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05.06.2012 | 21:09 | Woche der Umwelt 

Grünes Wachstum - Regierungsberater fordern radikale Reformen

Berlin - Peter Altmaier erinnert sich noch genau an die schwarzen, giftigen Ablagerungen am Ufer der Saar. «Eine dunkle, stinkende Brühe war das in den sechziger Jahren», berichtet der CDU-Bundesumweltminister (53) aus seiner Kindheit.

Falter
(c) proplanta
Es folgte ein Umsteuern, auch dank Umweltbewegung und Grünen. Heute, wo an der Ruhr der Himmel wieder blau und der giftige Schaum auf den meisten Flüssen verschwunden ist, gibt es neue, komplexe Herausforderungen.

Die Energiewende ist nur ein Ansatz auf dem Weg zu einer Abkehr vom Leben auf Pump, auf Kosten von Natur und Rohstoffen. «Grünes Wachstum» lautet das Zauberwort. Deutschland könnte hier ganz vorne mitspielen. Bis Mittwoch noch ist im Park von Schloss Bellevue auf Einladung von Bundespräsident Joachim Gauck bei der «Woche der Umwelt»  die ganze kreative Palette der Umweltpolitik zu sehen. Altmaier will sich für Wege hin zu einem grüneren Wirtschaften auch Mitte Juni beim UN-Umweltgipfel in Rio de Janeiro einsetzen.

Auch Gauck brennen diese Fragen auf den Nägeln, er fragt in seiner Eröffnungsrede am Dienstag: «Wie können wir in Zukunft gut leben und wirtschaften, ohne dafür große Mengen an fossilen Bodenschätzen zu verbrauchen? Wie vermeiden wir es, Böden, Atmosphäre und Meere zu vergiften? Wie kann es uns gelingen, für heute sieben, später acht oder gar neun Milliarden Menschen Bedingungen für ein menschenwürdiges Leben zu schaffen?» Es sei unverantwortlich, den Enkelkindern die heute entstehenden Umweltprobleme aufzubürden.

Während Deutschland zum Sonnen- und Windstromland werden will und schon fast 65 Prozent seines Hausmülls wiederverwertet, wird in vielen Staaten hemmungslos weiter auf Kosten von Ressourcen und Umwelt gelebt. Martin Faulstich, Vorsitzender des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU), zeigt eine Übersicht an Grafiken: Der Verbrauch fossiler Rohstoffe wie Öl, Gas und Kohle, der CO2-Ausstoß, der Güter-, Luft- und Schiffsverkehr: Alle Kurven zeigen steil nach oben. «Ein Absinken ist leider fast nirgends auszumachen.» Die vom Club of Rome einst beschworenen Grenzen des Wachstums rücken näher.

In Kanada werden gewaltige Flächen für immer unbrauchbar gemacht, weil die Ausbeutung der Ölsände helfen soll, dass weiter Millionen Autos fahren und Flugzeuge fliegen können. In Deutschland soll unter Einsatz von Chemikalien künftig Gas aus tiefen Gesteinsschichten gewonnen werden - Bürger fürchten eine Verseuchung des Trinkwassers. Die Lausitz und die Region um Garzweiler in Nordrhein-Westfalen sehen wegen des sich immer weiter vorfressenden Braunkohleabbaus aus wie Mondlandschaften - denn ohne Kohlekraftwerke geht es noch nicht.

Der SRU hat zu seinem 40-jährigen Bestehen ein 716 Seiten dickes Werk vorgelegt, in dem Vorschläge zum Umsteuern gemacht werden. «In einer begrenzten Welt kann es kein unbegrenztes Wachstum geben», sagt Faulstich. Das Beratergremium der Bundesregierung betont, es müsse künftig um eine Entkopplung von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch gehen. Bereits in den 70er Jahren machte der SRU Vorschläge zum Recycling von Dosen - einige ihrer neuesten Ideen muten aber auch etwas utopisch an. Etwa eine Elektrifizierung von Autobahnen für Lkw, um deren hohen Co2-Ausstoß massiv zu senken.

In den Fokus nimmt der SRU aber auch die Folgen unseres Konsums. Laut einer Studie wirft jeder Bundesbürger im Schnitt knapp 82 Kilo Lebensmittel im Jahr weg. «Der hohe Konsum tierischer Produkte in Deutschland, welche je «Kalorie» deutlich mehr Fläche als pflanzliche Produkte beanspruchen, ist im Hinblick auf die wachsende Weltbevölkerung und die gravierenden Umweltfolgen einer intensiven Landwirtschaft nicht global verallgemeinerungsfähig», wird vom SRU betont. Um den Fleischkonsum zu drosseln, wird ein Aus für den reduzierten Mehrwertsteuersatzes von sieben Prozent gefordert.

Faulstich will den Eindruck vermeiden, er wettere gegen Wachstum. Aber dieses müsse nachhaltiger sein. Die Energiewende kann zum Exportschlager werden, sicherlich. Aber besonders deutlich zeigt sich das Potenzial grünen Wachstums beim Recycling von Rohstoffen, der Zweig macht in Deutschland schon 50 Milliarden Euro Umsatz. Der SRU fordert ein Handy- und Computerpfand, damit wertvolle Metalle in kaputten Geräten nicht mehr verbrannt oder verschrottet, sondern recycelt werden. Unternehmen könnten so Geld für Rohstoffe sparen. «Jede siebte in Deutschland verbrauchte Tonne Rohstoffe kommt schon heute aus der Recyclingwirtschaft», skizziert Peter Kurth, Chef des Bundesverbands der Entsorgungswirtschaft, das große Potenzial. (dpa)
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