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08.01.2015 | 14:07 | Ökostrom 

Energiewende eilt ihrem Ruf voraus

Berlin - Sigmar Gabriel hat schon acht grüne Haken gesetzt, mindestens 18 weitere Vorhaben will er bis Ende 2016 schaffen.

Erneuerbare Energien
Blackouts, Firmenabwanderung, Strompreisexplosion. Sicher, vieles ist problematisch und komplex beim Jahrhundertprojekt Energiewende - aber viele Prophezeiungen sind nicht eingetroffen. 2014 gab es ein paar Lichtblicke, wie eine umfassende Auswertung der Stromdaten zeigt. (c) proplanta
«Die Energiewende ist ein gutes Stück Arbeit», bilanziert der Vizekanzler und Wirtschaftsminister.

Der SPD-Chef hat es immerhin geschafft, das zeitweilige Chaos zu bändigen. Und: Der Strompreis sinkt vielerorts erstmals seit langer Zeit. Die Experten von Agora Energiewende haben das Stromjahr 2014 mal genauer unter die Lupe genommen - und dabei einige Trendwenden entdeckt. Und besondere Tage im Mai und November.

Rekordtag



Wer weiß schon noch, was er am 11. Mai gemacht hat, einem Sonntag. Für die Energiewende war es ein ganz besonderes Datum. Mit 48 Gigawatt gab es um 13 Uhr eine so hohe Wind-, Solar-, Wasser- und Biomasse-Stromproduktion wie an keinem anderen Tag. Es ist äußerst selten, dass es sowohl viel Wind als auch Sonne gibt. Satte 80 Prozent des Verbrauchs konnten nur mit Ökostrom gedeckt werden.

Aber: Das führte wegen parallel laufender Kraftwerke zu negativen Strompreisen, für Abnehmer des Stroms gab es Geld. An 64 Stunden gab es 2014 negative Preise, 37 Millionen Euro mussten auf die Strompreise umgelegt werden.

Negativtag



Das Gegenteil war der 12. November, kaum Wind und Sonne, bei hohem Verbrauch. Einem Bedarf von 82,7 Gigawatt standen um 17 Uhr gerade mal 8,6 Gigawatt Ökoenergie gegenüber, sie deckte also nur zehn Prozent des Bedarfs. Das ist das Wesen der Energiewende - starke Schwankungen. Ohne einen Durchbruch bei der Speicherung von Ökostrom braucht es weitere Hunderte Kraftwerke, die notfalls einspringen. Damit die sich noch rechnen, bastelt Gabriel an einer weiteren Reform - das Risiko: Sonderprämien könnten den Strompreis wieder hoch treiben.

Wachablösung



Nach Angaben von Agora und des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) haben erneuerbare Energien erstmals sowohl bei der Erzeugung als auch beim Verbrauch Platz eins übernommen: Braunkohle - 2013 gab es noch die höchste Produktion seit dem Ende der DDR - ist auf Platz 2 verdrängt. Bei der Erzeugung lag der Ökoenergie-Anteil bei 25,8 Prozent, beim Verbrauch nur in Deutschland stieg der Anteil auf 27,3 Prozent. Damit liegt man genau im Zielkorridor der Bundesregierung, bis 2025 soll der Anteil der Erneuerbaren am Stromverbrauch auf 40 bis 45 Prozent steigen.

Verlierer Steinkohle und Erdgas



Während sich die klimaschädliche Braunkohle wegen niedriger Preise für CO2-Verschmutzungsrechte weiterhin rechnet, kommen nach den Gaskraftwerken auch die Steinkohlekraftwerke zunehmend unter Druck, deren Brennstoff teurer ist als bei der heimischen Braunkohle.

Die Produktion sank laut Agora seit 2013 um 7,1 Terawattstunden (TWh), bei Erdgas um 8,9 TWh. Atom blieb konstant - aber im Frühjahr gehen wegen der Stilllegung des bayerischen AKW Grafenrheinfeld weitere 1345 Megawatt aus dem Markt - sie könnten durch über 2.000 Megawatt an Leistung bei neu ans Netz gehenden Meeres-Windparks fast ersetzt werden. Allerdings fehlen noch Leitungen in den Süden - noch so eine Baustelle Gabriels.

Glühbirnen-Effekt?



Eigentlich hatte sich die Regierung schon fast verabschiedet vom Ziel, den Stromverbrauch bis 2020 um acht Prozent im Vergleich zu 2008 zu senken. Nun ist er trotz Wirtschaftswachstum um 3,8 Prozent gesunken, geschafft sind plötzlich 6,8 Prozent weniger als noch 2008. «Wahrscheinlich macht sich zum Beispiel bei der Beleuchtung auch das oft geschmähte Glühbirnenverbot bemerkbar, die LED-Beleuchtung setzt sich jetzt durch. Aber es sind auch gut zehn Terawattstunden durch den milden Winter eingespart worden», analysiert der Direktor der Denkfabrik Agora, Patrick Graichen.

Strompreis



Es gibt zwar Preissenkungen, die Ersparnis beträgt über alle Anbieter gerechnet aber nur 0,4 Prozent oder etwa fünf Euro pro Haushalt und Jahr. Aber zumindest ist der Trend nach oben vorerst gebremst. Förderkürzungen sollen die Ökostrom-Förderumlage dauerhaft im Zaum halten. Da 34,1 Terawattstunden mehr erzeugt als verbraucht wurden, hält dies die Einkaufspreise für Strom niedrig. Im Schnitt mussten 2014 wegen des Überangebots nur 33 Euro je Megawattstunde im Einkauf an der Strombörse gezahlt werden. «Wenn man will, könnte man die Strompreise um einen halben Cent je Kilowattstunde senken», sieht Graichen mehr Senkungspotenzial bei den Verbraucherstrompreisen.

Standleitung in das Ausland



Die Überproduktion infolge auch der schwer berechenbaren Wind- und Solarstromerzeugung führte zu erheblichen Stromflüssen ins Ausland, die auch dort vor allem zum Stillstehen von Gaskraftwerken führen. Richtig viel Strom importiert wurde mit netto 6,9 Terawattstunden (TWh) nur aus Tschechien. In die Niederlande gingen laut Agora netto 17,6 TWh, nach Österreich 22 TWh.

Doch der Strom-Exportmeister Deutschland kommt mangels Leitungen hier an seine Grenzen. Nach Einschätzung der Agora-Experten musste deshalb die Kohlestromproduktion in Deutschland verstärkt gedrosselt werden.

Treibhausgas-Reduzierung



Nach zwei Jahren mit einem Anstieg - auch wegen der Braun- und Steinkohlestromproduktion - geht es nun wieder in die andere Richtung. Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) rechnet damit, dass die Emissionen 2014 um etwa drei Prozentpunkte gesunken sind. Damit wird wohl auch das «Energiewende-Paradox» aufgelöst: Rund 23 Milliarden Euro an Förderung für Ökoenergie im Jahr - aber dennoch steigende Kohlendioxid-Ausstöße. Um das Ziel von 40 Prozent weniger CO2 zu schaffen, soll 22 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich bei Kohlekraftwerken eingespart werden. Auch hierfür braucht es ein Gesetz: Es bleibt noch viel Kärrnerarbeit für Gabriel. (dpa)
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