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18.11.2012 | 06:32 | Tante-Emma-Laden 

Aus Schlecker-Filialen werden Dorfläden

Stuttgart - Wo früher blaue Schlecker-Aufkleber waren, leuchtet es heute giftgrün. «Drehpunkt» prangt auf den Scheiben eines kleinen Ladens im schwäbischen Erdmannhausen.

Tante-Emma-Laden
(c) proplanta
Das grüne «P» ist verkehrt herum angebracht. Mit Absicht. «Wir drehen Schlecker rum», sagt Karin Meinerz. «Es entsteht was Neues.» Die frühere Schlecker-Filiale ist bundesweit die erste, die in Form eines Genossenschaftsmodells wiedereröffnet - mit neuem Logo und anderen Marken. Gut ein Dutzend weitere sollen in den kommenden Monaten folgen. Das Prinzip ist einfach: Schlecker raus, Dorfladen rein.

Monatelang hat Meinerz mit ihren Kolleginnen Bettina Meeh und Annemarie Keller alles Blaue aus dem Laden entfernt und durch leuchtendes Grün ersetzt. «Es war klar, dass das Blau wegkommt. Das wollten wir nicht. Weil Schlecker ein Kapitel war, das abgeschlossen ist», sagt sie. Zehn oder sogar 19 Jahre haben sie und ihre Mitstreiterinnen für die Drogeriekette mit dem blau-weißen Logo gearbeitet. Dann kam die Insolvenz. Die jüngste der drei Frauen ist 47, die älteste 58 Jahre alt.

«Die Frauen kriegen auf dem Arbeitsmarkt nichts mehr», sagt Christina Frank von Verdi. Die Gewerkschaftssekretärin hat das Genossenschaftsmodell, das zunächst in Baden-Württemberg erprobt wird, mit ins Leben gerufen. Seit Monaten wirbt sie um Geldgeber für die neuen Dorfläden, die den Schlecker im Ort zwar ersetzen, aber zumindest optisch nicht mehr an ihn erinnern sollen. Zunächst sollen alle das grüne Drehpunkt-Logo bekommen.

«Ich habe sofort gewusst, dass ich da mitmache», erzählt Meinerz. «Ich habe keine Minute überlegt.» Mittlerweile interessieren sich Verdi zufolge rund 50 frühere Schlecker-Mitarbeiterinnen für das Modell. Ganz ohne Risiko gehe es nicht, räumt Verdi-Sekretärin Frank ein. Es sei allerdings überschaubar.

Für jede Filiale soll eine eigene Mini-GmbH gegründet werden, für die bereits ein Euro Startkapital reicht. Eine übergeordnete Holding übernimmt dann beispielsweise Buchhaltung und Einkauf. Gerät ein Markt in Schieflage, werden die anderen so nicht mit hinab gerissen. Finanziert wird das Modell durch Spenden - von Privatleuten, der Gemeinde, Kirchen, Gewerkschaften oder auch den Vermietern der Läden.

Meinerz und ihre Mitstreiterinnen zahlten selbst jeweils 100 Euro ein. Die Startfinanzierung von 30.000 Euro kam durch Spenden zusammen. Sollte des Projekt schiefgehen, würden sie aber auf der Ware sitzenbleiben - und müssten möglicherweise noch drei Monate Miete zahlen.

«Wir sind einfach nicht die Typen, die auf der faulen Haut liegen», sagt Meeh. «Mir ist die Decke schon nach drei Tagen auf den Kopf gefallen.» Bei der Schlecker-Insolvenz Anfang des Jahres hatten rund 24.000 Frauen ihre Jobs verloren. Nach Angaben der Agentur für Arbeit hat mittlerweile jede Dritte wieder eine Stelle.

Kondome, Shampoo, Duschgel. Im «Drehpunkt» in Erdmannhausen gibt es zwar auch das klassische Drogerie-Sortiment. Neben der grünen Farbe soll aber einiges anders werden als zu Schlecker-Zeiten. «Dass wir auf die Kunden eingehen, wenn sie irgendwelche Wünsche haben», sagt Annemarie Keller. Die fänden dort auch «Sachen, die ich nicht überall bekomme», ergänzt Meinerz.

In einer Ecke stehen Geschenke. Adventskränze, Gestecke, Weihnachtskugeln. Keller hat sie selbst gemacht. «Vorher habe ich die auf dem Weihnachtsmarkt verkauft», erzählt sie. «Heute habe ich meinen eigenen Markt.» Älteren Kunden wollen die Frauen ihre Einkäufe auf Wunsch auch nach Hause bringen.

Überhaupt die Menschlichkeit. «Die Leute kommen und schwatzen», erzählt Meinerz. Wenig später spaziert ein älterer Herr durch die Ladentür. Geöffnet hat «Drehpunkt» noch nicht, umschauen will er sich trotzdem schon mal.

Einkaufen könne er dann an diesem Samstag, wenn das Geschäft öffne, erklären ihm die Frauen. Christina Frank von Verdi will einen Trompeter organisieren. Kinder sollen kleine Geschenke bekommen. Mittags gibt es Sekt für die Kunden. «Und wir gehen irgendwann blau nach Hause», scherzt Meinerz. In anderer Form dürfte die Farbe an diesem Tag wohl nicht mehr auftauchen. (dpa)
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