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07.09.2010 | 19:36 | Atompolitik  

Merkel will Kommunen im Atomstreit besänftigen

Berlin - Nach scharfer Kritik von Kommunen und Stadtwerken am Atom-Beschluss will Kanzlerin Angela Merkel (CDU) Sorgen vor einer Begünstigung der Energiekonzerne zerstreuen.

Merkel will Kommunen im Atomstreit besänftigen

Auch die Stadtwerke würden erkennen, dass es eine faire Lastenteilung gebe, sagte sie am Dienstag bei einem Besuch in Lettland. Merkel kündigte Gespräche mit den kommunalen Versorgern an. Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) will angesichts von mehr Atommüll die Endlagersuche vorantreiben. Die schwarz-gelben Atom-Beschlüsse reißen nach Angaben von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) keine neuen Löcher in den Haushalt. Trotz eines geringeren Satzes für die neue Atomsteuer bleibe es bei den eingeplanten jährlichen Einnahmen. «Das Aufkommen wird 2,3 Milliarden sein. Das ist völlig unstreitig», sagte Schäuble am Dienstag im ZDF. Kanzlerin Merkel wies den Eindruck zurück, dass die Atomwirtschaft ihre Gewinne durch längere Laufzeiten zum Großteil behalten könne. Die Regierung plant ein Laufzeitplus von bis zu 14 Jahren.

Mehr als die Hälfte der Extra-Profite würden abgeschöpft, sagte Merkel. Kritiker wie das Öko-Institut bezweifeln dies, hier geht man nur von knapp 30 Prozent Abschöpfung aus. Die Kanzlerin: «Ich glaube, dass wir einen Kompromiss gefunden haben, der den Energieversorgungsunternehmen deutlich macht, dass sie einen großen Teil ihrer Gewinne entweder als Steuer zahlen müssen oder aber für erneuerbare Energie geben.» Der österreichische Bundeskanzler Werner Faymann zeigte indes sich verärgert über die von Berlin beschlossene Laufzeitverlängerung. Österreich lehne Atomkraftwerke in seinen Nachbarländern unverändert entschieden ab, sagte er der österreichischen Nachrichtenagentur APA.

Die Kommunen mit ihren Stadtwerken fordern vom Staat eine Entschädigung, weil die längeren Laufzeiten ihre Milliarden- Investitionen in Ökostrom gefährdeten - sie hätten sich auf den Atomausstieg eingestellt. Die Windindustrie sprach von «Sargnägeln» für die erneuerbaren Energien und für die Windkraft.

Albert Filbert, Chef des Darmstädter Energieversorgers HSE, sagte: «Den Schaden für kommunale Versorger durch die zwölfjährige Laufzeitverlängerung schätzen wir auf 4,5 Milliarden Euro.» Städtetags-Präsidentin Petra Roth sagte der «Passauer Neuen Presse»: «Eine Laufzeitverlängerung ohne Ausgleich verbessert ausschließlich die Wettbewerbsposition der großen Energieversorger.»

Die Koalitionsspitzen hatten bei ihrem Gipfel am Sonntag noch Änderungen bei der Atomsteuer beschlossen. Der Steuersatz, der je Gramm Plutonium oder Uran fällig wird, beträgt 145 Euro statt 220 Euro. Zudem wird die Steuer bis 2016 befristet. Auch können die Konzerne die Zahlung als Aufwand von der Körperschaftsteuer wieder absetzen, was die Einnahmen des Staates aus dieser Abgabe mindert.

Nach Darstellung des Finanzministeriums bleibt es unter dem Strich bei 2,3 Milliarden Euro pro Jahr für den Bund. Das Laufzeitplus führe zu Zusatzgewinnen der Stromkonzerne, die über die Körperschaftsteuer Bund und Ländern zugute komme. «Und deswegen ist die Berechnung, dass wir 2,3 Milliarden aus der Brennelementesteuer als Aufkommen haben, schon eine seriöse», sagte Schäuble.

Die Regierung hatte für den Atomgipfel durchrechnen lassen, welche Kernkraftwerke bei einem Steuersatz von 220 Euro je Gramm Plutonium im Betrieb unwirtschaftlich geworden wären. Die Konzerne hätten dann vermutlich die älteren, kleinen Meiler Brunsbüttel, Isar 1, Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 sofort abgeschaltet. Umweltminister Röttgen bekräftigte, dass in Kürze die Erkundungvon Gorleben als mögliches Endlager wieder aufgenommen wird. Rot-Grün hatte vor zehn Jahren wegen Zweifeln an der Eignung einen Erkundungsstopp beschlossen. Mit der Laufzeitverlängerung würde laut Bundesamt für Strahlenschutz die Atommüllmenge auf rund 21.600 Tonnen steigen. Die SPD-Umweltpolitikerin Ute Vogt nannte Röttgens Verhalten zynisch: «Röttgens Motto lautet: Erst produzieren wir mehr Atommüll, dann kümmern wir uns um dessen Endlagerung. Diese verantwortungslose Politik als Wohltat an der Menschheit zu verkaufen ist zynisch.» (dpa)


Hintergrund:

Der Umgang mit hochradioaktivem Atommüll

Radioaktive Abfälle entstehen in Industrie, Medizin und Forschung sowie bei der Nutzung der Kernkraft zur Stromerzeugung. Mehr als 90 Prozent des Atommülls in Deutschland sind schwach- oder mittelradioaktiv - nach Angaben des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS) mittlerweile mehr als 120.000 Kubikmeter. Zum großen Teil lagern sie in der Schachtanlage Asse bei Wolfenbüttel (Niedersachsen) oder in einem Salzstock in Morsleben (Sachsen-Anhalt). Die Versenkung im Meer wurde 1984 gestoppt, da die Behälter nur für wenige Jahrzehnte Sicherheit boten.

Die Endlagerung von stark strahlendem Atommüll ist ein weltweit ungelöstes Problem. Deutsche Atommeiler produzieren jährlich 450 Tonnen davon, doch ein Endlager für abgebrannte, hochradioaktive Brennstäbe gibt es bisher nirgends. Die größte Gefahr besteht, wenn radioaktive Substanzen ins Grundwasser gelangen.

Brennelemente können nur wenige Jahre genutzt werden. Bis 2005 wurden sie nach einjähriger Abkühlung im Wasserbecken zur Wiederaufarbeitung nach La Hague (Frankreich) oder Sellafield (Großbritannien) transportiert. Die dabei entstandenen Rückstände müssen zurückgenommen werden. In sogenannten Castor-Behältern verschlossen, lagern sie unter anderem im Zwischenlager Gorleben (Niedersachsen). Seit einigen Jahren werden die abgebrannten Brennelemente, die während der Restlaufzeiten der Kernkraftwerke noch anfallen, direkt an den Standorten der Kernkraftwerke aufbewahrt.

Der hochradioaktive Müll muss für die unvorstellbar lange Zeit von bis zu einer Million Jahren endgelagert werden. Denn es dauert zum Teil extrem lange, bis die darin enthaltenen radioaktiven Bestandteile zerfallen - bei Caesium beträgt die sogenannte Halbwertszeit 30 Jahre, beim extrem giftigen Plutonium 24.000 und bei Uran bis zu 4,5 Milliarden Jahre.

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