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14.07.2012 | 21:04 | Schlecker-Insolvenz 
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Könnten Schlecker-Filialen zu Genossenschaften werden?

Meiningen - Doreen Krieg glaubt an die Idee. «Es muss einer anfangen, diesen Weg zu gehen. Und dann werden andere Mutige folgen», sagt die Thüringerin.

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(c) proplanta
Die 37-Jährige hat zwölf Jahre lang in der Schlecker-Filiale im Meininger Wohngebiet Jerusalem an der Kasse gestanden.

Sie hat den Laden mit aufgebaut - und die Hoffnung nicht aufgegeben, dass es irgendwie weiter geht. Am Montag steht ein Treffen im Thüringer Wirtschaftsministerium an.

«Wir wollen dort die Idee beraten, wie Beschäftigte ihre Schlecker-Filialen übernehmen und selbst weiterführen könnten», heißt es im Einladungsschreiben der Gewerkschaft Verdi.

Doreen Krieg hofft, möglichst viele ihrer Ex-Kolleginnen zu treffen - knapp 900 haben allein in Thüringen durch die Pleite der Drogeriekette ihren Job verloren, bundesweit war bis Ende Juni für rund 13.000 Frauen Schluss.

Ihre Filialen selbst zu übernehmen, «dazu fehlt uns allein das Geld», sagt Krieg. Nötig seien möglichst viele Kunden, die Anteile an einer neuen Genossenschaft zeichnen - und zugleich durch ihre Treue zum Laden für die nötigen Umsätze sorgten.

Neben Verdi steht auch der Mitteldeutsche Genossenschaftsverband beratend zur Seite.

«Die Voraussetzungen sind günstig: Wir haben kompetente Verkäuferinnen und zumindest im ländlichem Raum Läden, die sonst leerstehen», sagt Verbandschef Gerald Thalheim. Er warnt aber davor, allein die Beschäftigungsperspektive für die Schlecker-Frauen in den Mittelpunkt zu stellen.

Grundlage könne nur ein «tragfähiges Geschäftsmodell» sein. «Wenn die Bevölkerung das Geschäft nicht als eigenen Laden empfindet, dann funktioniert das nicht langfristig», sagt er.

Nach Verbandsangaben könnte ein Anteil an einem solchen Bürgerkonsum beispielsweise 50 Euro betragen - je nach dem Willen der Mitglieder.

Das Prinzip ist «ein Mitglied, eine Stimme» - jeder kann mitreden, völlig unabhängig vom eingebrachten Kapital. Thalheim sieht darin den Gegenentwurf zum ausschließlich auf Rendite ausgerichteten Kapitalismus.

Die sozialistische Tageszeitung «Neues Deutschland» frohlockt bereits. «Wie Schlecker, nur besser», schreibt sie über die Meininger Idee.

Aber noch ist nichts spruchreif. Noch in diesem Jahr müsse der neue Laden aufmachen, sonst sei die Unterbrechung zu lang, sagt Doreen Krieg. Für sie war das Thema Genossenschaft bis vor wenigen Tagen noch ganz weit weg. «Ich weiß noch, dass ich früher diese Marken geklebt habe», sagt sie.

Die Konsummarken gibt es längst nicht mehr, in Teilen Ostdeutschlands wie etwa in Leipzig oder Dresden aber hat der Konsum überlebt - als Genossenschaft.

Aber die Idee hat auch im Westen ihre Anhänger. In Baden-Württemberg brachte Verdi das Modell mit Schlecker bereits im März in Verbindung - allerdings noch unter anderen Vorzeichen. Ging es damals um die Rettung der Kette, kommen nach dem flächendeckenden Aus aller blau-weißen Geschäfte nun nur noch dezentrale Lösungen infrage.

Auch in Sachsen gebe es «erhebliches Interesse» an Genossenschaftsläden, sagt Verdi-Bezirksleiter Thomas Voß - über die möglichen Orte sagt er noch nichts. Die Gewerkschaft sieht auch die Landesregierung in der Pflicht.

Der Thüringer Wirtschaftsminister Matthias Machnig (SPD) sicherte bereits mehrfach seine Unterstützung zu. Er sagt aber auch, dass eine Ausgründung oder Geschäftsübernahme nur für eine begrenzte Zahl einstiger Schlecker-Filialen infrage komme: «Chancen und Risiken eines solchen Schritts müssen sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.»

Sachsens Wirtschaftsministerium verweist darauf, dass unter bestimmten Voraussetzungen Bürgschaften auch für Genossenschaften ausgereicht werden können. Das Agrarministerium hat bereits für übernächste Woche Gewerkschaft, Genossenschaftsverband und Direktvermarkter zu einem Treffen eingeladen.

«Wir wollen Möglichkeiten erörtern, solche Läden im ländlichen Raum weiter zu betreiben», sagt Ministeriumssprecher Frank Meyer. Die Zusammenarbeit mit Direktvermarktern könne für ein wirtschaftlich tragfähiges Konzepte wichtig werden.

Doreen Krieg erinnert sich an «gute Umsätze» in ihrer Schlecker-Filiale. Täglich seien bis zu 1.600 Euro in die Kasse gekommen, im Monat bis zu 40.000 Euro. In Meiningen-Jerusalem gebe es Verwaltungsangestellte, Schüler, Senioren, Hartz-IV-Empfänger, zählt Doreen Krieg auf.

«Wenn das Landratsamt Pause hatte, hat die Erde gebebt», sagt die einstige Vize-Filialleiterin über den uhrzeitabhängigen Ansturm. Auch in den Unterrichtspausen der Schulen war der Laden gerammelt voll.

Sollte es weitergehen, könne das Sortiment dem Bedarf angepasst werden, sagt Krieg. Möglich seien auch Umfragen unter potenziellen Kunden.

Nun verhängen Folien die Schaufenster. Die Passanten eilen vorbei. Auch Doreen Krieg hat keinen Schlüssel mehr. Sie sorgt sich um die Einrichtung - ob sie für einen Neuanfang zur Verfügung stünde?

Einer Kollegin in einer anderen Thüringer Filiale habe der Vermieter sie für 400 Euro angeboten - das wäre günstig, findet Krieg. Als sie an den Laden kommt, grüßen fast alle. Und manche halten sogar an, schwatzen mit ihr, wollen wissen, ob es weitergeht.

«Doreen», freut sich eine ältere Dame - und umarmt sie. Keine Verwandte, keine Freundin «Das war nur eine Kundin von uns», sagt Krieg.

Es ist auch dieser Zuspruch, der sie zuversichtlich sein lässt. Obwohl es auch schon Dämpfer gab: Die Absagen der Konkurrenz, die Schlecker-Filiale in Meiningen-Jerusalem zu übernehmen. Die eher skeptischen Kolleginnen. Aber Krieg ist Kämpfen gewöhnt. Mehr als zwei Jahre hat sie gebraucht, um ihre Schlecker-Kolleginnen zur Gründung eines Betriebsrats zu überreden. Sie hat es geschafft.

Irgendwann musste Schlecker Tarif zahlen. Aber Krieg ist auch Realistin. Trotz Genossenschaftsidee hat die Betriebsrätin auch schon Bewerbungen geschrieben. «Jeder von uns will eine Arbeit haben.» (dpa)
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Kommentare 
unikat schrieb am 15.07.2012 16:29 Uhrzustimmen(48) widersprechen(50)
nein viel zu rückständig, wir haben rossmann, dm und müller, dazu stocken rewe und edeka jetzt ihre drogerieartikel auf! auch eine verkaufsstelle mit 40€ monatsumsatz ist absolut nicht tragfähig! eine durchschnittsfiliale hat einen minimalen wareneinsatz von 60T€, dazu lohnkosten, miete usw.lasst es einfach sein, denn so hart es klingt, eine schleckerfrau kennt nicht mal ein geschlossenes warenwirtschaftssystem und hat über jahre mit der zettelwirtschaft bestellt. pc gleich null, stundengerechte planung ebenfalls ein fremdwort. kennzahlen genaue bedeutung unbekannt! es reicht nicht aus einfach ware in regale zu packen und auf kunden zu warten.....nein für so etwas würde ich keinen euro geben!!!!!
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