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15.02.2013 | 05:35 | Naturschutzprojekt 

Nationalpark bleibt Streitthema im Nordschwarzwald

Baiersbronn - Lange Baumstämme liegen aufgeschichtet an der Straße - hier ein Sägewerk, da ein Paletten-Betrieb. Dazwischen immer wieder Gasthof an Gasthof, Hotel neben Hotel.

Schwarzwald
(c) proplanta
Dazwischen immer wieder Gasthof an Gasthof, Hotel neben Hotel. Auf der B462 Richtung Freudenstadt, dort, wo das enge Murgtal sich weitet, wird klar, womit die Menschen hier ihr Geld verdienen: mit Holz und Tourismus.

In der Gegend um Baiersbronn (Kreis Freudenstadt) im Schwarzwald sehen viele nun ihr Auskommen gefährdet. Und das ausgerechnet durch ein Projekt, das aus Sicht der Befürworter eigentlich der Gegend nur Vorteile bringen kann: ein Nationalpark Nordschwarzwald - das Prestigeprojekt der grün-roten Landesregierung.

Der Nordschwarzwald mit seinen großen Wäldern, eiszeitlichen Seen und verwunschenen Mooren in einer Reihe neben dem Yellowstone oder Kruger National Park. Das klingt doch gut, findet die Mehrheit im Südwesten nach einer Forsa-Umfrage. Zumal Baden-Württemberg neben Rheinland-Pfalz das einzige Flächenland ohne Nationalpark ist. In Deutschland gibt es insgesamt 14 Nationalparks, etwa im Bayerischen Wald, im Harz, im Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer und in der Sächsischen Schweiz.

Doch dort, wo er hin soll - zwischen Bad Wildbad, Herrenwies und Freudenstadt - sorgt er seit weit über einem Jahr für gewaltigen Zoff. Die Fronten verlaufen quer durch Parteien und Familien. Väter streiten sich mit ihren Kindern, Geschwister untereinander, und manch alter Freund will einen nicht mehr kennen.

Das hat auch ein alteingesessener Gastronom aus Baiersbronn erlebt, als er sich als Park-Befürworter outete. Zehn Mal zehn Kilometer Wildnis reserviert für seltene Tiere und Pflanzen sowie Naturerholung pur - der Mittvierziger findet die Vorstellung faszinierend. «Oben der Höhenkamm liegt in der Such-Kulisse», zeigt er aus dem Fenster. Und auch der Waldrücken, der dort hinten im Nebel versinkt, könnte zum Nationalpark gehören.

Es ist Nebensaison, Schmuddelwetter, und der Laden läuft. «Doch es gibt ein paar Stammgäste, die nicht mehr kommen», erzählt er. Der energiegeladene Chef des Hauses hat die Ärmel seiner Kochjacke hochgekrempelt und macht alles andere als einen ängstlichen Eindruck. Seinen Namen will er aber lieber nicht in der Zeitung lesen. «Ich möchte nicht noch weiter angegriffen werden.»

Es gibt Geschichten vom Befürworter, der kein Brötchen mehr beim Bäcker bekommt oder dem man auf der Straße vor die Füße spuckt. Zwar ist der Ton bei den Info-Veranstaltungen nach Beobachtung von Nabu-Artenschutzreferent Martin Klatt besser geworden. Mit einer kleinen Gruppe radikaler Gegner sei aber kein Gespräch möglich. «Man wird niedergeschrien», erzählt er. Und es fallen Worte wie: «Hau ab, sonst gibt's was auf's Maul.»

Wer auf seinem Auto mit Aufklebern für den Nationalpark wirbt und sich den Gegnern stellt, dem kann es wie Jochen Rothfuß passieren, dass er danach einen Kratzer an der Tür hat. «Die Emotionen kochen hoch», weiß der frühere SPD-Gemeinderat. «Und Baiersbronn ist das Epizentrum.» Viele, die dafür sind, halten deshalb lieber den Mund.

Die Atmosphäre ist so aufgeheizt, dass sogar die evangelischen Bischöfe von Baden und Württemberg, Ulrich Fischer und Frank Otfried July, eine faire Debatte angemahnt haben. Dabei geht der Riss auch durch die Kirchen: Wird die Schöpfung durch den Nationalpark oder den jetzigen Zustand bewahrt? Darüber diskutieren die Gemeinden.

Ist ganz Baiersbronn deshalb im Clinch? Michael Ruf residiert im alten Rathaus im Oberdorf. Von dort hat der Bürgermeister einen guten Blick auf den 15.000-Einwohner-Ort. «Ganz so schlimm ist es nicht», wiegelt er ab. «Es gibt kontroverse Diskussionen, aber man ist zur Sachlichkeit zurückgekehrt.»

Regierung, Naturschützer und Tourismusleute sind eher dafür, Waldbesitzer, die Holzwirtschaft und Landwirte meist dagegen - und dazwischen die hin und her gerissenen Bürger und Gastronomen des Ortes mit seinen Sterne-Restaurants. «Alle Seiten haben ein Recht, ernst genommen zu werden», betont der parteilose Stadtchef.

Der geplante Nationalpark würde zwar nur 0,7 Prozent der Waldfläche des Landes umfassen und der infrage kommende Wald gehört ohnehin dem Staat. Aber, gibt Ruf zu bedenken: «Das betrifft 50 Prozent unserer Gemarkungsfläche.»

Während die Befürworter sich durch das Schutzgebiet einen Schub für die Artenvielfalt sowie für Tourismus, Handel und Gewerbe erhoffen, haben die anderen Sorge um die örtliche Holzindustrie, weil im Park kaum noch Holz geschlagen werden dürfte. Zudem könnte sich der Borkenkäfer im sich selbst überlassenen Wald über die Fichten hermachen. Dann blieben am Ende nur tote Stümpfe.

«Das sieht dann aus wie im Krieg hier», ereifert sich ein älterer Baiersbronner im «Café am Eck». Auch für die Bedienung ist klar: «Wir brauchen den Nationalpark nicht.» Wenn sie aus dem Fenster schaut, sieht sie dunkelgrüne Fichten und Tannen, die das Tal säumen. Das soll so bleiben. Die zwei Touristenpaare, die das Ende des Regens im Café absitzen, würden hingegen gerne in unberührter Natur Urlaub machen.

Das ist typisch für die Diskussion. «Je weiter die Menschen vom Zentrum weg sind, je urbaner sie sind, desto eher sind sie pro Nationalpark», hat Klaus Nagorni vom Umweltbeirat der badischen Landeskirche beobachtet. Bürgermeister Ruf veranschaulicht die unterschiedlichen Betroffenheiten so: «Stuttgart 21 fanden wir hier auch ganz toll.»

Für die Baiersbronner und die Einwohner der anderen Gemeinden, wo der Nationalpark entstehen soll, steht weniger die Romantik einer unberührten Natur im Vordergrund. Sie leben mit und von ihrem Wald. Er lockt Touristen, sein Holz wärmt und schafft Arbeit. Auch in schlechten Zeiten hat er die Existenz gesichert, etwa in der Weltwirtschaftskrise.

Bürgermeister Ruf holt einen Aktenordner aus dem Schrank und zieht eine Kopie eines Fünf-Billionen-Scheins aus den 1920er Jahren hervor. Darauf ist der Wald abgebildet. Darunter steht: «Papier ist Schein, der Schein Papier, man kriegt bald keinen Knopf dafür. Doch unsrer Stämme Hochgestalt ist ein realer Hinterhalt - Gott schütze allzeit unsern Wald.»

Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Franzosen viele Bäume im Nordschwarzwald abgeholzt und mitgenommen, als Ausgleich für ihre Kriegsschäden. «Vor allem Frauen haben den Wald damals mit ihren eigenen Händen wieder aufgeforstet», erzählt Pfarrer Stefan Itzek aus dem wenige Kilometer entfernten Bad Wildbad (Kreis Calw). «Die Menschen leben hier mit dem Wald im Einklang und wollen weiterhin in ihm Pilze und Heidelbeeren sammeln.» Ein Naturpark mit vielen Verboten lehnt er ab. «Die große Mehrheit meint, der Wald wird ihr genommen.»

Weiter westlich in Forbach-Hundsbach (Kreis Rastatt), wo die Hänge steiler und die Straßen enger werden, wohnt einer der vehementesten Gegner des Nationalparks: Andreas Fischer. Sein Haus in abgelegener Schwarzwaldhöhe liegt inmitten saftiger Wiesen mit Blick auf den Wald. «Ich bin ein Teil des Schwarzwaldes», sagt der gelernte Journalist. Der Geschäftsführer eines kleinen Medienunternehmens steuert seit August 2011 eine Kampagne gegen den Nationalpark.

Geschätzte 100.000 Flyer und über 200 große Plakate, auf denen das Wort Nationalpark rot durchgestrichen ist, hat der Verein «Unser Nordschwarzwald» verteilt. 26.000 Unterschriften hat er gegen den Park gesammelt. Finanziert werde die Kampagne von Spenden und Beiträgen der rund 1.000 Mitglieder - ein Querschnitt aus «Wirtschaft und Bürgerschaft», so Fischer. Die Gegner plädieren für den Umbau des von Fichten dominierten Waldes zum naturnahen Bergmischwald und warnen vor einer «Borkenkäferinvasion» im Nationalpark.

Für Thomas Waldenspuhl von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt des Landes wäre das kein Drama: Erfahrungen aus den vorhandenen Schwarzwald-Bannwäldern zeigen, dass in diesen «Urwaldzellen» zwischen toten Fichten viele andere Bäume wie Kiefern, Weißtannen, Buchen, Birken, Ebereschen und jüngere Fichten sprießen. «Ich find's wunderbar», sagt der gelernte Förster über das, was entsteht, wenn man den Wald sich selbst überlässt.

Doch Fischer will keine Argumente mehr hören: «Es geht jetzt um Emotionen.» Ende vergangenen Jahres hat er noch einen Zahn zugelegt: In Internet-Schmäh-Videos werden «Die bösen Buben hinter den Kulissen: Kretschi, Bondi, Möhrli und Co.» auf's Korn genommen. Ministerpräsident Winfried Kretschmann und der in Baiersbronn lebende Naturschutzminister Alexander Bonde (beide Grüne) werden da genauso an den Pranger gestellt wie ein örtlicher Hotelier.

Fischer ist überzeugt, dass die Mehrheit der Menschen in der Region den Nationalpark ablehnt und seine Aktionen gutheißt. Naturschützer vermuten eher das Gegenteil. Doch wie die schweigende Mehrheit der Region wirklich denkt, weiß niemand genau.

Schon einmal hat sich ein Ministerpräsident an dem Vorhaben die Zähne ausgebissen. Damals hieß er Erwin Teufel und kam von der CDU. Wegen des Widerstands vor Ort und wohl auch in Hinblick auf die weitgehend konservative Wählerschaft dort hat er aufgegeben. Die grün-rote Landesregierung hat es zumindest mit Blick auf die eigenen Wähler leichter.

Der Rathauschef von Baiersbronn will seine Bürger befragen - aber erst, wenn das von Minister Bonde für den 8. April angekündigte Gutachten zum Nationalpark vorliegt. Das soll die Auswirkungen auf Tourismus, Wirtschaft und Naturschutz klären und Anregungen der regionalen Arbeitsgruppen berücksichtigen, die mehr Mitspracherechte sowie Garantien für Wirtschaft und Tourismus fordern.

Für Gegner Fischer reine Augenwischerei: «Die Landesregierung wird versuchen, den Nationalpark durchzudrücken.» Er wird weiter dagegen kämpfen - wenn auch auf verlorenem Posten. Denn über das Projekt entscheidet letztlich der Landtag von Baden-Württemberg. Allerdings dürften die grünen und gelben Protest-Plakate an Hauswänden und auf Wiesen die Touristen und Einwohner noch länger begleiten. (dpa/lsw)
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