Vorsprung durch Wissen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
20.06.2009 | 14:17 | Umweltschutz  

Watt als Welterbe? Entscheidung fällt diese Woche

Wilhelmshaven - Fern der Tourismusmagneten wie Norddeich oder St. Peter-Ording gibt es Küstenstreifen am Wattenmeer, von deren Zauber die Wenigsten etwas ahnen.

Ebbe und Flut
(c) proplanta
Das ostfriesische Hilgenriedersiel ist so ein Ort. Üppige Salzwiesen und ein einzigartiger Naturstrand liegen dort im Niemandsland verborgen vorm Deich. Stark bedrohte Vögel wie der Goldregenpfeifer staksen bei Ebbe über den glitzernden Meeresboden, der am Horizont mit dem Himmel verschmilzt. Weit und breit gibt es keinen Hinweis auf Menschen. Es ist so ruhig, dass vom Boden ein Knistern aufsteigt. Das sind die Schlickkrebse. Und mit ein wenig Glück ist eine Strandkrabbe bei der Häutung zu bestaunen.

Diese Landschaft mit ihrem einzigartigen Zauber wird diese Woche nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur dpa aller Voraussicht nach zum Erbe der Menschheit erklärt werden. Vom 22. Juni an berät die UNESCO - die UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur - im spanischen Sevilla über den Weltnaturerbe-Antrag, den der Bund, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und die Niederlande Anfang 2008 eingereicht haben. Gibt es ein «Ja», wäre das Watt die erste deutsche Naturlandschaft mit Welterbe-Status und stünde auf einer Stufe mit so bekannten Naturwundern wie dem Great Barrier Reef, dem Grand Canyon, den Galapagos-Inseln oder dem Serengeti-Nationalpark.

Um diesen Ritterschlag zu begründen, wird die Einzigartigkeit des Watts von A wie Austernfischer bis Z wie Zwergseegras in dem mehrere hundert Seiten starken Bewerbungsdossier beschrieben. «Es ist eine Landschaft von außergewöhnlicher Schönheit», heißt es in dem Papier über jene Gegend, die weit mehr zu bieten hat als kulleräugige Seehundbabys und Krabbenkutter-Romantik. So ist sie etwa die zentrale Drehscheibe des internationalen Vogelzuges von der Arktis über Sibirien bis nach Südafrika. In dem Dossier steht, die Vielfalt der Lebensräume schwanke zwischen «bemerkenswert stark» und «geradezu einmalig». Seit 1991 liefen die Vorbereitungen für das Schriftstück. Im Herbst 2008 inspizierte eine Jury der Weltnaturschutzunion IUCN im UNESCO-Auftrag das von List bis Den Helder reichende Gebiet.

Ob sich die Mühe lohnt, wird die Welterbe-Kommission irgendwann während ihrer Sitzung vom 22. bis zum 30. Juni entscheiden. Dieter Offenhäußer, Sprecher der deutschen UNESCO-Kommission, rechnet mit einer Veröffentlichung des Entschlusses schon am 24. Juni. Eine Prognose will der Leiter der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer, Peter Südbeck, aber nicht abgeben. In seinem Hause in Wilhelmshaven sitzt auch das Gemeinsame Wattenmeersekretariat, das das Dossier ausarbeitete. «Wir hoffen natürlich, dass es etwas wird. Aber eine Vorab-Einschätzung wollen wir nicht geben», sagt Südbeck.

Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) ist da offensiver: «Das Wattenmeer hat eine herausragende Bedeutung im globalen Ökosystemverbund für Zugvögel, Robben und Seehunde», sagt der Landesvater, der die Bewerbung mit unterzeichnet hat. «Ich bin optimistisch, dass es mit dem Titel Weltnaturerbe klappt.» Sein schleswig-holsteinischer Amtskollege Peter Harry Carstensen (CDU) sieht das ähnlich: «Das Wattenmeer an der deutschen Nordseeküste ist das größte Wattenmeer der Welt. Es ist eines der wertvollsten der Welt. Und ich glaube an eine objektive Entscheidung. Wir sind in der Lage gewesen, die Nutzung des Wattenmeeres und seinen Schutz optimal abzustimmen. Das zählt. Und deshalb bin ich zuversichtlich.»

Nutzung und Schutz - das ist der Knackpunkt. Am Watt gibt es knallharte wirtschaftliche Interessen. Es gibt Begehrlichkeiten für den Ausbau der Gas- und Öl-Förderung. Die Kabel für Dutzende auf hoher See geplante Windparks müssen bald durchs Watt gezogen werden - 2008 geriet die erste Anbindung zur Blamage, als das mit Ausnahmen eröffnete Zeitfenster vorne und hinten nicht reichte. Die Zugvögel litten, als Bagger dort dröhnten, wo sonst der Weg nicht einmal für das Verrichten einer Notdurft verlassen werden darf. Der Druck durch Freizeitsport wie Kite-Surfing steigt und schmälert Schutzflächen.

Die entscheidende Frage ist also, was die Auszeichnung dem Watt brächte. Hubert Farke, Koordinator der Bewerbung in Wilhelmshaven, sagt: «Unter einem UNESCO-Welterbe wird man das Nationalparkgesetz schwieriger ändern können. Das ist eine zusätzliche Absicherung bei all den Begehrlichkeiten.» Mit Blick auf Hamburg stimmt das. Aus Angst um die Elbvertiefung hatte der Senat die Unterstützung für die Bewerbung zurückgezogen. Dänemark war zuvor abgesprungen.

Manfred Knake, Sprecher der Umweltschutz-Organisation Wattenrat, glaubt nicht an mehr Schutz für die Natur: «Die UNESCO-Auszeichnung wäre nur ein Werbeetikett. Die Intention der Anmeldung ist, schnell die Kasse klingeln zu lassen - und nicht, der Menschheit langfristig eine einzigartige Landschaft zu bewahren.» Der Massentourismus würde sich verstärken - allein an Niedersachsens Küste seien es schon jetzt etwa 30 Millionen Übernachtungen pro Jahr. So sagt Ministerpräsident Wulff auch deutlich: «Gewinner wäre die gesamte Region, die dadurch auch für Touristen an Attraktivität noch weiter gewinnen würde.»

Hans-Ulrich Rösner von der Umweltstiftung WWF hofft aber auf die Auszeichnung: Sie wäre zunächst Anerkennung für die jahrelangen Schutzbemühungen am Watt und helfe dann, den Ist-Zustand zu sichern. Zudem wäre die Anerkennung auch eine umweltpolitisches Druckmittel. «Denn Naturschutz im Wattenmeer wird in Zukunft eher mehr kosten.» (dpa)
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 Wird das Krabbenbrötchen zum Luxusgut?

 Klimawandel bringt beispiellose Veränderungen für Wattenmeer

  Kommentierte Artikel

 Geld wie Heu - Geht auf den Bauernhöfen wirklich die Post ab?

 Tote Ziegen im Schwarzwald gehen auf Rechnung eines Wolfs

 Gärtner verzweifeln über Superschnecke

 Bauerndemo in Brüssel für faire Preise

 Tierschutznovelle erntet Kritik von allen Seiten

 Online-Abstimmung über Verbrenner-Verbot manipuliert?

 Wut und Wahlen 2024: Die zunehmend mächtige Gruppe der Nichtwähler

 NRW-OVG verhandelt Streit um ein paar Gramm Wurst zu wenig

 Ruf nach Unterstützung der Imker

 Kein kräftiger Aufschwung in Sicht - Wirtschaftsweise für Pkw-Maut