In einer Volksabstimmung sprechen sich die Schweizer eindeutig für mehr Klimaschutz aus. Ist das angesichts der erhitzten aktuellen Debatten hierzulande erstaunlich? Höchstens auf den ersten Blick. (c) proplanta
Bei einer Volksabstimmung am Sonntag stimmten knapp 60 Prozent der Bevölkerung dafür, dass die Schweiz bis 2050 klimaneutral werden soll. Ist es den Schweizern also wichtiger als den Deutschen, die Klimakrise einzudämmen? Nicht zwangsläufig. Bei genauerem Hinschauen gibt es für die Zustimmung eine einfache Erklärung.
Keine Vorreiter-Rolle
Zunächst muss man festhalten: Die Schweiz ist mit ihrem nun demokratisch legitimierten Klimaziel kein Vorreiter, sondern im europäischen Vergleich eher Nachzügler. Deutschland hat schon vor Jahren gesetzlich festgelegt, dass die Bundesrepublik 2045 klimaneutral sein soll. Norwegen möchte sogar schon 2030 klimaneutral sein, andere Länder haben etwa Pläne bis 2050.
Ebenfalls zu beachten: Die Wahlbeteiligung war in der Schweiz mit nur 42 Prozent sehr niedrig. Man kann das Ergebnis also nicht als Stimmungsbild der gesamten Schweizer Bevölkerung verstehen.
Ziel ohne Verbote
Für Remo Knutti von der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich, der auch an Berichten des Weltklimarats mitgewirkt hat, ist das Ziel trotzdem eine wichtige Weichenstellung. Allerdings: «In einigen Sektoren gibt es konkrete Ziele und Maßnahmen, aber in wesentlichen Teilen ist es nicht mehr als eine Absichtserklärung, deren Umsetzung noch verhandelt werden muss», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Die Luftfahrt und der Finanzsektor fehlten etwa vollständig. «Die Detail-Debatten sind absehbar», mutmaßte Knutti.
«Für das Parlament gibt es jedoch ab sofort nicht mehr die Frage, ob wir das lösen, sondern wie.» Auch die «Neue Zürcher Zeitung» sieht die Gefahr, dass die Schweiz zur «Ankündigungsweltmeisterin» wird, ohne sich die wirklich unangenehmen Fragen - etwa zur Energiewende - zu stellen.
Lehren aus dem jüngsten Versuch
Vor zwei Jahren ging eine andere Volksabstimmung deutlich weniger klimafreundlich aus: Die Schweizer schmetterten ein geplantes CO2-Gesetz ab, an dem Regierung und Parlament jahrelang gearbeitet hatten. Damals ging es deutlich stärker um den Geldbeutel jedes Einzelnen: Benzin und Diesel wären deutlich teurer geworden und Flugreisende hätten je nach Strecke auf ihre Tickets bis zu 120 Franken (rund 110 Euro) Klimaabgabe zahlen müssen.
Aus dieser Erfahrung habe die Politik gelernt, erläuterte die «Tagesanzeiger»-Chefredakteurin, Raphaela Birrer, in einem Podcast der Schweizer Zeitung. Diesmal habe man daher stärker auf Anreize und Förderungen gesetzt. «Auf den ersten Blick tut das eigentlich niemandem weh.» Die Debatte über konkretere Maßnahmen, wohl auch Verbote, dürfte der Schweiz also noch bevorstehen.