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30.08.2016 | 09:40
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Bürger leiden ebenfalls unter VW-Krise

VW-Krise
Zu den Leidtragenden des Diesel-Betrugs zählen nicht nur Mitarbeiter, Zulieferer oder Aktionäre von Volkswagen. Auch die Einwohner an den deutschen VW-Standorten zahlen die Zeche mit. Dort trocknet der Skandal die Gewerbesteuerströme aus - die Gewinnmaschine VW stottert. (c) proplanta

Auch in schlechten Zeiten: Abgas-Krise zwingt VW-Städte auf Sparkurs



Den VW-Konzern nimmt sich wohl jede Stadt gerne zum Steuerzahler. In guten Zeiten zumindest. Schlechte Zeiten zählen aber auch dazu. Und die beginnen nun. Die Abgas-Krise setzt dem Autobauer heftig zu. Auch die Gewerbesteuerzahlungen, die aus dem Wolfsburger Weltreich an die deutschen Standorte fließen, brechen ein. Es geht um Hunderte Millionen Euro. Details nennt Volkswagen keine.

Die Krise um die manipulierten Diesel-Fahrzeuge - sie wächst sich auch aus zur Last für die Bürger an den VW-Standorten. Dutzende gibt es davon in Deutschland. Viele erhöhen die Abgaben, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur ergab. Einige ausgewählte Beispiele:

Wolfsburg (Zentrale, VW-Stammwerk, viele Zulieferer/Dienstleister) 

Besserverdienende zahlen mehr für die Kinderbetreuung. 720.000 Euro soll das pro Jahr bringen und direkt in Ausbau und Qualität fließen. Das Halten von Hunden kostet mehr: Die Steuer für den ersten Hund steigt um 20 Prozent, für einen zweiten oder dritten um 24 Prozent.

Der Gewerbesteuerhebesatz, zuletzt erhöht 1980, soll nicht steigen, «um die örtliche Wirtschaft gerade in den aktuell schwierigen Zeiten nicht noch weiter zu belasten». Jedoch steigt die Grundsteuer A (Land- und Forstwirtschaft) von 270 auf 320 Punkte, der Hebesatz bei der Grundsteuer B (bebauter oder unbebauter Grundbesitz) zieht um 30 Punkte auf 450 an. Die letzte Anpassung liegt gut 20 Jahre zurück.

Wer sein Auto in der Innenstadt auf städtischen Parkflächen abstellt, muss mehr bezahlen: 10 Cent pro Stunde. Ebenso wird das Baden teurer; für Kinder und Jugendliche bleiben die Preise aber konstant.

Braunschweig (VW-Komponentenwerk für Fahrwerkteile wie Achsen)

Das Parken in den städtischen Tiefgaragen hat sich seit den 1990er Jahren nicht verteuert. Nun steigen die Preise für öffentliche Parkplätze und städtische Tiefgaragen um 20 Prozent.

Der Grundsteuerhebesatz steigt um 50 Punkte auf 500 Zähler. Mieter und Hausbesitzer müssen damit tiefer in die Tasche greifen.

Die Friedhofsgebühren steigen um durchschnittlich 20 Prozent. Eine umfängliche Gebührenerhöhung gab es zuletzt 2012. Kindergräber verteuern sich allerdings mit der jüngsten Anpassung nicht.

Von der erhöhten Grundsteuer verspricht sich die zweitgrößte Stadt Niedersachsens etwa 5 Millionen Euro. Parken soll rund 1 Million Euro mehr einspielen, Friedhofs- und Bestattungsgebühren 240.000 Euro.

Braunatal (bei Kassel, Komponentenwerk, vor allem Getriebe)

Die Gewerbesteuer (brutto, ohne Umlage) hatte in der nordhessischen Stadt 2014 bei gut 72 Millionen Euro gelegen, 2015 kam mit gut 32 Millionen Euro noch nicht einmal die Hälfte zusammen. «Baunatal ist, nicht nur was die Gewerbesteuer betrifft, stark von dem ansässigen VW-Werk geprägt», sagt Stadtsprecherin Susanne Bräutigam. Ebenso wichtig wie die Gewerbesteuer seien aber die örtlichen VW-Jobs.

Noch habe Baunatal ein Finanzpolster. Aber: Im Haushalt 2016 ergebe sich ein Loch über 7,5 Millionen Euro. Eine Konsequenz sei nun: Die Kulturveranstaltungen im Rahmen des «Baunataler Herbstpalastes» werden nicht mehr an zehn, sondern nur an sechs Tagen stattfinden.

Weissach (Baden-Württemberg, Forschungszentrum VW-Tochter Porsche)

Dort gibt es zwar in diesem Jahr noch keine Haushaltssperre, wie Kämmerin Karin Richter sagt. Doch nach fast 40 Millionen Euro im vergangenen Jahr rechnet die Gemeinde in diesem Jahr nur noch mit Gewerbesteuereinnahmen von 1,5 Millionen Euro. Grund ist der Komplettausfall der Gewerbesteuern von Volkswagen.

In Weissach, wo etwa 5.500 Porsche-Mitarbeiter im Entwicklungszentrum beschäftigt sind, waren die Gewerbesteuereinnahmen schon vergangenes Jahr eingebrochen. Statt 70 Millionen Euro nahm die Gemeinde nur 38,8 Millionen Euro ein. Die allgemeinen Rücklagen - ein komfortables Finanzpolster, in denen die Einnahmen vergangener Jahre geparkt waren - lagen Anfang des Jahres noch bei 90 Millionen Euro. Doch allein in diesem Jahr braucht die Gemeinde 12 Millionen Euro aus dem Sondertopf. 2017 schmilzt er noch einmal um 32 Millionen Euro ab.

Subventionen, die Weissach Bürgern früher gewährte, verschwinden: Das Baukindergeld für Familien wurde gestrichen: 5.000 Euro je Kind. Auch weitere Zuschüsse, etwa für Musikunterricht, fallen weg. Eine Urnenbestattung kostet statt bislang 145 Euro nun 420 Euro.

Ingolstadt (Audi, 44.000 Beschäftigte)

Der Diesel-Skandal bedeutet für die Stadt das Ende der fetten Jahre - nur noch 60 Prozent des langjährigen Gewerbesteuer-Durchschnitts hält der Leiter der Kämmerei, Franz Fleckinger, für realistisch. Daher geht es wohl bald ans Finanzpolster. Die Stadt hat eine Haushaltssperre von 15 Prozent für bestimmte Ausgaben erlassen; Bauinvestitionen, Straßenbau, Personal- und Sachausgaben.

Salzgitter (VW-Komponentenwerk, vor allem Motoren, sowie MAN-Werk)

Zu konkreten Sparbeispielen machte die Stadt keine Angaben. Die Lage ist seit Jahren angespannt. Nach gut 82 Millionen Euro Gewerbesteuer (brutto, ohne Umlage) 2014 gab es 2015 im Jahr des Beginns des Diesel-Skandals nur noch 49 Millionen Euro. 2016 sollen sogar nur noch 25 Millionen Euro zusammenkommen - bei Gewerbesteuererträgen im langjährigen Mittel von gut 76 Millionen Euro. Und: Salzgitter hat bereits seit mehreren Jahren einen nicht ausgeglichenen Haushalt, es greift ein Sicherungskonzept mit «erheblichen Sparanforderungen». Deshalb muss Salzgitter Kassenkredite fürs laufende Geschäft nutzen. Diese Geldaufnahme stieg zuletzt wegen des negativen Steuertrends.

VW-Sachsen GmbH (unter anderem: Produktion VW-Passat und VW-Golf)

In Chemnitz, einem der drei sächsischen VW-Standorte, rechnet die Stadt für 2016 mit sechs Millionen Euro weniger Einnahmen als eigentlich geplant. «Der VW-Konzern ist für die Stadt Chemnitz von wichtiger Bedeutung», sagt Stadtkämmerer Sven Schulze. Konkrete Angaben macht er mit Verweis auf das Steuergeheimnis nicht.

Für 2016 rechnet der Stadtkämmerer mit einem Fehlbetrag von rund 11,8 Millionen Euro. Eine Haushaltssperre oder ein Einstellungsstopp ist nach eigenen Angaben aber nicht geplant, auch nicht die Erhöhung der Hebesätze. Durch die niedrigen Energiepreise etwa könne die Kommune an anderer Stelle vorerst sparen. Ob man langfristig nachsteuern müsse, werde sich zeigen, sagt Schulze.

In seinen drei Werken in Zwickau, Chemnitz und Dresden beschäftigt Volkswagen rund 10.000 Mitarbeiter. Das größte Werk steht in Zwickau, wo VW mit 7.900 Beschäftigten größter Arbeitgeber ist. Im Juni trennte sich VW dort von knapp 700 Leiharbeitern und befristet Beschäftigten.

Nach der Diesel-Affäre im Vorjahr verhängte Zwickau mit Blick auf zu erwartende Steuerausfälle zunächst eine Haushaltssperre, hob diese jedoch Ende 2015 wieder auf. Durch Steuernachzahlungen aus den vergangenen Jahren habe man das Defizit ausgleichen können, hieß es.

Dennoch trifft der VW-Skandal die kleine westsächsische Stadt: Waren für 2016 eigentlich 47,5 Millionen Euro Einnahmen aus Gewerbesteuern geplant, musste das auf 35 Millionen Euro korrigiert werden. Unter anderem muss die geplante Sanierung einer Schule verschoben werden.
dpa
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Kommentare 
cource schrieb am 30.08.2016 12:53 Uhrzustimmen(125) widersprechen(84)
tja, wenn es dem großen bruder(USA) dreckig geht dann kann er schon mal hinterv...sein und den kleinen bruder anscheißen und schröpfen---unzulänglichkeiten/betrug wird immer wahrgenommen und wenn dann mal not am manne ist auch eingepreist---so is'ser der knallharte turbokapitalismus aber in dem fall trifft es ja keine armen, wer zu unrecht lange abgesahnt hat kann zur abwechselung auch mal blechen
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