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18.04.2024 | 16:46 | Ahr-Flutkatastrophe 

Ermittlungen zur Ahrflut eingestellt

Koblenz - Fast drei Jahre nach der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal hat die Staatsanwaltschaft Koblenz die Ermittlungen zur tödlichen Flut eingestellt.

Ahr-Flutkatastrophe
Die Ahr-Flutkatastrophe soll nicht in einem Strafprozess aufgearbeitet werden. Die Staatsanwaltschaft stellt Ermittlungen zu möglichen Fehlern beim Krisenmanagement ein. Ihre Begründung ist lang. (c) Oleg Golovnev - fotolia.com
Ein hinreichender Tatverdacht gegen den ehemaligen Ahr-Landrat Jürgen Pföhler (CDU) und einen Mitarbeiter aus dem Krisenstab habe sich nicht ergeben, sagte der Leiter der Staatsanwaltschaft Koblenz, Mario Mannweiler, am Donnerstag. «Wir müssen uns, so schwierig das ist, von dem Gedanken lösen, dass solche extremen Ereignisse immer irgendwie einen strafrechtlich Schuldigen haben müssen. Manche Ereignisse geschehen einfach und sind von einem einzelnen Menschen nicht beherrschbar.»

Bei der Flutkatastrophe waren in Rheinland-Pfalz 136 Menschen gestorben, davon 135 in der Ahr-Region und eine Person im Raum Trier. Tausende Häuser wurden zerstört, Straßen und Brücken weggespült. Ein Mensch gilt zudem weiterhin als vermisst.

Hintergrund der Ermittlungen waren Vorwürfe des mangelhaften Krisenmanagements und mangelhafter Vorbereitung auf einen solchen Katastrophenfall. So wurde unter anderem untersucht, ob der für den Katastrophenschutz in dem Gebiet zuständige Landkreis Ahrweiler mit Pföhler an der Spitze womöglich zu spät vor der Flutkatastrophe im Juli 2021 im Ahrtal gewarnt hatte. Die Staatsanwaltschaft ermittelte mehr als zweieinhalb Jahre wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung in 135 Fällen und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen.

Pföhler hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen. Sein Anwalt nannte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft daher nicht überraschend. «Wir haben von Anfang an darauf hingewiesen, dass eine strafrechtliche Verantwortung von Herrn Dr. Pföhler unter keinem Gesichtspunkt in Betracht kommt. Diese Einschätzung hat sich als zutreffend bestätigt», sagte Rechtsanwalt Olaf Langhanki der Deutschen Presse-Agentur. «Für uns ist die Angelegenheit abgeschlossen.» Auch der Mitarbeiter aus dem Krisenstab hatte über seinen Anwalt bestritten, sich strafbar gemacht zu haben.

Die Staatsanwaltschaft kam nach umfangreichen Ermittlungen zu dem Schluss, dass es sich um eine außergewöhnliche Naturkatastrophe gehandelt habe, deren extremes Ausmaß für die Verantwortlichen des Landkreises Ahrweiler nicht konkret vorhersehbar gewesen sei. «Die Flut 2021 hat alles, was die Menschen zuvor erlebt haben, weit übertroffen und war für Anwohner, Betroffene, Einsatzkräfte und Einsatzverantwortliche gleichermaßen subjektiv unvorstellbar», teilte die Behörde mit.

Zwar sei der Katastrophenschutz im Landkreis Ahrweiler unzureichend organisiert gewesen, und das Führungssystem des Katastrophenschutzes habe eine ganze Reihe von Mängeln aufgewiesen. So habe etwa ein Alarmplan Hochwasser gefehlt, und es habe keine systematische Evakuierungsplanung oder Risikoanalysen gegeben. «Die Verantwortung dafür trägt in erster Linie der politisch und administrativ gesamtverantwortliche ehemalige Landrat.» Diese «durchaus beachtlichen Mängel», die ein Gutachter festgestellt hat, begründeten aus Sicht der Staatsanwaltschaft aber keine Strafbarkeit. 

Der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Katastrophenforscher habe in seinem Gutachten festgestellt: «Es hätten mit einem besseren System, einer optimaleren Organisation mehr Menschen gerettet werden können.» Ob aber tatsächlich mehr Menschen gerettet worden wären, lasse sich im Nachhinein nicht sicher sagen. Für eine strafrechtliche Verurteilung müsse es aber Gewissheit geben, sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Mannweiler.

Bei den Ermittlungen sei es um eine rein strafrechtliche Aufarbeitung gegangen. «Die Staatsanwaltschaft hat nicht darüber zu befinden, ob im vorliegenden Fall jemand charakterlich versagt hat», sagte Mannweiler. Es sei auch nicht Aufgabe der Staatsanwaltschaft, politische Verantwortung zu bewerten oder ein moralisches Werturteil zu fällen. «Ob jemand in einer Krise standhaft ist, Haltung bewahrt, Verantwortung übernimmt, führungsstark ist, Aufopferungsbereitschaft zeigt, eine Leuchtturmfunktion für seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter übernimmt, das ist eine Frage des Charakters und der Persönlichkeit.»

Mannweiler präsentierte rund zwei Stunden lang die Ergebnisse der akribischen Ermittlungen. «Was sich wie ein roter Faden durch dieses Ermittlungsverfahren zieht, ist die rückblickende Erkenntnis, dass bestimmte Dinge zu einem bestimmten Zeitpunkt die Rettung von mehr Menschen wahrscheinlicher gemacht hätten», sagte er.  Das Lagebild sei bis zuletzt unklar geblieben, weil die Flut so unvorstellbar gewesen sei. «Wir wissen nicht, was gewesen wäre, wenn. Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn. Wir haben im Ermittlungsverfahren nie die Gewissheit erlangt, die in diesem Punkt nötig ist. Ich weiß, dass das schwer zu verstehen ist, weil vieles zuerst einmal so nachvollziehbar naheliegend erscheint.» 

Die Einstellung des Ermittlungsverfahrens sei aber keine Ermessenssache, sagte der Oberstaatsanwalt. Flutopfer oder Angehörige von Flutopfern könnten Beschwerde dagegen einlegen, über die dann zunächst die Generalstaatsanwaltschaft Koblenz entscheiden müsse.

Bereits im August 2021 war das Ermittlungsverfahren gegen Pföhler eingeleitet worden. Der damalige Landrat war seit August 2021 krankheitsbedingt nicht mehr im Dienst und wurde im Oktober 2021 auf eigenen Antrag wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt.

Die Ermittlungen hatten sich lange hingezogen, auch weil sie eine bisher nicht gekannte Dimension hatten. Umfangreiche Daten seien gesichtet und mehr als 300 Zeugen vernommen worden, die nach Angaben des rheinland-pfälzischen LKA-Chefs Mario Germano teils stark traumatisiert waren. Dabei habe es sich vor allem um Mitarbeiter von Feuerwehren und Kommunen oder um Betroffene der Flut gehandelt. Das Gros der Vernehmungen sei bis zum Frühjahr 2022 abgeschlossen gewesen. Der Abschluss der Ermittlungen war mehrfach verschoben worden, unter anderem, weil die Staatsanwaltschaft das Ergebnis des Untersuchungsausschusses im rheinland-pfälzischen Landtag abwarten wollte.

Die aktuelle Ahr-Landrätin Cornelia Weigand sieht unterdessen neben der strafrechtlichen Frage auch eine moralische Verantwortung. «Bei einer Katastrophe dieser Dimension hätte wohl niemand fehlerfrei agiert. Aber gar nicht zu handeln, halte ich für keine Option», erklärte sie.  «Von einem Landrat oder einer Landrätin erwarte ich, in einer solchen Lage vor Ort zu sein und das in der eigenen Macht Stehende für die Menschen zu tun.»
dpa
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