Christine Schneebichler (43), Milchbäuerin aus Bayern, liegt in Winterjacke auf einem Feldbett unter freiem Himmel, einen Steinwurf vom Kanzleramt entfernt. Seit Montag demonstrieren dort Bäuerinnen aus ganz Deutschland gegen die niedrigen Milchpreise. Über den Rasen sind Schlafsäcke, Reisetaschen und Campingstühle verstreut. Seit Mittwoch ist Christine Schneebichler zusammen mit fünf Frauen im Hungerstreik, damit sich die «Chefin» Angela Merkel eine Viertelstunde Zeit für sie nimmt. «Nur ein Zeichen, das ist doch nicht so schlimm», sagt Schneebichler. Einige Tage will sie ohne Essen durchhalten.
«Ich hungere für den Milchgipfel», steht auf den Pappschildern der Demonstrantinnen des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter. Vor der Staatskanzlei in München waren die Bäuerinnen schon. Jetzt ist Schneebichler mit dem Bus aus dem 680 Kilometer entfernten Rosenheim angereist. Was sie aus ihrem Heimatdorf Neubeuern erzählt, klingt typisch für die kleinen Höfe in der deutschen Landwirtschaft.
Von den acht Milchbauern in der Nachbarschaft sind zwei übrig geblieben. Die Schneebichlers - Eltern, drei Kinder im Schulalter und der Schwiegervater - bekommen 25 Cent für den Liter Milch, berichtet die Bäuerin. 40 Cent müssten es sein. Derzeit bleibt «eigentlich gar nichts» übrig. Investieren kann die Familie, die 50 Kühe hat, ohnehin nichts. Die jüngste Maschine auf dem Hof ist zwölf Jahre alt.
Jammern, das will die resolute Bäuerin mit den kurzen braunen Haaren nicht. Sie weiß, wie schön es Kinder haben, die auf dem Land aufwachsen. Dass die gelernte Zahnarzthelferin vor 18 Jahren einen Bauern geheiratet hat und damit ein Leben in Hof und Stall, bereut sie nicht. Aber frustriert ist sie, dass sich die harte Arbeit nicht auszahlt und aus ihrer Sicht nicht genug von der Gesellschaft geschätzt wird.
Bäuerinnen, die sie kennt, seien sich oft ihres Wertes für die Allgemeinheit nicht bewusst, sagt Schneebichler. Dabei gelte: «Wir ernähren das Land», unterstreicht sie. «Und wie werden wir behandelt? Wir werden mit Füßen getreten!» Auf ihrem Feldbett liegt eine Plüschkuh in Schwarz-Rot-Gold, ein Werbegag für «Die faire Milch». Fair geht es aus Sicht der Landwirte nicht zu: Sie fühlen sich durch die Mengenbeschränkung der EU, die
Milchquote, gegängelt.
Beim Discounter, wo ein Liter Vollmilch um die 50 Cent kostet, geht Christine Schneebichler aus Prinzip nicht einkaufen. Lieber nimmt sie den Supermarkt im Dorf, um die Arbeitsplätze zu unterstützen. «Wichtig ist, dass das Geld in der Region bleibt.» Verstehen kann sie es aber schon, wenn Menschen sich für Billigprodukte entscheiden. Das Problem ist für sie eher, dass es solche Angebote überhaupt gibt. Jetzt soll die Kanzlerin reagieren. Die Milch muss wieder in Bauernhand, fordert Schneebichler. (dpa)