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25.10.2018 | 15:11 | Hinterherlauf-Hörnchen 

Eichhörnchen und Mensch: In Not ziemlich beste Freunde

Dresden - Putzig, flink und hilfsbedürftig: Eichhörnchen sind zweifellos Sympathieträger. Wo immer die kleinen Nager auftauchen, wird ihnen Aufmerksamkeit zuteil.

Eichhörnchen
Wenn es beim Eichhörnchen-Notruf klingelt, ist der Notfall schon eingetreten. Den Nagern muss rasch geholfen werden - vor allem, wenn sie als Junge aus dem Nest fallen. Bundesweit gibt es ein Netzwerk von Helfern. (c) proplanta
«Eichhörnchen haben einen großen Niedlichkeitsfaktor. Das ist ein Vorteil, aber auch ein Handicap für die Tiere», erklärt Expertin Jaqueline Gräfe. Denn wenn sie als Junge oder verletzt gefunden werden, wolle jeder sie pflegen und mitnehmen: «Das kann ihnen zum Verhängnis werden», sagt die 50-Jährige.

Die potenziellen Risiken: Meist würden sie nicht richtig gewärmt und falsch gefüttert. Manchmal sei es auch zuviel des Guten: «Wenn ein Eichhörnchen unterkühlt ist und dann mit Nahrung vollgestopft wird, kann der Kreislauf kollabieren und das Eichhörnchen sterben.»

Jaqueline Gräfe aus Dresden gehört zu einem bundesweiten Netzwerk von Tierfreunden, die sich unter dem Dach des Vereins  «Eichhörnchen- Notruf» um die Nager kümmern. Sie selbst nennen sich Päppler, denn in erster Linie müssen die Tiere aufgepäppelt werden. Aber auch Verletzungen und Krankheiten sind keine Ausnahme.

Ein Hörnchen kann so ziemlich jede Krankheit haben wie der Mensch. Gräfe berichtet von Tieren mit Lungenentzündung und Madenbefall, von gebrochenen Gliedmaßen und Löchern im Rückgrat - verursacht von Krähen oder Katzen. Manchmal muss sie ihre Pfleglinge einschläfern lassen. Doch nur selten verliert sie den Überlebenskampf. «85 bis 90 Prozent meiner Hörnchen kommen durch», sagt sie nicht ohne Stolz.

Gräfe sitzt nicht nur regelmäßig am Notruf-Telefon, sondern päppelt Eichhörnchen in ihrer Wohnung auf und wildert sie später aus. Die Tiere bleiben bis dahin etwa zwölf Wochen bei ihr. Derzeit warten Willy und Peter auf ihre Auswilderung. Die beiden turnen munter in einer Voliere. Namensgeber der Tiere sind oft jene Leute, die sie in der Natur gefunden haben und dann bei Gräfes abgeben.

Manchmal kommen die Eichhörnchen quasi von sich aus. Jaqueline Gräfe nennt diese Sorte  «Hinterherlauf-Hörnchen»: «Wenn ein Hörnchen seine Mutter verloren hat, dann läuft es mitunter Spaziergängern hinterher und klammert sich an der Hose fest. So als würde es sagen wollen: «Hilf' mir. Ich komme hier ohne dich nicht mehr weiter».» Das sei ein Zeichen von Verzweiflung und in keinem Fall Tollwut.

Päppeln ist Ehrenamt, aber im Grunde ein Vollzeitjob. Das sieht auch die Vereinschefin des Eichhörnchen Notrufs, Claudia Schäfer, aus Dorsten (Nordrhein-Westfalen) so. Vor neun Jahren hatte sie Eichhörnchen gefunden: «Ich wusste nicht wohin damit, habe viele Leute angerufen - Tierärzte, Zoos, Wildparks. Das war an einem Wochenende und keiner wollte mein Hörnchen haben.»

Schließlich habe sie den Notruf gewählt und am Telefon ein paar Tipps erhalten, wie sie den Findling am Leben erhalten kann. Eine Aufzuchtstation gab es damals in der Nähe ihres Wohnortes nicht. Schäfer hat gezögert, ob sie auch päppeln will: «Das  macht man nicht einfach mal so, das ist eine ähnliche Verantwortung wie Haustiere anschaffen, deshalb habe ich lange überlegt», erinnert sich die 49-Jährige.

Seither hängt sie an den Hörnchen wie diese an ihr. Faszinierend findet sie vor allem, dass sich Eichhörnchen innerhalb von ein paar Wochen komplett auf den Menschen einlassen: «Du bis mein bester Freund, meine Mama und mein Spielgefährte», beschreibt sie die Sichtweise ihrer tierischen Pfleglinge. Mit dem Auswildern sei die Nähe aber schnell vorbei, dann würden sich Hörnchen binnen kurzer Zeit abnabeln und wieder ganz normale Wildtiere werden.

Schäfer hat auch den Fall erlebt, dass ein bereits ausgewildertes Eichhörnchen zur Auswilderungsvoliere im Garten zurückkehrte, weil es krank war und wieder menschlicher Hilfe bedurfte. «In diesem Augenblick durfte ich es auch wieder anfassen, was vor dem Auswildern gar nicht mehr ging.»

«Eichhörnchen haben einen absoluten Freiheitsdrang, können sich im Notfall aber trotzdem auf den Menschen einlassen», beschreibt Schäfer das Wesen ihrer Lieblinge. Auch unterschiedliche Charaktere hat sie bei ihnen ausgemacht. «Selbst Geschwister sind mitunter völlig verschieden».

An die 400 Tiere hat Schäfer schon begleitet. Der ganze Verein mit etwa 150 Aufzuchtstationen betreut bis zu 3.500 Hörnchen im Jahr. Manchmal kümmern sich Familien darum. Schäfer spricht von einem fordernden Hobby.

«Was wir machen, kann man nicht machen, wenn die Familie nicht mitzieht. Das kostet viel Zeit und braucht viel Aufmerksamkeit. Wenn einer versucht, das im Alleingang zu machen, ist er entweder ruckzuck die Hörnchen los, oder aber seine Familie.»

In Ostdeutschland gibt es ein Dutzend Auffangstationen des Notrufes, darunter in Berlin, Potsdam und Weimar. Aber auch andere Vereine kümmern sich um diese Tiere. Im Großraum München ist es der Verein Eichhörnchen Schutz. 2018 hat er bereits 830 Hörnchen und mehr als 200 weitere Kleintiere betreut.

Vereinschefin Sabine Gallenberger ist überzeugt, dass Wildtiere eine stärkere Lobby brauchen. «In den Städten wird ihr Elend immer größer.» Stadt und Staat würden sich vornehm zurückhalten. «Das ist ein trauriges Thema.» Bislang habe der Verein mit seinen 20 Leuten keinem Eichhörnchen, Feldhasen oder Siebenschläfer die Hilfe verweigert. Doch Vögel und Igel könne man mangels Kapazitäten beim besten Willen nicht aufnehmen.

Der Verein Wildtierschutz Deutschland unterstützt das Projekt in München finanziell. «Das Hauptproblem der kleinen Wildtiere in den meisten Städten sind die Lieblosigkeit vieler Bürger und das mangelnde Verantwortungsbewusstsein der Politiker und Behörden für die Fauna in ihren Städten», sagt Vereinsvorsitzender Lovis Kauertz.

Für den Tierschutz werde so gut wie kein Geld zur Verfügung gestellt, schon gar nicht für Wildtiere. Den Eichhörnchen werde mehr und mehr Lebensraum genommen, vor allem Bäume, die Bauprojekten zum Opfer fielen. Dabei finde sich nicht einmal Zeit, vorher nach tierischen Bewohnern Ausschau zu halten und sie gegebenenfalls umzusiedeln: «Die Behörden nehmen den Tod hunderter Kleintiere billigend in Kauf.»
dpa
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