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26.06.2010 | 21:00 | Alkoholkonsum bei Jugendlichen  

Mathe und Bier: Trinktests an Schulen gegen Komasaufen

Potsdam/Berlin - Ein kleines Bier oder ein Gläschen Sekt, serviert vom Lehrer im Schulunterricht der 9. oder 10. Klasse?

Mathe und Bier: Trinktests an Schulen gegen Komasaufen
Was nach verkehrter Welt klingt, ist in Brandenburg erlaubt. Die Suchtberater sehen sich in Deutschland als Vorreiter, wenn es um neue Wege geht, Jugendliche vom «Komasaufen» abzuhalten. Denn die Probleme im Rest der Republik sind die gleichen: Ein Teil der Jugendlichen trinkt viel zu viel.

Doch nicht alle Präventionsstrategen sind von Trinktests in Schulen begeistert. Die Hauptstadt Berlin, in der fast jede Woche Jugendliche mit Alkoholvergiftungen ins Krankenhaus kommen, sieht sie kritisch. «Lieber schlau als blau», heißt das Pilotprojekt, das Ende 2008 in Brandenburg an den Start ging. Herumgesprochen hat es sich erst in diesem Jahr.

Das Konzept ist vom Gesundheitsministerium des Landes gewollt und wird finanziell gefördert. Simone Schramm aus der Suchtpräventions-Fachstelle hat aber immer noch viel zu erklären. Ihr wichtigster Satz lautet: «Es geht hier nicht um Rauscherfahrungen.» Es gehe darum, dass Jugendliche in der Schule beobachten und lernen, wie schon geringe Mengen von Alkohol wirken. Ein Ziel sei, dass sie sich danach selber Regeln für die nächste Party setzen: von der Alkohol-Menge bis zum Weg nach Hause.

In der Präventionsarbeit hat schon länger ein Paradigmenwechsel eingesetzt. Es geht nicht um Verbote, sondern um einen verantwortungsvollen Umgang mit Alkohol. «Kenn Dein Limit» ist ein Leitsatz der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Noch greift die neue Aufklärungstaktik wohl nicht: 2008 kamen nach der Bundesstatistik etwa 25.000 junge Leute mit Alkoholvergiftungen ins Krankenhaus. Seit dem Jahr 2000 haben sich die Zahlen verdoppelt.

Sorgen macht auch das Alter der Rauschopfer. Ihren ersten Schluck Alkohol trinken Berliner Kinder zum Beispiel schon mit 11 oder 12, mit 14 waren viele schon mal richtig «blau». Bundesweit kennt ein Fünftel der Jugendlichen beim «Saufen» kaum Grenzen. Das Trinkexperiment in Brandenburg setze vor allem auf Selbsterkenntnis, sagt Schramm. Jugendliche bekämen vom Lehrer nicht nur ein kleines Bier oder ein Gläschen Sekt, sondern auch gleich ein Pusteröhrchen dazu. Vorher sollen sie einschätzen, wie der Alkohol auf sie wirkt. Nach dem Trinken - Mengen und Zeiten kontrolliert der Pädagoge - wird der Promillegrad gemessen. Es gibt auch Konzentrationstests. Mit den persönlichen Ergebnissen wird ein Computer gefüttert.

Nach der Auswertung folgen Fragen: Hast Du das so erwartet? Was heißt das für Dich? Die Lehrer werden für das Projekt geschult. Bei jedem Schüler müssen die Eltern dem Versuch zustimmen. Möglich ist der Trinktest wegen des Jugendschutzgesetzes erst ab 16, denn ab diesem Alter darf man Bier und Wein trinken. Manche Pädagogen meldeten enttäuscht zurück, dass es auch bei den 12- und 13-Jährigen Bedarf gebe. Die Universität Münster hat das aufgegriffen. Sie sucht gerade 14 bis 16 Jahre alte Jugendliche, die zu wissenschaftlichen Zwecken Alkohol trinken.

Psychologen wollen herausfinden, wie junge Leute den richtigen Umgang damit lernen. In Berlin kann Schulsenator Jürgen Zöllner (SPD) mit Trinkexperimenten wenig anfangen. Man solle im Unterricht kein Bier verabreichen, sagte er. «Die Erkenntnis, dass Alkohol schädliche Wirkungen hat, muss nicht jeder im Selbstversuch gewinnen.» Auch Kerstin Jüngling, Leiterin der Berliner Fachstelle für Suchtprävention, hält nichts von Alkohol im Unterricht. Sie schwört neben interaktiver Alkoholprävention auf die Berliner Erfindung «Halt». Suchtberater kommen dabei ans Krankenbett von Jugendlichen, die mit Alkoholvergiftung in der Klinik liegen. Ein wenig muss sie bei der Idee vom Trinken im Unterricht auch schmunzeln: «Wie machen wir das denn dann demnächst bei Sexualkunde?» (dpa)
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