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17.01.2020 | 00:17 | Raps und Kartoffeln 

Pestizid-Restriktionen könnten Importabhängigkeit verstärken

Berlin - Stärkere Importabhängigkeit, engere Fruchtfolgen und die Verlagerung der landwirtschaftlichen Produktion in andere Weltregionen – das könnten schon bald die unerwünschten Nebenwirkungen der restriktiven Regulierung von Pflanzenschutzmitteln in Deutschland und Europa sein.

Kartoffel-Importe
Rapsöl aus der Ukraine und Kartoffeln aus Übersee statt Vielfalt aus der Region. (c) proplanta
Während die Agrarpolitik – wie zuletzt Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner in ihrer Ackerbaustrategie 2035 – Ziele wie vielfältige Fruchtfolgen, Klimaschutz und Regionalität der Lebensmittel ausgibt, nimmt sie den Landwirten bei vielen Kulturen die pflanzenbaulichen Möglichkeiten, in Deutschland zu produzieren.

Durch den Wegfall relevanter Lösungen und Wirkstoffe im Pflanzenschutz tun sich bei Kartoffeln, Raps und Körnerleguminosen, Hopfen und vielen Gemüsesorten Behandlungslücken auf, die den Anbau für die Betriebe verlustreich machen.

Darauf wiesen gestern zur Eröffnung der Internationalen Grünen Woche (IGW) 2020 der Industrieverband Agrar e. V. (IVA), die Union zur Förderung von Oel- und Proteinpflanzen e. V. (UFOP) und die Union der Deutschen Kartoffelwirtschaft e. V. (UNIKA) in einem gemeinsamen Pressegespräch in Berlin hin.

Die Verbände stützen sich auf das Ergebnis einer Analyse von etwa 50.000 Datensätzen aus der Zulassungsliste des für Pflanzenschutzmittel zuständigen Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL), die der IVA ausgewertet hat. Zwar ist die Zahl der in Deutschland amtlich zugelassenen Mittel im Vorjahr auf 872 angestiegen, aber dahinter verbergen sich oft ähnliche oder identische Mittel.

Schaut man sich die zur Lebens- und Futtermittel-Herstellung zugelassenen Substanzen an, zeigt sich ein differenzierteres Bild. So stehen zum Beispiel zur Kontrolle von Schadinsekten künftig in allen angebauten Kulturen nur noch 18 verschiedene Wirkmechanismen zur Verfügung, die aber längst nicht in allen Anwendungen (Indikationen) zugelassen sind. Blattläuse, die Viren in Pflanzkartoffeln übertragen, können dann ebenso wenig nachhaltig bekämpft werden wie die Kleine Kohlfliege im Raps.

„Niemand kann ernsthaft wollen, dass die Kartoffeln auf unseren Wochenmärkten aus Nordafrika oder aus Übersee kommen und wir die Rapssaat oder das Rapsöl aus der Ukraine importieren“, betonte IVA-Präsident Hudetz: „Regionalität passiert nicht von selbst. Wir müssen dafür sorgen, dass der Anbau wichtiger Kulturen für heimische Landwirte attraktiv bleibt.“

Raps: Saatgutaufbereitung ins Ausland verlagert



Was das in der Praxis bedeutet, erläuterte Dietmar Brauer, stellvertretender Vorsitzender der UFOP: Vom Wegfall beziehungsweise dem Verbot relevanter Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe ist das gesamte in Deutschland eingesetzte Winterrapssaatgut betroffen.

Bereits durch ein 2013 beschlossenes Verbot neonikotinoider Beizen ist die Kleine Kohlfliege nicht mehr bekämpfbar, und gegen den Rapserdfloh müssen zum Teil mehrfach Spritzungen erfolgen. Durch die eingeschränkte Wirkstoffauswahl machen sich Resistenzen breit.

Ein alternativer insektizider Beizwirkstoff befindet sich seit Jahren in Deutschland im Zulassungsprozess, wobei die Rapszüchter bereits mehrfach erfolglos auf die Erteilung der Zulassung zur nächsten Saatgutsaison gewartet haben. Seit 2019 steht auch kein Schutz gegen Auflaufkrankheiten mehr zur Verfügung, da für eine Beizung in Deutschland kein Mittel zugelassen ist. Bodenbürtige Erreger können lediglich mit einer Saatgutbeizung bekämpft werden.

Im Ergebnis entscheiden sich immer mehr Rapszüchter, ihr Saatgut außerhalb Deutschlands aufbereiten zu lassen, um den Landwirten in Form von importiertem Rapssaatgut dennoch eine möglichst hochwertige Beizausstattung zur Verfügung zu stellen. Dies verteuert die Saatgut-Logistik und verschlechtert damit die Wettbewerbsfähigkeit des Anbaus, während gleichzeitig moderne und zertifizierte Beizanlagen in Deutschland stillstehen.

„Die UFOP fordert daher von den Zulassungsbehörden, im Rahmen des Pflanzenschutzrechts der deutschen Landwirtschaft wirksame Pflanzenschutz-Lösungen zur Verfügung zu stellen, unter Einhaltung geltender Fristen für die Zulassung. Dabei darf es keinen Sonderweg in der nationalen Bewertung geben, der die Wettbewerbsfähigkeit des Anbaus in Deutschland in Frage stellt.“

Kartoffel: Anteil der Importware wird steigen



Auch für den heimischen Kartoffelanbau hat die schrumpfende Auswahl an Lösungen im Pflanzenschutz dramatische Folgen, wie Dr. Holger Hennies, Vizepräsident des Landvolks Niedersachsen, darstellte: Beginnend bei der Produktion des für den Kartoffelanbau erforderlichen Pflanzguts bedarf es zuverlässig wirksamer Pflanzenschutzverfahren, um überhaupt das Ausgangsmaterial für den Aufwuchs von Speisekartoffeln zu erhalten, das die staatlichen Prüfungen erfolgreich durchlaufen muss. Denn nur gesunde Pflanzkartoffeln liefern verwertbare Kartoffeln. Dies gilt auch für landwirtschaftliche Betriebe, die nach ökologischen Standards produzieren, auch hier stammt das Ausgangsmaterial aus einer konventionellen Pflanzgutproduktion.

Ähnlich wie Stechmücken bei der Übertragung von Malaria sind im Kartoffelanbau Blattläuse Überträger von Pflanzenviren. Nach dem Wegfall bewährter Wirkstoffe gibt es bei Kartoffeln keine ausreichende Mittelpalette mehr zur nachhaltigen Blattlausbekämpfung. Dieser Engpass steht auch der Vermeidung von Resistenzen der Schaderreger frontal entgegen. Denn nur über die zeitversetzte Kombination verschiedener Wirkmechanismen wäre ein fachlich gebotenes Resistenzmanagement möglich.

Lösungen sind nach dem Verbot verschiedener Insektizide im Freiland dringend notwendig, da eine Anti-Resistenzstrategie zur Bekämpfung von Blattläusen als Virusvektoren in der Pflanzkartoffel-Produktion kaum noch möglich sein wird. Diese Forderung fand auch Eingang in das Anti-Resistenzstrategie-Papier des Julius Kühn-Instituts für die Saison 2019. „Geändert hat dies jedoch leider wider besseres Wissen wenig“, resümiert Hennies.

Die Konsequenz daraus ist eine folgenschwere Schwächung bereits zu Beginn der Wertschöpfungskette bei Kartoffeln: Fehlende Pflanzenschutzmittel führen nach Jahren mit einem höheren Läusedruck zu deutlichen Engpässen in der Pflanzgutversorgung. Mehr nicht zertifizierte Pflanzknollen kommen zum Einsatz.

Qualität und Ertrag der Ernte leiden aber nicht nur darunter, sondern auch wegen fehlender Pflanzenschutzverfahren in anderen Bereichen. So gibt es zum Beispiel bis heute kein zugelassenes Mittel zur Bekämpfung von Drahtwürmern. Am Ende kommen weniger regional erzeugte Kartoffeln auf den Markt und müssen durch Importe unterschiedlichster Herkünfte ausgeglichen werden.

„Auf die gesellschaftspolitische Forderung, den chemischen Pflanzenschutz deutlich zurückzufahren, kennen die Kartoffelbauern in Zeiten sich verändernder Schadbilder sowie neu auftretender Schädlinge keine Antwort.

Gemeinsam müssen Antworten und tragfähige Übergangslösungen gefunden werden. Sonst droht die Kartoffelproduktion aus Deutschland abzuwandern, mit den entsprechenden negativen Folgen auf die lokalen Märkte, auf die Wertschöpfung in den ländlichen Gebieten sowie die mittelständisch geprägte Kartoffelwirtschaft.

Nicht zuletzt fehlt mit der Hackfrucht Kartoffel ein wichtiges Glied in der Fruchtfolge und die Anbau- und Sortenvielfalt würde weiter reduziert. Dies gilt es zu verhindern und dem wertvollen Nahrungsmittel Kartoffel auch zukünftig einen festen Platz in einer vielfältigen Fruchtfolge zu geben“, so Hennies.
iva/ufop
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