Schon gar nicht für Angela Merkel. Mit der einstimmigen Nominierung von José Manuel Barroso für eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsident sind die Staats- und Regierungschefs ein hohes Risiko eingegangen. Sollte der liberal-konservative Portugiese im Juli nicht die Zustimmung des Europaparlaments finden, wäre auch das Renommee der Kanzlerin in der EU beschädigt.
Schließlich hatte sie Barroso vor fünf Jahren - damals noch als CDU-Chefin - durchgesetzt. Und auch jetzt gehörte sie wieder zu den wichtigsten Unterstützern des Portugiesen, obwohl sie nicht immer begeistert von dem Kommissionschef ist. Das «kleine juristische Kunstwerk«, wie Gipfel-Teilnehmer den nun vereinbarten Fahrplan zur Wiederwahl Barrosos bezeichneten, soll der EU in Krisenzeiten Kontinuität in der Führung geben.
Die Sozialisten und die Grünen spielen aber nicht mit. Sie wollen den Kommissionspräsidenten - auch wenn er Barroso heißt - erst im Herbst mitwählen. Eine schier endlose Personaldebatte wäre die Folge. Was Merkel dabei am meisten ärgert: Zusammen mit Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy hatte sie den Dreier-Schritt - politische Nominierung, Konsultationen mit dem Europaparlament und dann erst der formelle Gipfel-Beschluss - ausgeheckt. Die Mitbestimmung der Abgeordneten sollte damit gestärkt und der ursprüngliche Zeitplan des Europaparlaments unterstützt werden.
Dass nun nach der Europawahl plötzlich alles ganz anders aussieht, ist wahrscheinlich auch dem sich aufheizenden deutschen Wahlkampf geschuldet. SPD-Europa-Vormann Martin Schulz will mit dem Muskelspiel wohl auch demonstrieren, dass die europäischen Sozialisten trotz ihrer Schwächung bei der Europawahl nun keineswegs zahnlos sind. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter
Steinmeier hielt sich in der Angelegenheit eher bedeckt. Der Außenminister ging in Brüssel nicht auf Konfrontation zu Merkel. Der Juli-Termin sei nicht zu halten. Die Schwarzen in der EU müssten halt sehen, ob sie ihren Mann im Parlament auch durchsetzen können, ist seine abwartende Linie.
Doch nicht die Barroso-Nominierung, sondern das Ringen um die Garantien zum Lissabon-Vertrag für die Iren war der härteste Gipfel-Brocken. In Irland soll voraussichtlich Anfang Oktober in einer neuen Volksabstimmung die ursprüngliche Ablehnung des Reformvertrags korrigiert werden. Nur dann - und nach einem positiven Urteil des Bundesverfassungsgerichts und mit den noch fehlenden Unterschriften der Staatschefs von Polen und Tschechien - kann der Vertrag in Kraft treten.
Auch hier gab es in Brüssel kaum Streit um Inhalte. Eine ganze Nacht feilten Experten vielmehr an Formulierungen, damit die zuvor vereinbarte Rote Linie nicht überschritten wird: Keine Veränderungen des Vertrags selbst mit neuen Ratifizierungsverfahren in den anderen Ländern. Am Ende auch hier schließlich Erleichterung: Der Weg zum irischen Referendum ist frei.
Kleiner Positiv-Effekt für Merkel: Der Gipfel vereinbarte endgültig und einstimmig, dass die neuen EU-Kommissare erst nach der endgültigen Ratifizierung des Lissabon-Vertrags benannt werden. Das wird frühestens im Oktober der Fall sein - also nach der Bundestagswahl. Der deutsche Koalitionsstreit über diese Personalie ist also vorerst vom Tisch.
Abgesehen von den politischen Dauerbrennern - Vertrag und Personal - stellte der Gipfel bei zwei wichtigen Themen, die auch Merkel besonders am Herzen liegen, die Weichen. Beim
Klimaschutz übernahm die EU einen mexikanischen Vorschlag: Kriterien für die Zahlungen bei dem angestrebten neuen Weltklimaabkommen sollen die Emissionen und die Wirtschaftsleistung pro Kopf sein. Zum Schwur wird es hier beim Kopenhagener Weltklimagipfel im Dezember kommen. Bei der künftigen europäischen Finanzaufsicht gingen die Chefs sogar etwas weiter als ihre Finanzminister. Die verbindlichen Regeln sollen in ihrer Schärfe denen der USA vergleichbar sein.
Für die Brüsseler dürfte dieser Gipfel aber vor allem wegen der vielen Straßensperren und Dauerstaus in Erinnerung bleiben. Vor allem deutsche Bauern protestierten mit Strohfeuerballen und Traktoren gegen die
Agrarpolitik der EU. Merkel hatte die umstrittene
Milchquote zum Gipfel-Thema gemacht. Kleiner Trost für die Landwirte: Die Barroso-Kommission soll nun in zwei Monaten einen Bericht zur Situation auf den Milchmärkten vorlegen - Eine «klassische« EU-Lösung. (dpa)