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26.10.2018 | 09:33 | Ein Land, zwei Welten 

Wie Trump Amerika spaltet

Fairmont/Washington - Nahe der Autobahnausfahrt an der Interstate 79 wirbt ein Schild für Schusswaffen und Munition. Wenige Kilometer weiter, kurz vor dem Ende einer Sackgasse in einem Industriegebiet am Rande der Stadt Fairmont, liegt «Mom's Place», ein typisch amerikanischer Diner.

US-Präsident Trump
US-Präsident Trump mag in Washington regieren, doch eine Mehrheit der Hauptstadt-Bewohner verachtet ihn. Ganz anders sieht das in West Virginia aus, keine vier Stunden Autofahrt entfernt. Dort feiern ihn seine Landsleute als Retter - und als ein Vorbild. (c) D. Trump
Gerade verlässt ein Kunde das Lokal, er trägt Flecktarn und eine Pistole am Gürtel, was hier im US-Bundesstaat West Virginia nicht weiter für Aufsehen sorgt. Kurz danach versammelt sich eine Gruppe Menschen in dem Diner, bei denen eines gewiss ist: Sie alle sind glühende Anhänger von US-Präsident Donald Trump.

Ungewöhnlich ist diese Haltung hier nicht: Bei der Präsidentenwahl 2016 fuhr Trump in West Virginia eines seiner besten Ergebnisse überhaupt ein. Am 6. November stehen nun Zwischenwahlen an, bei denen das US-Repräsentantenhaus, Teile des Senats und zahlreiche lokale Parlamente gewählt werden. Phil Mallow will für Trumps Republikaner ins Abgeordnetenhaus von West Virginia einziehen, und wie jede Woche hat der 61-Jährige seine Unterstützer zum Mittagessen ins «Mom's Place» eingeladen - wobei eingeladen nicht ganz richtig ist: Jeder bezahlt hier selbst.

West Virginia ist im vergangenen Jahr der Bundesstaat mit dem niedrigsten Haushaltseinkommen in den USA gewesen, doch «Mom's Place» macht auch Geringverdiener satt. Eine Schüssel Chili wird für 3,49 Dollar serviert, umgerechnet nur etwas mehr als 3 Euro. In einem der angesagteren Läden in der US-Hauptstadt Washington kann man dafür das Dreifache bezahlen, besser schmeckt das Chili dort deswegen nicht. «Mom's Place» ist eine Mischung aus Restaurant und Imbiss, auf der anderen Straßenseite ist ein Warenlager mit einem riesigen Lkw-Parkplatz. Rund 20 Menschen sind dem Ruf Mallows gefolgt und sitzen nun in dem Diner. Sie alle sind weiß und christlich, die meisten Männer, viele haben schon das Rentenalter erreicht.

Mallow beginnt das Treffen mit einem Gebet: «Herr, hilf uns, die richtige Entscheidung zu treffen», sagt der Kandidat. Er ruft dazu auf, wählen zu gehen - und das nicht nur wegen des von ihm angestrebten Amts. Vier Autostunden entfernt in Washington droht den Republikanern der Verlust der Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Sollte es für sie ganz schlecht laufen, könnte sogar der Senat kippen, die zweite Kammer des Kongresses.

Bald darauf schwenkt Mallow aufs Tagesgeschehen ein, es geht um die Migranten aus Mittelamerika, die Richtung USA unterwegs sind. In «Mom's Place» zeigen sich die Folgen von Trumps Strategie, Halb- und Unwahrheiten zu verbreiten, um daraus politisches Kapital zu schlagen. Vor einigen Tagen hat der Präsident behauptet, in dieser «Karawane» aus Migranten seien auch Menschen aus dem Nahen Osten, darunter womöglich Terroristen. Später räumte Trump ein, dass er dafür keine Beweise hat. Mallow sagt nun, unter den Migranten seien 111 Menschen aus dem Umfeld der Terrormiliz Islamischer Staat identifiziert worden. «Es braucht nur einen davon, um Tausende von uns bei einem Football-Spiel zu töten.» Ein beunruhigtes Murmeln geht durch den Raum, ein Zuhörer ruft: «Es ist ein trojanisches Pferd!» Mallow spricht von einer Invasion und fügt hinzu: «Irgendjemand organisiert das.»

Auch die Rohrbomben, die an Trump-Kritiker verschickt wurden, spricht Mallow an. Natürlich wünsche sich niemand, dass Menschen getötet würden, sagt er - und lenkt dann den Verdacht in Richtung Opposition.

«Ein Teil von mir sagt: Insider-Job.» Damit scheint er nahezulegen, Trump-Gegner könnten die Sprengsätze verschickt haben, um das Lager des Präsidenten in Verruf zu bringen. Niemand in der Runde kommt auf die Idee, Trump selbst für das vergiftete politische Klima verantwortlich zu machen.

Fairmont mag tiefe Provinz sein, es sind aber keine Hinterwäldler, die sich in «Mom's Place» versammelt haben. Die Zuhörer fragen den deutschen Reporter nach Bundeskanzlerin Angela Merkel, nach dem Steuersystem und nach Sozialversicherungen in Deutschland. Sie kennen auch die Debatte über Flüchtlinge im größten EU-Staat. «Wir wollen, dass unsere Regierung uns davor schützt», sagt ein älterer Mann.

Das im Gespräch mit den Menschen in dem Diner deutlich wird: Sie fühlen sich abgehängt, und sie fühlten sich einst auch ignoriert von Washington - jedenfalls bis der Geschäftsmann Trump kam, der Gegenentwurf des klassischen Politikers. «Wir haben eine Elite, die unsere Werte verachtet, die sie für rückschrittlich und barbarisch hält», sagt einer in der Runde - zum Beispiel das Christentum.

Bei der Präsidentschaftswahl im November 2016 lag Trump in West Virginia mehr als 42 Prozentpunkte vor Hillary Clinton, der Bewerberin der Demokraten - nur in einem der 50 US-Bundesstaaten hatte er einen noch größeren Vorsprung. Clinton hatte einige Monate vor der Wahl eingeräumt, die von ihr angestrebte Förderung erneuerbarer Energien werde viele Kohlekumpel arbeitslos machen. Trump versprach dagegen, den «Krieg gegen die Kohle» zu beenden.
In West Virginia spielt Kohleförderung traditionell eine große Rolle. «Kohle war hundert Jahre unser wichtigster Verkaufsschlager», sagt David Kennedy, einer von Mallows Zuhörern, der für den Stadtrat in Fairmont kandidiert. Kennedy ist davon überzeugt, dass Trump West Virginia vor dem Bankrott gerettet hat. Tatsächlich brummt die US-Wirtschaft unter dem Präsidenten, die Arbeitslosenquote sinkt. Auch West Virginia profitiert davon.

Allerdings geht es den Menschen in Mallows Runde längst nicht nur um die Wirtschaft. Trumps Wahlspruch lautet «Make America Great Again», und genau das ist es, was die Menschen in «Mom's Place» wollen: Ein Amerika, so groß, mächtig und selbstbewusst, wie es einst war. Auf der anderen, der linksliberalen Seite Amerikas stehen nach Mallows Überzeugung «die dunklen Mächte». Er meint damit alles, «womit wir auf der Basis dessen, was wir glauben, nicht übereinstimmen».

Womit die Menschen in «Mom's Place» ganz besonders nicht übereinstimmen, ist die Politik von Trumps demokratischem Vorgänger Barack Obama. Für ihn haben sie hier nur Verachtung übrig. Einer aus der Runde sagt: «Ich hatte das Gefühl, dass er ein Kommunist war, der nicht wollte, dass dieses Land existiert, der uns zerstören wollte.»

Von Obama gibt es ein Foto aus dem Jahr 2007, das zeigen soll, wie er während der Nationalhymne nicht die Hand aufs Herz legt. «Das hat mir deutlich gemacht, dass er ein Verlierer ist», sagt Stadtrats-Kandidat Kennedy. «Wir wollen etwas Patriotismus. Ich sage nicht, dass wir komplett nationalistisch sein wollen, aber wir wollen einen Oberbefehlshaber. Und jetzt haben wir einen.» Unter Trump werde im Weißen Haus erstmals seit Jahrzehnten wieder gebetet, lobt Kennedy. Dann sagt er einen Satz, für den er spontanen Beifall erntet: «Dieser Mann, den wir jetzt haben, ist ein Vorbild für das Land.»

Donald Trump ein Vorbild für die USA? In Washington sieht das eine überwältigende Mehrheit der Menschen ganz anders. «Mom's Place» ist nur etwas mehr als 350 Straßenkilometer entfernt, dennoch liegen Welten zwischen Fairmont und der US-Hauptstadt - wo der Präsident so wenig Rückhalt wie nirgendwo sonst in den USA hat. Bei seiner Wahl 2016 holte Trump in Washington verschwindend geringe 4,1 Prozent der Stimmen - so wenig wie kein republikanischer Kandidat vor ihm. Hillary Clinton kam auf fast 91 Prozent.
Ausgerechnet dort also, wo der Präsident seinen Amtssitz hat, von wo aus er regiert, schlägt ihm der größte Widerstand entgegen. An vielen Ecken der Stadt sind Graffitis zu sehen, die wenig schmeichelhaft für Trump ausfallen. Es gibt sogar ein inoffizielles Anti-Trump-Hotel: eine linksliberale - wenn auch durchgestylte und nicht gerade billige - Absteige, die sich als Gegenstück zu dem wuchtigen Trump-Hotel ein paar Blocks weiter inszeniert. Im Hauptstadtbezirk kommt es öfter vor, dass sich Bewohner beim Plausch mit Besuchern aus dem Ausland für ihren Präsidenten entschuldigen. Dass sie Scham und Abscheu äußern darüber, von Trump repräsentiert zu werden.

Philipos Melaku-Bello setzt sogar auf offene Rebellion. Der 57-Jährige sitzt vor dem Weißen Haus. Ziemlich genau seit 37 Jahren. Anfang der 1980er Jahre gründete ein Mann namens William Thomas eine Mahnwache vor der US-Regierungszentrale - für Menschenrechte, für Frieden, für eine Welt ohne Atomkraft. Sie ist durchgehend besetzt, Tag und Nacht. Melaku-Bello war von Beginn an dabei und half anfangs als einer von vielen beim Dauer-Protestieren. Inzwischen ist er der Frontmann des Protests und verbringt hier die meiste Zeit seines Lebens.

Seit ein paar Jahren sitzt Melaku-Bello im Rollstuhl. Und in dem hockt er stoisch vor dem provisorischen Protest-Zelt aus Plastikplanen, das behängt ist mit Schildern und Transparenten. «Make America Green Again» steht auf einem Aufkleber - eine Abwandlung von Trumps Slogan. Darunter ist gekritzelt: «Dump Trump» («Weg mit Trump»). In Zeiten wie diesen ist es nicht nur eine Mahnwache für Frieden, sondern auch eine gegen Trump.

«Dieser Mann hatte keinerlei politische Erfahrung, bevor er ins Weiße Haus eingezogen ist», sagt Melaku-Bello und deutet auf Trumps Amtssitz gegenüber. «Wenn man einen Fahrer engagiert, der noch nie Auto gefahren ist, dann kann einen das umbringen. Und das ist genau das, was diesem Land gerade passiert.»

Trump verstoße mit seiner Politik gegen die Verfassung, er verscherze es sich mit Verbündeten im Ausland und säe Hass in der Gesellschaft. «Die soziopathischen Irren in diesem Land fühlen sich bestärkt durch diesen Präsidenten», schimpft der Dauer-Demonstrant. «Das ist die härteste Zeit in der Geschichte dieses Landes.»

Melaku-Bello ist extra früh wählen gegangen. Schon Anfang Oktober hat er seine Stimme abgegeben: für Demokraten im Abgeordnetenhaus und im Senat. Er hofft inständig darauf, dass sie bei den Zwischenwahlen in beiden Kammern eine Mehrheit holen und ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump und dessen Vize-Präsidenten Mike Pence in Gang setzen. «Pence steht noch weiter rechts und ist noch gefährlicher für dieses Land als Trump», meint er. «Trump ist eigentlich nur eine Marionette.»

Trisha Byers macht sich ähnliche Gedanken. Die 33-Jährige steht im Norden der Hauptstadt in einem Buchladen - zwischen Titeln wie «Trumps Krieg gegen die Medien» und «Ratgeber zum Überleben in Zeiten von Trump». In dem Geschäft ist so ziemlich alles linksliberal, bis hin zum WLAN-Passwort («peace123»). Auch Byers hofft auf ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump nach der Wahl. «Meine einzige Sorge ist, dass Pence dann Präsident werden könnte», sagt sie. «Er ist noch konservativer als Trump - und schlauer. Das macht ihn noch gefährlicher.»

Byers meint: «Es sind schwierige Zeiten, besonders als Frau.» Unter Trump sei es schlimmer geworden mit dummen Sprüchen im Alltagsleben, mit Machogehabe und sexuellen Übergriffen gegen Frauen. Überhaupt habe in seiner Amtszeit der Hass in der Gesellschaft zugenommen.

Viele Rassisten, die früher geschwiegen hätten, fühlten sich nun im Aufwind und machten sich überall bemerkbar. «Wir stecken in einem sehr düsteren Abschnitt gerade», sagt Byers. «Ich bin besorgt, aber ich habe auch Hoffnung.» Ihre Hoffnung ist der 6. November.

Auch in «Mom's Place» richten sich die Hoffnungen auf dieses Datum - und darauf, dass die Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern im Kongress halten können. Jack Oliver glaubt daran. Er ist eigentlich seit Jahrzehnten Demokrat, doch auch er hat Obama verabscheut. Nun ist er bei Mallows Runde dabei und unterstützt Trump. «Ich wähle Menschen, nicht Parteien», sagt der 77-Jährige. Er schätze viel am Präsidenten, nicht zuletzt dessen Patriotismus. Natürlich habe Trump auch Fehler. «Er ist ein Großmaul», sagt Oliver. «Er ist nicht perfekt. Aber er ist der Beste, den wir haben.»
dpa
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