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02.03.2024 | 00:01 | Biodiversität 

Mehr Wildnis wagen: Privatgärten können Naturparadiese werden

Berlin - Ein akkurat gekürzter Rasen ist für viele Menschen nach wie vor das Schönheitsideal für ihren Garten.

Artenvielfalt
An kaum einer Stelle ist es so einfach, etwas für Artenvielfalt und Umwelt zu bewirken: Man muss nur weniger tun, um Gärten lebendiger zu machen. Das spart auch noch Geld und mindert Hitzeinseln. Warum fällt es vielen trotzdem so schwer, ein bisschen mehr Wildnis zuzulassen? (c) proplanta
Erste Rasenmäher wurden bereits wieder aus dem Schuppen geholt. «Gras gehört im Frühjahr zu den ersten Pflanzen, die wieder loswachsen», sagt Margarita Hartlieb von der TU Darmstadt. Was viele Menschen noch immer als Paradies empfinden - exotische Gewächse wie Kirschlorbeer umrahmen englischen Rasen - ist für die Natur genau das nicht. «Solche Flächen sind oft artenarm, fast tot», sagt Sophie Lokatis, Natur- und Artenschutzexpertin bei der Deutschen Wildtier Stiftung. Leider habe sich das Ideal des möglichst uniformen Zierrasens weltweit ausgebreitet.

Dass Wiesen in Mitteleuropa eigentlich zu den artenreichsten Lebensräumen zählen, lässt sich hierzulande in den meisten Gärten kaum noch erahnen. Jede einzelne Mahd mit einem der überwiegend verwendeten Sichelmäher bedeutet für die Artenvielfalt einen Rückschlag - und viele Menschen kürzen ihren Rasen in der Wachstumssaison allwöchentlich, wenn nicht gar mit einem Mähroboter stetig.

Das betrifft zum einen Pflanzen: «Gras wächst rasch von unten nach, wenn es gemäht wird», erklärt Lokatis. «Andere Pflanzen können da nicht mithalten.» Daher gebe es in regelmäßig kurzgeschorenem Rasen überwiegend nur zwei, drei dominierende Grasarten. Zur Blüte schafften es nur noch wenige andere Spezies wie Weißklee und Gänseblümchen, ergänzt Bettina de la Chevallerie, Geschäftsführerin der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft 1822 (DGG 1822).

Betroffen sind auch Insekten: Jede Mahd bedeutet den direkten Tod für Insektenlarven, Raupen, Grashüpfer. «Nach einem Mähvorgang sind zum Beispiel etwa 80 Prozent der Heuschrecken tot», sagt Hartlieb, die am Projekt BioDivKultur für mehr Artenvielfalt auf Grünflächen beteiligt ist. «Insekten werden vom Sichelmäher zerschlagen», erklärt de la Chevallerie. Hinzu kämen unzählige kleine Lebewesen, die mit den Grashaufen entsorgt werden und darin gefangen verenden.

Auch andere Tiere darben: «Zahl und Vielfalt der Singvögel sind in den vergangenen Jahrzehnten parallel zum Insektenschwund gesunken», sagt Lokatis. Manche Arten seien stetig, zahlreiche andere vor allem bei der Aufzucht der Küken auf Insekten als Nahrung angewiesen. Vielen Menschen ist Experten zufolge gar nicht bewusst, welchen Wert Privatgärten für Biodiversität und Klimaanpassung haben. Nach Angaben des Instituts für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) gibt es etwa 17 Millionen Privatgärten in Deutschland - eine riesige Anzahl kleiner Lebensräume mit enormer Gesamtfläche.

Ihre Bedeutung ist gerade deshalb groß, weil urbane Räume im Zuge intensivierter Landwirtschaft und abnehmender Strukturvielfalt im ländlichen Raum wichtige Rückzugsorte für etliche Arten geworden sind. «Bunte und blühende Wiesen sind aus der Kulturlandschaft fast verschwunden», sagt de la Chevallerie. «Und ein Drittel der urbanen Räume sind Gärten.»

Wie Grünflächen-Expertin Hartlieb sagt, können auf einer natürlichen Blumenwiese von der Fläche eines Basketballfelds etwa 60.000 Insekten leben. Blüten bewundern, Insekten beobachten - «gerade auch für Kinder ist das doch total nett», sagt de la Chevallerie, Gesamtprojektkoordinatorin der Kampagne «Tausende Gärten - Tausende Arten» mit dem Ziel, eine naturnahe Gartenbewegung Trend werden zu lassen.

Die Förderung der Biodiversität ist für gewöhnlich nicht das entscheidende Kriterium für die Pflanzenwahl in Privatgärten, wie das IÖW in einer 2021 vorgestellten Auswertung schloss. Es gehe eher um Faktoren wie Bodendeckung oder eine bestimmte Blütenfarbe. Ein weiterer sei die Auswahl im Pflanzen- oder Baumarkt - wo das Angebot an heimischen Arten oft gering sei, möglicherweise unter anderem deshalb, weil einjährige und nicht vermehrbare Pflanzen profitabler seien.

Das Projekt «Tausende Gärten - Tausende Gärten» bietet inzwischen ein Netzwerk an Gartenmärkten, die heimische Wildstauden produzieren und speziell entwickelte Saatgutmischungen verkaufen. Langsam, aber sicher nehme das Interesse an Naturgärten zu, sagt Gartenexpertin de la Chevallerie. An Aktionen wie dem «Mähfreien Mai», initiiert von der Deutschen Gartenbau-Gesellschaft und der Gartenakademie Rheinland-Pfalz, beteiligten sich immer mehr Kommunen und Privatleute: «Die Botschaft fängt an anzukommen.»

Dem IÖW zufolge kann die eigene biodiversitätsfreundliche Gestaltung großen Einfluss darauf haben, Verwandte, Nachbarn und Freunde zu inspirieren und zu ermutigen, solche Aspekte in ihrem Garten ebenfalls mehr zu berücksichtigen. «Man kann dabei auch ganz klein beginnen, mit einer Blumeninsel», sagt de la Chevallerie. «Jeder Quadratmeter zählt.»
dpa
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