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13.04.2010 | 21:20 | Zwangsumsiedlung 

Nach der Meeres-Attacke kommen die Abrissbagger

Paris - Auf den Angriff des Meeres folgt für etliche Bewohner der französischen Atlantikküste nun der «Angriff» der Regierung.

Sturmflut
(c) proplanta
Rund sechs Wochen nach der Überschwemmungskatastrophe mit 53 Toten und einem Milliarden-Schaden will der Staat die Bewohner der besonders stark betroffene Gebiete zwangsumsiedeln. Mehr als 1.500 Häuser sollen schon in zwei Monaten abgerissen sein. Das wollen nicht alle Besitzer widerstandlos akzeptieren. Die ersten haben Klagen angekündigt - obwohl sie auf hohe Entschädigungen hoffen können.

Fassungslosigkeit und Entsetzen herrschen vor allem bei denen, die bei Orkantief «Xynthia» am letzten Februar-Wochenende glimpflich davongekommen sind. «Die wollen uns wohl für dumm verkaufen! Bei uns ist so gut wie nichts passiert. Warum wollen die mein Haus abreißen?», klagt ein Bewohner der 2.000-Einwohner-Gemeinde L'Aiguillon-sur-Mer. In dem Ort sollen 250 Häuser sicherheitshalber dem Erdboden gleichgemacht werden. Wahllos, wie einige meinen.

«Warum sind unsere Nachbarn gegenüber, die einen Meter Wasser im Haus hatten, nicht betroffen?», fragen Opfer der Zwangsumsiedlung, die selbst kaum einen Tropfen Atlantikwasser abbekommen haben. Die Entscheidungen der Regierungsexperten seien «einseitig, totalitär, unzulässig», schimpft Thierry Demaegdt von der Vereinigung zum Wiederaufbau der Gemeinde Charron. Auch in anderen Orten an dem Küstenabschnitt zwischen Nantes und Bordeaux gibt es nicht weniger Aufregung um die Abrisszonen.

Für die politisch Verantwortlichen ist die Entscheidung, die Bagger anrücken zu lassen, unwiderruflich. Die zuständigen Ministerien hätten die Risiken genau geprüft, sagt der Verwaltungschef des Départements Vendée, Jean-Jacques Brot. «Ich verstehe die Reaktionen; aber der Staat macht das nicht aus Lust an der Zerstörung, sondern für die Sicherheit.»

Präsident Nicolas Sarkozy hatte bereits im März den Kurs eindeutig vorgegeben. Er werde es nicht akzeptieren, dass sich Menschen in den Gebieten erneut der tödlichen Gefahr aussetzen, erklärte er bei einem Besuch im Katastrophengebiet. «Ich ertrage lieber den Zorn.» 300 bis 400 Millionen Euro Entschädigungen sollen unbürokratisch an die Bewohner der «schwarze Zone» genannten Abrissgebiete fließen.

Rückendeckung bekommt die Regierung allerdings fast nur von denjenigen, die von den meterhohen Wellen besonders stark betroffen waren. «Bei der letzten großen Springflut vor rund einer Woche haben wir alle Türen und Fenster mit Sandsäcken verbarrikadiert. Ich habe den Nachmittag mit meinen 20 Monate alten Zwillingen im Obergeschoss verbracht und hatte solche Angst. Wir können so nicht weitermachen», sagt eine Mutter aus L'Aiguillon-sur-Mer.

«Man reißt ein Stück aus unserem Leben. Aber ich kann nicht wieder zurück. Ich habe zu viel Furcht», sagt ein Bewohner von La Faute-sur-Mer. Diejenigen, die keine Angst haben, wollen nun vor die Gerichte ziehen. «Der Staat muss sich den Plan noch einmal anschauen», fordert Olivier Metzner, einer der bekanntesten Anwälte Frankreichs. Er vertritt die am stärksten vom Unwetter betroffenen Gemeinde La Faute- sur-Mer, wo rund 30 Menschen starben und 674 Häuser abgerissen werden sollen. Viele Bewohner verlangen, dass der Staat lieber sichere Deiche bauen soll. An anderen Orten gehe das schließlich auch.

Wie auch immer der Streit um die Abrissgebiete ausgeht: Ärger droht auch den politischen Verantwortlichen an der Atlantikküste. Sie stehen unter Verdacht, zu wenig vor den Überschwemmungsrisiken gewarnt zu haben. In manchen Gebieten hätten sie nach Einschätzungen von Experten überhaupt keine Baugenehmigungen erteilen dürfen. (dpa)
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