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06.05.2010 | 20:00 | Evolution 

Doch unser Vorfahr - Genstudie sieht Neandertaler neu

Bonn/Leipzig - Der Aufsatz-Titel in der taufrischen Ausgabe des angesehenen US-Wissenschaftsmagazin «Science» klingt nicht sonderlich aufregend: «Ein Entwurf einer Sequenz des Neandertaler-Genoms».

DNA
(c) Remar - fotolia.com
Der Artikel bedeutet aber nicht weniger als eine unerwartete Wende bei der Sicht auf die menschliche Evolution. Der Neandertaler ist doch ein Vorfahr des heutigen Menschen. Dies hat die Analyse der Zellkern-DNA aus den Knochen von insgesamt sechs Neandertalern im Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig ergeben. Zum Vergleich zogen die Forscher das Erbgut von fünf modernen Menschen aus verschiedenen Erdteilen heran.

Die Ergebnisse des Genom-Projektes belegen nach Angaben der Gentiker, dass der am besten erforschte und weltweit populärste Urmensch ein bis vier Prozent der Gene in der heutigen Bevölkerung von Europa und Asien beigetragen hat. Bisherige Analysen lediglich an der DNA der «Zellkraftwerke» (Mitochondrien) hatten eher gegen eine engere Verwandtschaft des modernen Menschen mit den vor knapp 30.000 Jahren ausgestorbenen Neandertalern gesprochen.

Doch die gewaltige Informationsmengen der sequenzierten Kern-DNA von insgesamt vier Milliarden Basenpaaren aus mehreren Neandertalern decken überzeugend ein weit breiteres Spektrum der Vererbung ab. Bisher hatten die meisten Wissenschaftler vermutet, dass sich die Wege der Evolution heutiger Menschen und des Neandertalers vor rund einer halben Million Jahre trennten und beide Formen somit lediglich ferne Vettern der menschlichen Art sind.

«Die Neandertaler sind unsere Vorfahren, daran ist jetzt nichts mehr zu rütteln. Punkt!», konstatiert der Neandertaler-Experte Ralf W. Schmitz von der Universität Bonn, der seit Jahren die Forschungen von 19 Instituten zum Thema Neandertaler koordiniert. Und gleich mit einer zweiten handfesten Überraschung warten die Leipziger Experten um den Genetiker Svante Pääbo auf: Neandertaler-Gene lassen sich sogar bei Chinesen und heutigen Menschen in Papua-Neuguinea nachweisen, obwohl der Neandertaler dort nie gelebt hat.

Für die Experten gibt es eine verblüffende Erklärung: Der aus Afrika vor 80.000 Jahren in den Nahen Osten eingewanderte anatomisch moderne Mensch hat sich dort mit den Neandertalern vermischt. Unser direkter Homo-sapiens-Vorfahr hat sich dann rund 30.000 Jahre später mitsamt seiner Neandertaler-Gene auf die weite Wanderschaft nach Europa und Asien gemacht. Damit sei der Neandertaler heute weltweit wesentlich weiter verbreitet, als zu seinen Lebzeiten, schildert Schmitz. Eindrücklich ist damit auch die bisherige Vermutung widerlegt, dass «biologische Barrieren» die gemeinsame Fortpflanzung von modernem Mensch und Urmensch verhindert hätten.

Genetische Spuren des zweiten Zusammentreffens mit den später noch in Europa lebenden Neandertalern seien bisher allerdings nicht nachweisbar. Die in großer Zahl vor etwa 8.000 Jahren nach Zentraleuropa einwandernden ersten Ackerbauern der Jungsteinzeit hätten diese Gen-Indizien im heutigen Menschen möglicherweise verwischt.

Längst sieht die moderne Wissenschaft im Neandertaler, von dem rund 300 Knochenfunde zwischen Gibraltar und Usbekistan bekannt sind, nicht mehr den ungeschliffenen Tölpel. Als evolutionär höchst erfolgreiche Menschenart hat er Europa unter schwierigsten Eiszeit-Bedingungen etwa 300.000 Jahre lang besiedelt, hat seine Toten bestattet, Verletzte gepflegt und sich mit farbigen Muscheln geschmückt. Neandertaler-Kenner Schmitz schwärmt denn auch ganz unwissenschaftlich: «Es ist wunderbar, dass von diesem tollen Menschen noch so viel in uns steckt...». (dpa)
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