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06.09.2010 | 17:27 | Atompolitik  

Nach Atomgipfel droht Koalition Klage- und Protestwelle

Berlin - Nach der Einigung von Schwarz-Gelb auf deutlich längere Atom-Laufzeiten steht Deutschland vor einem heißen Herbst.

Nach Atomgipfel droht Koalition Klage- und Protestwelle

Am Montag drohte mit Nordrhein-Westfalen ein weiteres Land mit einer Verfassungsklage, falls die Regierung den Bundesrat bei der geplanten Verlängerung um bis zu 14 Jahre zu umgehen versucht. Atomgegner kündigten massive Proteste an. Die Gewerkschaft der Polizei warnt vor einer Eskalation. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bewertete das neue Energiekonzept mit Milliarden-Finanzspritzen für mehr Ökostrom als Revolution: «Unsere Energieversorgung wird damit die effizienteste und auch die umweltverträglichste weltweit.»

Zu den ersten Gewinnern gehörten die Atomkonzerne Eon, RWE & Co.: Ihre Aktienkurse legten kräftig zu. Die Opposition warf Merkel und der Koalition Käuflichkeit vor. Die Sicherheit der Deutschen sei an die vier Atomkonzerne verkauft worden, kritisierte SPD-Chef Sigmar Gabriel. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin erklärte, die Konzerne könnten bis zu 100 Milliarden Euro mit den längeren Laufzeiten verdienen: «Davon wird nicht, wie angekündigt, die Hälfte abgeschöpft, sondern nur ein kleiner Bruchteil, ein Brosamen.»

Die Branche der Ökostrom-Anbieter sprach von einer Farce. In der Nacht zum Montag hatten sich die Spitzen von Union und FDP auf eine Laufzeitverlängerung um 14 Jahre für neuere Kernkraftwerke - solche ab Baujahr 1980 - verständigt. Die letzten Meiler dürften damit 2040 oder sogar später abgeschaltet werden. Ältere Anlagen können 8 Jahre länger am Netz bleiben als bisher geplant. Im Schnitt ergibt sich damit eine Verlängerung von 12 Jahren gegenüber dem von Rot-Grün vereinbarten Atomausstiegs-Konsens von 2000.

Die Atomindustrie soll langfristig bis zu 15 Milliarden Euro für einen Fonds zum Ausbau erneuerbarer Energien beisteuern. Dazu kommt die neue Atomsteuer, die von 2011 bis 2016 pro Jahr 2,3 Milliarden in die Bundeskasse spülen soll. Alles in allem ergibt sich nach Angaben der Regierung ein Abgabevolumen der Konzerne von rund 30 Milliarden Euro. Damit würden etwa 50 Prozent der Extra-Gewinne abgeschöpft. Das Freiburger Öko-Institut ermittelte, dass es insgesamt nur 25 Prozent seien. Die Zusatzprofite der Versorger schätzen die Experten auf 127 Milliarden Euro.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) erklärten, das Zeitalter der erneuerbaren Energien werde eingeläutet. Vom Jahr 2013 an sollen alle Einnahmen des Staates aus dem Handel mit Verschmutzungsrechten (CO2- Zertifikate) komplett in den neuen Fonds fließen. Aus Sicht von FDP-Chef Guido Westerwelle wurde eine Entscheidung von «geradezu epochaler Bedeutung» getroffen.

Unmittelbar vor dem Durchbruch beim Atomgipfel im Kanzleramt hatte Merkel nach dpa-Informationen in kleiner Runde mit den Konzernchefs telefoniert.  Nicht durchsetzen konnte sich Röttgen mit seiner Forderung nach einem speziellen Schutz der Atommeiler vor Flugzeugabstürzen. Allerdings gibt es nach seinen Worten künftig neue Standards, damit die Atomaufsicht schneller reagieren könne. Absehbar seien bereits jetzt Nachrüstkosten bis zu 600 Millionen Euro je Kraftwerk.

Merkel sagte, die Koalition habe mit ihrem Energiekonzept das Jahr 2050 im Blick. «Das ist nicht mehr oder weniger als eine Revolution im Bereich der Energieversorgung.» Kernkraft und Kohle seien dafür Brückentechnologien. EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) sah einen fairen Kompromiss. Die Koalition will die Laufzeitverlängerung ohne den Bundesrat durchsetzen. Dort hat Schwarz-Gelb keine Mehrheit. Sie sei guten Mutes, dass die Atomentscheidung bei einer möglichen Klage Bestand haben werde, sagte Merkel: «Wir glauben, dass dieses Gesetz zustimmungsfrei gemacht werden kann.»

Nach der SPD-Landesregierung von Rheinland-Pfalz kündigte auch die rot-grüne Koalition in Nordrhein-Westfalen Verfassungsklage an. Das Land werde vor das Bundesverfassungsgericht ziehen, «wenn die Bundesregierung mit ihren Atomplänen versucht, den Bundesrat zu umgehen«, sagte Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). (dpa)

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