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19.08.2019 | 02:02

Regenfälle erfordern verstärkten Kampf gegen Stechmücken

Stechmücke
Klein und wendig starten Stechmücken ihre Luftangriffe. Die Menschen entlang des Rheins und an einigen bayerischen Seen wehren sich: Sie töten die Larven der Mücken. Über den Einsatz des Mittels Bti wird jetzt aber wieder diskutiert. (c) proplanta

Sirren, nerven, stechen - Sollen Stechmücken bekämpft werden?



Als im Mai wegen kaputter Hubschrauber die Bekämpfung der Stechmückenlarven am Oberrhein teilweise ausfällt, geht ein Aufschrei durch die Gemeinden entlang des Flusses.

Die Menschen in der Nähe von Mückenbrutgebieten haben sich über Jahrzehnte daran gewöhnt, dass die jährlichen Plagen mit dem Mittel Bti eingedämmt werden. Doch seit das Artensterben bei Insekten große öffentliche Aufmerksamkeit erfährt, wird auch über die Stechmückenbekämpfung neu diskutiert. So verzichtet die bayerische Gemeinde Seon-Seebruck am Chiemsee künftig auf den Einsatz von Bti.

Entlang des Oberrheins haben sich 93 Städte und Gemeinden zwischen seit 1976 zur Kommunalen Aktionsgemeinschaft zur Bekämpfung der Schnakenplage (Kabs) zusammengeschlossen. Die Menschen in der Region bezeichnen die kleinen Blutsauger biologisch nicht ganz treffend zumeist als Schnaken. Ältere erinnern sich an Zeiten, in denen es in und nahe der Rheinauen zu bestimmen Zeiten nur für Hartgesottene möglich war, sich im Freien aufzuhalten.

Diskutiert wird nun über eine Studie der Universität Koblenz-Landau, der zufolge Bti mehr negative Auswirkungen auf den Bestand nicht stechender Zuckmücken und von Amphibien haben könnte als bisher angenommen. Zuckmücken sind eine wichtige Nahrungsgrundlage für Fische, Vögel und Fledermäuse.

Der Wissenschaftliche Direktor der Kabs, Norbert Becker, hält das für nicht nachvollziehbar und verweist auf eine Studie aus Tübingen, bei der mit einer höheren Bti-Konzentration keine Wirkung auf Frösche festgestellt werden konnte. Auch in Bezug auf die Zuckmücken zweifelt er. Die Tübinger Wissenschaftler hätten andere Bedingungen gewählt, zum Beispiel beim entscheidenden Kriterium der Wassertemperatur, erklärt dazu der Ökologe Carsten Brühl, unter dessen Leitung die Studie in Landau entstand.

Die Vorsitzende des Naturschutzbundes (Nabu) Rheinland-Pfalz, Cosima Lindemann, verweist auf Beobachtungen, nach denen es einen Rückgang bestimmter Fledermausarten entlang des Oberrheins gibt. «Wir können nicht sagen, ob das mit Bti zusammenhängt, das wäre unseriös», betont die Biologin. «Wir brauchen aber dringend Langzeitstudien, in denen die Auswirkungen des Bti-Einsatzes auf Nahrungsketten untersucht werden.»

Beim Bti habe man das Gefühl, dass es keinen Willen zu wirklich unabhängiger Forschung gebe. «Das schafft nicht gerade Vertrauen.» Vor dem Hintergrund des Insektensterbens müsse die Gesellschaft sehr genau auf die Bti-Auswirkungen schauen.

Es gebe zwar viele berechtigte Interessen bei der Schnakenbekämpfung, so Lindemann. «Man kann auch nicht einfach sagen, wir machen da überhaupt nichts mehr.» Nach ihrer Überzeugung sollte man in Deutschland aber den Blick auf die Natur überdenken. «Wir sind Luxus gewöhnt, im Wald darf mir kein Ast auf den Kopf fallen, am Rhein darf mich keine Mücke stechen, aber es soll alles schön natürlich sei. Das passt einfach nicht zusammen.»

Ähnlich argumentiert der Vorsitzende des Vereins Zukunftsforum Natur & Umwelt Ortenau, Joachim Thomas. «Nicht das eingesetzte Bekämpfungsmittel Bti alleine, sondern der Vernichtungsfeldzug gegen eine große Biomasse an Nahrungstieren in Schutzgebieten ist in Zeiten des größten Rückgangs an Biodiversität nicht mehr zu verantworten», sagt er.

Auch Forscher Brühl hält die Stechmückenbekämpfung mit Bti am Oberrhein für überzogen. «Wenn ich Stechmücken zu 98 Prozent und Zuckmücken zu mehr als 50 Prozent aus dem Ökosystem herausnehme, kann ich damit rechnen, dass das Konsequenzen für das Nahrungsnetz hat und andere Organismen reduziert.»

Der Einsatz solle langsam zurückgefahren werden. Stattdessen könnten lokale Fallen aufgestellt und die Häuser der Anwohner mit Mückenschutzgittern versehen werden. Er setzt auf mehr natürliche Feinde der Insekten. Eine einzelne Fledermaus kann nach Expertenschätzungen an einem Abend 1.000 bis 2.000 Mücken fressen.

Becker kommt in der Diskussion zu kurz, dass Stechmücken als Nahrungsgrundlage anders als Zuckmücken eine untergeordnete Rolle spielen. Sie seien nur zeitweise da und oft erst, wenn die Vogelaufzucht schon vorbei sei. Ihre Vermehrung hänge vom unregelmäßig auftretenden Hochwasser ab. Außerdem sei der Energiegehalt der Stechmücken gering.

Er verweist auf eine noch laufende Befragung der Bevölkerung entlang des Rheins. Seine Erfahrung sei, dass die Schnakenbekämpfung von den Menschen wertgeschätzt werde. Sie trage dazu bei, dass man am Oberrhein genauso wohl fühlen können wie in Stuttgart oder Köln.

Das Konfliktpotenzial sei besonders durch das veränderte Freizeitverhalten gestiegen, so Umweltschützer Thomas. Früher hätten die Menschen Aktivitäten an Gewässern am Abend gemieden. «Die Eigenverantwortung des Einzelnen wie entsprechende Kleidung und Verhaltensweisen, die wir bei Urlaubsreisen in ferne Länder als selbstverständlich ansehen, sollten vor der eigenen Haustür nicht als unzumutbare Einschränkung hochstilisiert werden.»

Während am Rhein eine Abkehr von Bti für die Städte und Gemeinden offenbar - noch - kein Thema ist, plant die Gemeinde Seeon-Seebruck am Chiemsee eine Zäsur. Nächstes Jahr soll Schluss sein mit dem Bti-Einsatz. «Der Gemeinderat hat entschieden, sich 2020 nicht mehr an der Stechmückenbekämpfung zu beteiligen», sagt Bürgermeister Bernd Ruth. Für den Einsatz von BTI sei ein langwieriges Verfahren nötig, das wissenschaftlich und behördlich begleitet werden müsse.

In diesem Jahr hätten die Vorbedingungen zwar gestimmt. Wetterbedingt seien die Entwicklungsstadien der Larven aber zu unterschiedlich gewesen, um sie mit einem Bti-Einsatz abzutöten, sagt Ruth. «Das Bekämpfen hätte nicht viel gebracht.»

Dabei war es gerade im Juni extrem. «Wir hatten etliche Gäste, die sofort wieder abgereist sind. Wir habe auch Post bekommen von Gästen, die gesagt haben: Wir fahren wieder.» Es gehe bei dem Bti-Einsatz somit auch um den Tourismus, so Ruth. «Wenn man dem Touristen sagenkann: Wenn es möglich ist, unternehmen wir etwas, dann ist er schon zufrieden.» Die Wirkung könne bei steigendem Umweltbewusstsein ohnehin auch gegenteilig ausfallen: «Dass der Tourist nicht mehr kommt, weil es gemacht wird.»
dpa
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