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15.07.2010 | 20:27 | Tier- und Pflanzenwelt  

Wollhandkrabbe & Co - nicht immer ist Artenvielfalt erwünscht

Lüneburg - In einem Maisfeld bei Radbruch liegen die Reste einer Chinesischen Wollhandkrabbe.

Wollhandkrabbe & Co - nicht immer ist Artenvielfalt erwünscht
Radbruch ist ein kleiner Ort in Niedersachsen, nicht weit von Lüneburg. Bis zur Elbe sind es zehn Kilometer, bis zur Nordsee mehr als 100. Wie kommt ein Krebs aus China auf ein Feld in Niedersachsen, weit entfernt von jedem größeren Gewässer?

Die Vorfahren der toten Krabbe wurden zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Ballastwasser von Handelsschiffen eingeschleppt. In manchen Flüssen hat sich die Art mittlerweile gewaltig vermehrt, so auch in der Elbe. Die Flüsse hinauf und über Gräben bis weit ins Binnenland haben sich die Tiere ausgebreitet. Fuchs oder Graureiher könnten die Wollhandkrabbe in Radbruch aus einem der flachen Gräben am Rande des Maisfeldes gefischt haben, vermutet ein Jäger auf morgendlicher Pirsch.

«In Deutschland sind mittlerweile etwa 1.500 nicht-einheimische Tierarten registriert», weiß der Rostocker Zoologe Professor Ragnar Kinzelbach. Er hat den Begriff «Neozoen» für Tiere geprägt, die seit der Entdeckung Amerikas im Jahre 1492 vom Menschen absichtlich oder unabsichtlich in Gebiete fern der ursprünglichen Heimat gebracht wurden.

«Erst die Biodiversitätskonvention von Rio machte 1992 das Problem weltweit bewusst», sagt Kinzelbach. In Asien gelten Wollhandkrabben als Delikatesse, doch stellen sie in Europa nach Ansicht von Ökologen eine Bedrohung für andere Wasserbewohner dar. Die Allesfresser haben hier kaum natürliche Feinde. Sie graben Höhlen und Gänge in Deiche und Dämme, machen Netze und Reusen unbrauchbar.

Alle Versuche, die lästigen Krabben zu bekämpfen, scheiterten jedoch. Über Flüsse und Kanäle haben sich auch Höckerflohkrebs und Dreikantmuschel auf den Weg gemacht. Mit ausgesetzten amerikanischen Flusskrebsen kam die Krebspest nach Europa, ein Großteil der einheimischen Edelkrebse starb daran.

Die Liste der tierischen Neubürger ist lang. Als potenzielle Jagdbeute wurden Waschbären, Mufflons und Sikahirsche ausgesetzt. Nutrias, Nerze und Bisamratten entwischten aus Pelzfarmen. Mit asiatischen Bienen kam die gefährliche Varroamilbe, im Holz von Paletten kamen fremde Forstschädlinge.

Auch Pflanzen aus fernen Regionen haben hierzulande in den vergangenen Jahren für negative Schlagzeilen gesorgt. Dazu gehören die zunächst als Zierpflanze eingeführte Herkulesstaude, aber auch die den Boden verändernde Robinie und die über Vogelfutter eingeschleppte Ambrosia. «Eine Gefahr sind sie in Mitteleuropa aber nicht, die Aufregung ist stark übertrieben. Im Einzelfall ist jedoch Handeln mit Augenmaß gefragt», betont Dietmar Brandes.

Der Professor für Botanik an der Technischen Hochschule Braunschweig beschäftigt sich seit fast vier Jahrzehnten mit Neophyten, den pflanzlichen Neuzugängen. Noch hätten sie bei uns keine Art verdrängt. Auch Professor Kinzelbach warnt vor Panikmache in der oft emotional geführten Diskussion. So seien Hauskatzen eine viel größere Gefahr für die Vogelwelt als etwa der aus Ostasien zugewanderte Marderhund.

In Mitteleuropa sei noch keine Tierart durch die Konkurrenz von Neozoen ausgestorben. Zwar setzten diese nachhaltige Veränderungen in Gang, doch verändere sich die Natur auch ohne Neozoen laufend: «Ein Ökosystem ist kein Zustand, sondern ein Vorgang.

Einwanderung ist sogar ein Motor der Evolution», fasst Kinzelbach zusammen. Einige aus Gefangenschaft entkommene «Gäste» wurden in Deutschland zur optischen Bereicherung, dazu gehören entflogene Halsbandsittiche, die riesigen Nandus und die farbenprächtigen Mandarin-Enten. Andere «Neuzugänge» haben sich für den Menschen als ausgesprochen nützlich erwiesen oder wurden gar unentbehrlich. Auch Mais, Tomate, Zwiebel oder Kartoffel waren einst Neubürger. (dpa)
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