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07.08.2010 | 22:20 | Klimapolitik  

Wie Regierungs-Unterhändler beim UN-Klimaschutz tricksen

Bonn - Beim globalen Klimaschutz sind Sonntagsreden der Politiker an der Tagesordnung.

Emissionen
(c) proplanta
Jeder Regierungschef warnt vor der ungebremsten Erderwärmung. Doch beim Handeln und Verhandeln wird die Rhetorik-Show schnell zur Makulatur, der Endzeit-Alarm mutiert zum für Beobachter unverständlichen Klein-Klein-Geschacher. Das machte schon der weitgehend gescheiterte Kopenhagener Klimagipfel deutlich.

Ähnlich sieht es jetzt wieder auf dem UN-Verhandlungsweg zum nächsten Gipfel in Cancún (Mexiko) aus, wie die am Freitag beendete jüngste Bonner UN-Konferenz zeigte. Knapp vier Monate vor Cancún ist ein neues verbindliches Abkommen jenseits jeder realistischen Vorstellung. Auch eine Fortschreibung des Kyoto-Protokolls ist nicht in Sicht.

Verhandlungswunder sind nicht mehr zu erwarten - zumal sich in den USA gesetzlich nichts bewegt. Nach Auslaufen des Kyoto-Protokolls droht der Welt ab 2013 eine Abkommenlücke. Kein Industrieland will zu große Einschnitte in seine herkömmliche Wirtschaftsweise mit fossilen Energieträgern wie Öl und Kohle hinnehmen. Neu aufkommende Schwellenländer wie China und Indien wollen weiter wachsen und nur begrenzt in die Pflicht genommen werden. Das lähmt die Verhandlungen und spornt die von ihren Hauptstädten instruierten Klimadiplomaten zu Erfindungsreichtum, Blockade- und Verzögerungstaktiken und klimaunfreundlichen Tricks an.

Statt Lösungen einzugrenzen wurden in Bonn immer neue Vorschläge auf diesen Linien gemacht und vorliegende Verhandlungstexte wieder aufgebläht. Im Kern läuft das ganze Bestreben darauf hinaus, dem eigenen Land möglichst wenig Netto-Klimaschutz aufzubürden. Damit steht auch die Glaubwürdigkeit des globalen Klimaschutzes auf dem Spiel.

Auch die EU und Deutschland, die sich in der Öffentlichkeit gerne als Vorreiter beim Klimaschutz darstellen, haben sogenannte Schlupflöcher auf den Verhandlungstisch gelegt. In der Summe würden die Schlupflöcher den Industrieländern sogar einen Anstieg der Treibhausgase ermöglichen, empörten sich Umweltorganisationen. Dies sei «schockierend». «Mit solchen Wegen wird die Öffentlichkeit beim Klimaschutz hinters Licht geführt», sagt der langährige Konferenzbeobachter und Politische Geschäftsführer von Germanwatch, Christoph Bals.

Besonders störend sei, dass nun auch Deutschland, das früher gegen Schlupflöcher gewesen sei, seine Minderungsziele durch günstige Anrechnungen bei Waldbestand und Waldbewirtschaftung «schönrechen» wolle. In Folge der Kopenhagen-Vereinbarung legten inzwischen fast alle Industrieländer freiwillige Zusagen zur Minderung ihrer Treibhausgase bis 2020 vor. Nach mehreren Studien und auch nach Angaben des UN- Klimasekretariats liegen diese Zusagen im Schnitt zwischen 12 und 18 Prozent im Vergleich zu 1990.

Nach Vorgaben des Weltklimarats (IPCC) sind jedoch rund 25 bis 40 Prozent Minderung notwendig, um die Erderwärmung bis Ende des Jahrhunderts - gerade noch beherrschbar - auf zwei Grad zu begrenzen. Doch selbst die bisherigen Zusagen sind schwammig und außerdem keine reinen Minderungsziele. Sie wurden in den jüngsten Bonner Verhandlungsrunden durch bereits im Kyoto-Protokoll verankerte oder neu ins Spiel gebrachte Schlupflöcher weiter aufgeweicht. Dazu gehören etwa «heiße Luft» (Emissionsrechte, die gar nicht gebraucht werden), günstige Anrechnungen beim Waldschutz und der Forstwirtschaft (Bäume als Kohlenstoffspeicher) sowie Investitionen von Industrieländern in Projekte für saubere Energie in Entwicklungsländern (CDM).

Zu den Schlupflöchern des Kyoto-Protokolls zählt etwa, dass vor allem Russland und der Ukraine mit dem Basisjahr 1990 angesichts des Zerfalls der Sowjetwirtschaft ein Überschuss an Emissionen («heiße Luft») zugestanden wurden, die sie im erlaubten Emissionshandel an andere Länder verkaufen können. Im Endeffekt bedeutet dies für den Planeten keine Minderung an Emissionen. Russland und auch die Ukraine möchten diese lukrative Möglichkeit auch gerne so weit wie möglich weiter nutzen. Entsprechend legten sie ihre neuen Zusagen und Forderungen aus. Nach einer aktuellen Studie von Umwelteinrichtungen (Stockholm Environment Institute, Third World Network, Sustainability Council of New Zealand) würden solche fragwürdigen Instrumente es den Industrieländern sogar erlauben, auch weiter «business as usual» zu betreiben. Diese Schlupflöcher könnten sich im Effekt auf mindestens 15 Prozent der Minderung summieren - die Zusagen würden so ungefähr gegen Null tendieren.

Eine CO2-Reduktion im eigenen Land und durch eigene Unternehmen wäre also weitgehend überflüssig. Dabei sind die klimafreundlichen Effekte der jüngsten Wirtschaftskrise nicht einmal eingerechnet. Umweltorganisationen und Klimaexperten fordern daher einen anderen Verhandlungsweg, der Schlupflöcher schließt. Danach sieht es aber nicht aus. Das Tricksen geht weiter. Für einen effektiven globalen Klimaschutz verheißt das nichts Gutes. (dpa)
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