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02.06.2010 | 21:04 | Experten-Interview 

Ölpest: Millimeterarbeit in 1.500 Meter Tiefe

Grand Isle/Freiberg - Nach diversen Fehlschlägen unternimmt BP einen neuen Anlauf, die Ölpest vor der US-Küste in den Griff zu bekommen.

Meer
(c) proplanta
Allerdings ist das Vorgehen nicht ohne Risiko: Da das defekte Steigrohr in 1.500 Meter Tiefe dabei abgesägt wird, droht vorübergehend wesentlich mehr Öl als bisher in den Golf von Mexiko zu fließen. Die Nachrichtenagentur dpa sprach mit Professor Matthias Reich von der Technischen Bergakademie. Er ist deutschlandweit der einzige Professor für Tiefbohrtechnik.


Wie bewerten Sie die Erfolgsaussichten des neuen Planes, das Rohr abzusägen und einen Auffangbehälter über der Öffnung zu platzieren?

Reich: «Es ist klar, dass die neue Glocke über dem Bohrloch das Problem nicht grundsätzlich löst. Vielmehr geht es darum, bis zu einer endgültigen Lösung so viel Öl wie möglich direkt an der Austrittsstelle abzusaugen, damit es nicht ins Wasser gelangt. Das ist eine Maßnahme zur Vermeidung weiterer Umweltschäden. Zunächst ist es aber erforderlich, den ganzen Schrott an der Austrittsstelle am Meeresboden abzusägen, um einen sauberen Auslass zu bekommen. Dort soll die Haube drauf und möglichst fest mit dem Rohr verbunden werden. Wenn alles funktioniert, könnte das austretende Öl durch eine Rohrleitung auf ein Schiff gepumpt werden.»


Warum wird allgemein befürchtet, dass dabei kurzzeitig mehr Öl austritt?

Reich: «Sie müssen sich das wie bei einem geknickten Gartenschlauch vorstellen. Dort kommt am Ende zunächst wenig Wasser heraus, wenn der Knick beseitigt ist, sprudelt es viel stärker. Dieser Effekt wird auch bei dem jetzigen Versuch eine Rolle spielen. Das ist der Preis dafür, wenn man später so viel Öl wie möglich absaugen will. Das Steigrohr am Meeresboden zu verschließen ist keine Lösung. Da würde sich ein so großer Druck aufbauen, dass er das System an einer anderen Stelle zum Platzen bringt. Die wirkliche Kontrolle über das Bohrloch bekommt man nur, wenn man es direkt an der Lagerstätte einige Kilometer unter dem Meeresboden verschließt.»


Wie ist das machbar?

Reich: «Das lässt sich wahrscheinlich nur noch über Entlastungsbohrungen machen - eine bewährte Methode, die es schon seit fast 70 Jahren gibt. Auch auf den Ölfeldern von Kuwait hat man das Anfang der 90er Jahre angewendet. Mit zwei dieser Bohrungen wurden im Golf von Mexico Anfang Mai bereits begonnen, in der Öffentlichkeit hat das bisher aber noch keine so große Rolle gespielt.


Was genau passiert bei Entlastungsbohrungen?

Reich: «Die Löcher werden dabei von anderen Bohrinseln angelegt, die im Bereich der Lagerstätte liegen und die außer Kontrolle geratene Bohrung treffen müssen. Dadurch kann Bohrschlamm in die defekte Bohrung gelangen. Sobald diese Spülung das Öl erfolgreich in die Lagerstätte zurückgedrängt hat, kommt Zement in die Öffnung, um den Bereich großflächig zu "versiegeln". Der Nachteil ist nur: Die Entlastungsbohrungen müssen sehr sorgfältig gemacht werden und das braucht seine Zeit, vielleicht zwei bis drei Monate.»


Millimeterarbeit in 1.500 Meter Tiefe?

Reich: «Die Bohrung hat nur gute 20 Zentimeter Durchmesser - die muss genau getroffen werden. Das ist eine schöne Übung für die Richtbohrtechnik - ein kleines Ziel im großen Raum zuverlässig zu treffen. Das ist aber nichts sensationell Neues. Fast alle Bohrungen nach Öl und Gas sind heutzutage Richtbohrungen - sie gehen nicht gerade runter, sondern bewegen quasi sich in Kurven durch den Raum. Ein Bohrer ist heute ein Meisterwerk an Technik, er ist vollgestopft mit Sensoren und kann praktisch eigenständig denken und lenken. Der Bohrer misst selbst genau, wo er ist und korrigiert bei Bedarf seine Richtung. So kommt man am Ende genau dorthin, wohin man möchte. Das ist kein grundsätzliches Problem, man muss es nur sorgfältig machen und deshalb dauert es lange.» (dpa)
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