen großen Gegenwind. Die Vorabveröffentlichung - das Leaken - der Enzyklika ist auch ein Beispiel dafür, dass es große Gegenkräfte gibt. Der Papst sagt sehr deutlich: Klimaskeptiker verfolgen eigene Macht- und Partikularinteressen. Wir müssen eine ganzheitliche Ökologie gegen eine technisierte Welt und alleinige Marktherrschaft setzen.
Frage: Papst Benedikt XVI. hatte bereits von einer «Ökologie des Menschen» gesprochen. Was unterscheidet Franziskus von ihm?
Antwort: Franziskus ist ein politischerer Mensch. Ihn interessieren die politischen Konsequenzen der Theologie. Er betont, dass wir endlich anfangen sollen, vernetzt zu denken. Das zentrale Argument ist, dass alles miteinander in Beziehung steht: Umweltschutz, Armutsbekämpfung, politische Entscheidungen auf der lokalen und globalen Ebene. Fangt an, vernetzt zu denken!
Frage: Manche Passagen der Enzyklika wirken technikfeindlich, fast kulturpessimistisch. Ist das auch Ihr Eindruck?
Antwort: Ich glaube nicht, dass es kulturpessimistisch ist. Die Kritik ist schonungslos und berechtigt. Sie ist aber auch kulturoptimistisch. Denn der Papst glaubt daran, dass eine Kultur des Dialogs aller Menschen, die guten Willens sind, großes Potenzial hat.
Frage: Der Papst spricht sich für eine Rezession in stark wachsenden Industrieländern aus. Warum?
Antwort: Ich glaube, er sieht den Zusammenhang richtig, dass es nicht nur darum geht, CO2-Reduktionsziele zu vereinbaren. Wir brauchen auch einen umfassenden Wandel und müssen über unser Wirtschaftssystem nachdenken, eine neue politische Kultur schaffen, die an den Ärmsten ausgerichtet ist, die von den Klimafolgen am meisten betroffen sind. Die Industrieländer sind hier besonders in der Pflicht. Das bedeutet unter Umständen auch, ökonomische Einbußen in Kauf zu nehmen.
Frage: Schließen sich Wirtschaftswachstum und Umweltschutz also aus?
Antwort: Ich würde den Papst nicht so verstehen, dass er ein ausschließlicher Verfechter der Degrowth-Bewegung ist. Wir müssen nicht überall einen wirtschaftlichen Rückschritt machen, sondern nur dort, wo der Kapitalismus exzessive Formen annimmt, nur auf Rendite ausgerichtet ist und die Wirtschaft von der Gesellschaft entkoppelt.
ZUR PERSON: Prof. Dr. Michael Reder (41) ist Professor für praktische Philosophie mit dem Schwerpunkt Völkerverständigung an der Hochschule für Philosophie in München, die vom Jesuitenorden getragen wird. Der gebürtige Würzburger arbeitet dort am Institut für Gesellschaftspolitik. (dpa)