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26.03.2013 | 12:21 | Artenvielfalt 

EU-Agrarreform übergeht Biodiversitätsforscher

Leipzig - Das EU-Parlament hat am 13. März über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) bis 2020 abgestimmt.

Ökologische Vorrangfläche
(c) proplanta
Der von der EU-Kommission vorgeschlagene „Greeningansatz“, die Direktzahlungen an biodiversitätsfördernde Maßnahmen zu knüpfen, wurde weitgehend ausgebremst. Der Verlust der biologischen Vielfalt werde so unvermindert weitergehen, prophezeien Autoren eines NeFo-Faktenblatt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Greening, das im Vorfeld der Abstimmungen gestreut wurde. Die beteiligten Autoren zeigten sich enttäuscht über die bewusste Ignorierung beschlossener Biodiversitätsziele. Endgültige Entscheidungen fallen jedoch erst im Trilog zwischen EU-Parlament, Mitgliedstaaten und Kommission im April.

"So erreichen wir das Ziel, den Verlust der biologischen Vielfalt zu stoppen, auch bis 2020 nicht" sagt Guy Pe'er, Biologe am Department für Naturschutzforschung am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung UFZ. Er und weitere vier Forscher verschiedener Disziplinen der Biodiversitätsforschung äußern im aktuellen NeFo-Interview ihre Enttäuschung über die jüngsten Abstimmungsergebnisse des EU-Parlaments zu den Reformvorschlägen der Gemeinsamen Agrarpolitik GAP, die die EU-Kommission 2011 vorgelegt hatte.

Im Gegensatz zu den überraschenden Durchbrüchen in der EU-Fischereipolitik (neue Beifangregelung) bremsten die EU-Parlamentarier die Greening-Ansätze weitgehend aus. Die beiden aus Expertensicht vielversprechendsten Komponenten des Greenings - Ökologische Vorrangflächen und Fruchtfolgeregelung - wurden deutlich gestutzt:

Lediglich drei Prozent anstatt von sieben Prozent der Anbauflächen sollen als ökologische Vorrangflächen bewirtschaftet werden. Darüber hinaus muss der Landwirt nur zwei anstatt drei Fruchtarten anbauen, um seine Förderung zu beziehen, wobei eine der Fruchtarten sogar 80 Prozent anstatt der zuerst vorgeschlagenen 70 Prozent der Anbauflächen bedecken darf. Erst ab einer zusammenhängenden Fläche von über 30 Hektar sind drei Fruchtarten Pflicht. Das Verbot des Grünlandumbruchs bleibt bedingt bestehen, Ausnahmen sind jedoch möglich.

„Schon wieder ist die Landwirtschaft im Wesentlichen aus der Pflicht genommen" ärgert sich Dr. Martin Flade vom Landesamt für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz Brandenburg. Das Prinzip "öffentliche Gelder für gesellschaftliche Leistungen" werde wieder über Bord geworfen. Die biologische Vielfalt werde weiterhin zurückgehen, und damit auch mit ihr verknüpfte wichtige Ökosystemleistungen wie Bodenfruchtbarkeit, Schädlingsbekämpfung und Bestäubung.

„84 % der Nutzpflanzen in der EU sind von Bestäubung abhängig, Tendenz steigend" sagt Björn Kristian Klatt von der Universität Göttingen. Der Wegfall der biologischen Vielfalt führe also auch zu wirtschaftlichen Schäden, und dies nicht nur in der Landwirtschaft. Denn Kulturlandschaften haben auch einen kulturellen Wert, der u.a. zu Wertschöpfung im Naturtourismus führt. „Verbringen die Menschen ihre Ferien in vorrangig in Agrarwüsten?" fragt Guy Pe'er. Die Landwirtschaft habe eine gesellschaftliche Verantwortung, diese kulturellen Werte zu erhalten und nutzbar zu machen, auch zugunsten weiterer Einkommensquellen in der Region.

Sein Institutskollege und Jurist Dr. Stefan sieht den Greeningansatz über Subventionen grundsätzlich kritisch. „Die Direktzahlungen sollen ja die Einkommen der Landwirte sichern und sind keine Kompensation für Umweltauflagen." Die GAP sei effektiv nur über ordnungsrechtliche Instrumente im europäischen Umweltrecht naturschutzfreundlicher zu gestalten. (ufz)
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