Nach dem gelungenen Start der neuen Mitgliedstaaten auf dem Posten des EU-Vorsitzes durch Slowenien vor einem Jahr wird es Tschechien nicht nur wegen der
Wirtschaftskrise deutlich schwerer haben. Die Vorschusslorbeeren für die Neuen verblassen. Tschechien ist nicht mehr das niedliche Alpenland mit Folklore, sondern eine europäische Mittelmacht mit eigenen Interessen und zudem einer Fülle von Problemen mit der EU. Die größte Schwierigkeit ist der für seine Europaskepsis bekannte Staatspräsident Vaclav Klaus.
Treffen mit Vertretern der irischen "Nein-Kampagne"
Seine Weigerung, die Europafahne dauerhaft vor seinem Amtssitz auf dem Hradschin aufzustellen, machte in den anderen EU-Mitgliedstaaten die Runde. Nachdem sich Klaus dann auch noch mit führenden Vertretern der irischen "Nein-Kampagne" zum neuen EU-Vertrag traf, war der Ruf des Präsidenten endgültig ruiniert.
Die Regierung in Prag ist um Schadensbegrenzung bemüht und distanziert sich zuweilen schon auf ungebührlich anmutende Weise vom eigenen Präsidenten. Klaus sei ein Dissident, hieß es. Er stünde mit seiner Skepsis allein da, da sowohl die Regierung als auch die tschechische Bevölkerung überwiegend europafreundlich seien, wird von den Botschaftern des Landes versichert.
Uneinigkeit über EU quer durch alle Parteien
Doch ganz überzeugend sind die Rettungsversuche nicht. Antieuropäische Töne kommen bei vielen Tschechen gut an, die sich aus den gemachten Erfahrungen keiner größeren Macht mehr anschließen möchten und die EU nur als Freihandelszone ohne weiteren politischen Einfluss akzeptieren können.
Die Auseinandersetzungen um die EU gehen quer durch die Parteien in Prag. Die tschechische Regierung stand zwischenzeitlich auf so wackeligen Füßen, dass in französischen Zeitungen bereits über einer Verlängerung der Amtszeit des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy gemutmaßt wurde. Inzwischen sagten aber alle tschechischen Parteien zu, interne Querelen hintanzustellen, damit die EU-Ratspräsidentschaft nicht zur Blamage wird.
Alle großen Themen bereits auf festen Gleisen
Eigentlich hätte es sowieso ein ruhiges Halbjahr im EU-Ministerrat werden sollen. Schließlich hat Frankreich vom Energiepaket über den EU-Vertrag bis zum Konjunkturprogramm alle großen Themen auf feste Gleise gebracht. Auch in der Landwirtschaft bleibt nach den Entscheidungen zur Pflanzenschutz-Novelle und zum "Health Check" für Tschechien eine ziemlich dünne Tagesordnung zurück.
Im Agrarsektor wird es um das Grünbuch für die Lebensmittel-Qualität gehen, außerdem haben die Franzosen noch die umstrittene Neuregelung der Bedürftigenhilfe übergelassen. Viel mehr steht nicht auf dem Programm des Agrarministerrates, der deshalb viel Zeit hat, um über die Zukunft der Gemeinsamen
Agrarpolitik (
GAP) nach 2013 zu diskutieren.
Finanz- und Wirtschaftskrise erfordert rasche Entscheidungen
2009 sind die Aktionsmöglichkeiten der europäischen Institutionen ohnehin beschränkt. Im Mai wird das Europäische Parlament (EP) seine Arbeit einstellen, um sich im Juni den Wählern zu stellen. Bis November ist zudem ein Wechsel der
EU-Kommission vorgesehen. Doch bereits die französische EU-Ratspräsidentschaft hat gezeigt, dass sich die Herausforderungen durch die aktuellen Ereignisse ergeben und weniger durch langfristige Tagesordnungen.
Die Finanz- und Wirtschaftskrise bringt den üblichen Ablauf ohnehin durcheinander und verlangt rasche Entscheidungen. Die Staats- und Regierungschefs haben im Dezember ein Konjunkturprogramm über EUR 200 Mrd. beschlossen, von denen EUR 30 Mrd. aus dem EU-Haushalt kommen sollen. Investitionsprogramme aus dem EU-Budget müssen noch im Einzelnen geregelt werden.
Weitere Schwerpunkte Tschechiens
Tschechien drängt zudem auf einen Ausbau der Netze für die Energieversorgung. Durch den Bau einer neuen Gaspipeline möchte das Land unabhängiger von Russland werden. Ein weiterer Schwerpunkt der neuen Ratspräsidentschaft ist die EU-Erweiterung.
Tschechien will die Verhandlungen mit Kroatien vorantreiben und würde das Land gerne 2010 als EU-Mitgliedstaat begrüßen. Die Wirtschaftskrise, die so manche Vorzeichen ändert, könnte aber auch den Wunsch nach einer Integration der Balkanländer in die EU verstärken. Schließlich sorgte schon bisher die Osterweiterung der EU für zusätzliche Absatzmöglichkeiten. (aiz)