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08.01.2009 | 06:30 | Energieversorgung  

Pipeline-Poker im «Gas-Krieg»

Moskau/Kiew - Ausgerechnet zum Weihnachtsfest der russisch-orthodoxen Kirche, das Kremlchef Dmitri Medwedew und Regierungschef Wladimir Putin mit Kerzen und Gebeten feierten, spitzte sich der «Gas-Krieg» mit der Ukraine weiter zu.

Pipeline-Poker im «Gas-Krieg»
Trotz Drohungen und energischer Vermittlungsversuche Deutschlands und der EU kamen die Lieferungen von russischem Gas über die Ukraine im Westen nun völlig zum Erliegen. Kiew und Moskau gaben sich weiter gegenseitig die Schuld an der zunehmend ernsten Lage, die am Weihnachtstag auch viele orthodoxe Christen außerhalb Russlands in ihren Wohnungen frieren ließ.

Während Putin in der Kirche Weihrauch die Augen tränen ließ und sich Medwedew mit Väterchen Frost - dem russischen Weihnachtsmann - zeigte, rückten Hoffnungen auf eine rasche Einigung in dem Dauerclinch in die Ferne. Weil die Ukraine Gas gestohlen haben soll und nun die letzte der vier Transitleitungen abstellte, drehte der russische Gasmonopolist Gazprom mit Unterstützung Putins Westeuropa nun die wichtigste Versorgungsquelle komplett ab, hieß es. Zwar wollen die Widersacher an diesem Donnerstag sowohl in Brüssel als auch in Moskau erstmals seit Silvester wieder miteinander reden - und wohl auch ernsthaft verhandeln. Doch die Gräben sind tief.

Russland will ungeachtet der extremen finanziellen Probleme in der Ukraine weiter einen Gaspreis zwischen 250 und 450 Dollar je 1.000 Kubikmeter herausschlagen. Die Ukraine hingegen mag höchstens 210 Dollar zahlen und verlangt vor allem höhere Transitgebühren. Die Fronten sind verhärtet. Aus ukrainischer Sicht ist die Energie-Krise von Moskau verursacht. Kiew sieht sich bestraft für seinen prowestlichen Kurs und das Ziel von Präsident Viktor Juschtschenko, der NATO trotz Moskaus Widerstand beitreten zu wollen.

Doch sollte es sich tatsächlich um eine Strafaktion Russland handeln, wäre der Preis für Moskau hoch: Abgesehen vom Imageschaden im Westen büßt Gazprom durch den Transitstopp über die Ukraine Milliardenumsätze ein.

Russland kann bisher weder über seine Leitungen in Weißrussland noch anderswo den Gasbedarf in Westeuropa ohne Hilfe der Ukraine decken. Zwar erfährt Russland durch den Konflikt Rückenwind für den bis Oktober 2011 geplanten Bau der kostspieligen Ostseepipeline Nord Stream. Darauf wies am Weihnachtstag auch der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) während eines Besuchs bei seinem Duzfreund Putin in St. Petersburg hin. Das Vorhaben sei wichtig für die Energiesicherheit Europas, betonte Schröder.

Gleichwohl schrillen bei Russland-Kritikern in Europa angesichts der starken Abhängigkeit von dem Gas aus dem Riesenreich die Alarmglocken. Eine Folge dürfte auch sein, dass Alternativrouten unter Umgehung russischer Energiequellen von der EU verstärkt ins Auge gefasst werden. Dabei geht es vor allem um einen Südkorridor mit der geplanten Nabucco-Pipeline als Herzstück der Energieverbindung vom Kaspischen Meer bis nach Europa. Mit Hilfe der bestehenden Südkaukasus-Pipeline von Aserbaidschan über Georgien bis an die türkische Grenze soll die neue Nabucco-Leitung künftig mehr nicht-russisches Gas nach Europa befördern.

Unabhängig von dem momentanen «Gas-Krieg» erhielten die Alternativ-Projekte unlängst auch durch den Zusammenschluss einiger Gasexportländer nach dem Vorbild der OPEC Auftrieb. Ein mögliches «Gas-Kartell» nähert im Westen Ängste vor Preistreiberei, zumal Putin wiederholt darauf hingewiesen hatte, dass die Förderung von Erdgas und anderen Energieträgern immer schwieriger werde. Damit dürfte er vor allem auch Russlands Ambitionen im Nordpolarmeer im Blick haben, wo am Boden riesige Rohstoffvorräte vermutet werden. Hier erhebt Moskau unter Androhung militärischen Eingreifens Anspruch.

Nicht nur im aktuellen Gasstreit werden Forderungen wieder laut, die Europäische Union möge sich stärker um die Energiesicherheit kümmern. Zwar hat Brüssel mit seiner Zentralasien-Strategie vor allem auch die immensen Gasvorräte in Staaten wie Turkmenistan am Kaspischen Meer im Blick. Doch lässt Russland hier seit langem seine noch aus Sowjetzeiten stammenden Kontakte spielen, um sich ein Vorgriffsrecht auf diese Ressourcen zu sichern. (dpa)
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