Vorsprung durch Wissen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
01.11.2023 | 12:11 | Legislatur im Krisenmodus 

Ampel-Regierung zieht nach Halbzeit Bilanz

Mainz - Corona-Pandemie, Flutkatastrophe, Ukraine-Krieg, Energiekrise, Flüchtlinge und Inflation: Krisenbewältigung ist von Anfang an das tägliche Geschäft der zweiten Ampel-Regierung in Rheinland-Pfalz.

Ampel-Regierung 2023
(c) proplanta
«Diese Legislatur war bisher vor allem eine Legislatur im Krisenmodus», sagt der Geschäftsführer der Landesvereinigung der Unternehmerverbände (LVU), Karsten Tacke.

Klimaneutralität bis spätestens 2040, Biotechnologiestandort Nummer eins und moderne, belebte Innenstädte: Die drei Hauptziele aus dem Koalitionsvertrag sind zur Halbzeit der Wahlperiode noch nicht in greifbare Nähe gerückt. Die Landesregierung habe sich aber auch langfristige und sehr ambitionierte Themen als Ziele gesteckt, sagt der Trierer Politikwissenschaftler Uwe Jun. «Politik ist das Bohren dicker Bretter, und vieles waren eben auch dicke Bretter, was sie sich vorgenommen haben.» Lehrer- und Landarztversorgung sowie die Kliniken beschäftigten die Landesregierung ebenfalls.

«Wir sehen viele gute strategische Ansätze, wie den Zukunftsplan Wasser für eine sichere Wasserver- und Entsorgung im Klimawandel, die Digitalstrategie oder den kommunalen Klimapakt», lobt der Geschäftsführer des Verbands kommunaler Unternehmer (VKU)), Michael Bleidt. «All das geht in die richtige Richtung. Ob wir tatsächlich vorankommen, entscheidet sich allerdings erst bei der konkreten Umsetzung der Strategien.»

Vor allem aber: «Die finanziellen Spielräume sind enger geworden», betont Jun. Insbesondere die Kommunen fordern aber mit Blick auf mehr Flüchtlinge, neue Aufgaben, höhere Preise und Tariflöhne mehr Geld. Und nicht nur sie. Ein Überblick.

Kommunale Finanzen: 

«Die Landesregierung hat uns zwar die Hälfte der Schulden abgenommen, aber wir müssen teils wieder neue machen», sagt der Geschäftsführende Direktor des Städtetags, Michael Mätzig. Rund 1,6 Milliarden Euro an Soziallasten pro Jahr seien nicht gedeckt. «Die müssen wir jedes Jahr irgendwie auffangen.» Dazu kämen immer neue Aufgaben. Städte und Gemeinden müssten bei vom Bund festgelegten Aufgaben wie der Kommunalen Wärmeplanung oder der Ganztagsbetreuung von Grundschulkindern stärker beteiligt werden, verlangen Mätzig und seine Kollegin Lisa Diener. Die Landesregierung bestimme im Bundesrat über solche Themen mit und müsse davor die kommunalen Spitzenverbände «institutionalisiert einbinden». «Das Land muss unsere Meinung hören», fordert Mätzig.

Bildung:

Der Fachkräftemangel ist an Schulen und Kitas auch deutlich spürbar. Die Bildungsgewerkschaft GEW fordert von der Ampel-Regierung, mehr dagegen zu tun, insbesondere an Grund-, Förder- und Schwerpunktschulen sowie in den Kitas. Der Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer schlägt vor, die Bezahlung wie in den Nachbarbundesländern zu erhöhen, auch um Abwanderung zu verhindern. Die den Schulleitungen versprochenen Entlastungen müssten zudem schnell kommen. «Es wird immer schwieriger, diese Stellen zu besetzten.» Es fehle aber auch an Wertschätzung und multiprofessionellen Teams an Schulen mit besonderen Schwierigkeiten.

Flüchtlinge/Integration: 

Die Kommunen müssten deutlich mehr «Asylsuchende mit hohen Anerkennungsquoten» unterbringen, fordert Diener. Das System sei aber «gesättigt». Vor allem für alleinreisende minderjährige Flüchtlinge werde eine betreute Unterbringung zusehends schwieriger, sagt Mätzig. Immer häufiger gehe es nur darum, Obdachlosigkeit zu verhindern. «Die dezentrale Verteilung der Menschen funktioniert nicht mehr», sagt Diener. Auch im ländlichen Raum gebe es immer häufiger Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete, was in den Gemeinden des sehr kleinteilig strukturierten Landes Rheinland-Pfalz deutlich auffalle.

«Es braucht ein neues Integrationskonzept der Landesregierung», fordern Mätzig und Diener. Und die Zuständigkeiten für Integration - Sprache, Arbeit, Bildung - seien auf zu vielen Schultern verteilt. «Hier müssten schnellstmöglich eindeutigere Verantwortlichkeiten und eine engere Verzahnung her.»

Die von den kommunalen Spitzenverbänden geforderte Vollkostenerstattung der Flüchtlingskosten habe das Land jetzt zurückgewiesen. Ein entsprechendes Rechtsgutachten der kommunalen Spitzenverbände sei nach Auffassung der Landesregierung nicht belastbar. Mätzig und Diener kündigen an, die Kommunalen Spitzenverbände suchten jetzt das Gespräch mit Anwälten, um über mögliche Klagewege zu beraten.

Gesundheit:

Die Krankenhausgesellschaft sieht bei der Finanzierung der Betriebskosten der Kliniken zwar die Bundesregierung in der Pflicht. Bei den Investitionskosten habe die zuständige Landesregierung aber ihre Hausaufgaben noch nicht ausreichend erledigt, kritisiert der Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft, Andreas Wermter.

Der Landesverband der Hausärztinnen- und Hausärzte fordert einen bundesweiten Krisengipfel zur Existenzsicherung der hausärztlichen Versorgung in Deutschland. Diese breche in Flächenländern wie Rheinland-Pfalz weg, mahnt die Landesvorsitzende Barbara Römer. In der Verantwortung der Landesregierung liege die Umsetzung der neuen Ärztlichen Approbationsordnung, die eine Stärkung der Fachs Allgemeinmedizin während des Studiums vorsehe. «Hier ist keine Zeit mehr zu verlieren. Der ärztliche Versorgungsbedarf der Bevölkerung wächst aufgrund der demografischen Entwicklung rapide.»

Pflege:

«Pflegende Angehörige müssen stärker unterstützt werden, sowohl finanziell als auch organisatorisch», fordert der Landesvorsitzende des Sozialverbands VdK, Willi Jäger. «Wir brauchen dringend ein Landespflegegeld für alle Gepflegten sowie ein Online-Portal, auf dem Betroffene unkompliziert nach Kurzzeitpflegeplätzen suchen können.»

Arbeit: 

Ganz wichtig für die zweite Halbzeit der Landesregierung ist für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB): «Die Tarifbindung muss gestärkt werden, dafür brauchen wir ein moderneres Landestariftreuegesetz», sagt Landeschefin Susanne Wingertszahn. «Das Land sollte im Übrigen als guter Arbeitgeber vorangehen.»

Verödete Innenstädte: 

Der Städtetag fordert nach dem Beispiel von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg einen Leerstandfonds, aus dem die Kommunen schöpfen können. Damit sollen Städte und Gemeinden leerstehende Läden mieten und zeitlich befristet deutlich günstiger weitervermieten können, um neuen Konzepten und Ideen eine Chance zu geben. Die Unterstützungsprogramme des Wirtschaftsministeriums seien zwar begrüßenswert, jedoch zu kleinteilig.

Öffentlicher Nahverkehr: 

Der DGB wartet auf das im Koalitionsvertrag versprochene 365-Euro-Ticket für junge Menschen. Dies dürfe nicht weiter auf die lange Regierungsbank geschoben werden, sagt Landeschefin Wingertszahn.  Die Finanzierung des Deutschlandtickets in Rheinland-Pfalz ist nach Einschätzung des Städtetags schon ab 2024 in Gefahr. Unabhängig davon sei die Finanzierung des ÖPNV seit fast drei Jahren unklar, kritisiert Diener. Die Städte und Kreise bräuchten dringend Informationen, wie das Land die Verkehrsleistungen finanzieren werde. Seit Anfang 2021 würden die Kommunen vertröstet und befänden sich daher in einer absoluten Planungsunsicherheit. 

Klimaschutz und Klimafolgenanpassungen:

Lob gibt es vom Städtetag für das Kommunale Investitionsprogramm Klimaschutz und Innovation (Kipki). Bei vielen anderen Förderprogrammen bleibe wegen der überbordenden Bürokratie und der restriktiven Voraussetzungen viel Geld liegen, da in den Verwaltungen das Personal keine Zeit dafür habe, die hohen Anforderungen der Förderprogramme zu bearbeiten. Meistens werden zusätzlich noch kommunale Eigenanteile fällig, die viele Kommunen nicht aufbringen könnten. Das mit 250 Millionen Euro ausgestattete Kipki dagegen verlange keine eigenen Mittel der Kommunen, stelle wenig Anforderungen und gebe Städten und Gemeinden eine hohe Eigenverantwortung. Allerdings sei das Ziel der Klimaneutralität und die Anpassung an die Folgen des Klimawandels um ein Vielfaches teurer.

VKU-Geschäftsführer Bleidt macht sich Sorgen, ob das 2030-Klimaneutralitätsziel beim Strom erreicht werden kann. «Denn Rheinland-Pfalz hält beim Ausbau der Photovoltaik zwar Kurs auf die Ziele, hinkt beim bedeutenderen Windkraftausbau jedoch meilenweit hinterher.»
(dpa/lrs)
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 Ermittlungsakte zur Flutkatastrophe an der Ahr geschlossen

 Ermittlungen zur Ahrflut eingestellt

 Habeck, Baerbock oder keine(r)?

 Versicherer kalkulieren Risiko von Sturzfluten

 Ampel-Koalition uneinig über Solarförderung

  Kommentierte Artikel

 Was will die CDU in ihrem neuen Programm?

 LED-Lampen in Straßenlaternen sparen massiv Strom ein

 Zahl der Bäckereien weiter rückläufig

 Wundermittel und Jahrhundertgift PFAS: Derselbe Circus - andere Clowns

 Deutsche Verbraucher offen für abgelaufene Lebensmittel

 Brandenburger Dackel wohl von Wolf angegriffen

 Tag des Wolfes - Bauern machen Druck für vereinfachten Abschuss

 Erleichterungen bei GAP-Anträgen und Hanfanbau

 In der Corona-Pandemie wurden zu oft Antibiotika verschrieben

 Jäger sehen dringenden Handlungsbedarf bei Umgang mit Wölfen