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21.01.2013 | 19:00 | Grüne Woche 2013 

Auf der Grünen Woche: Erst informieren - dann schlemmen

Berlin - Grüne Woche ist Schlemmerwoche. Aber die Messe hat sich verändert, unter dem Druck von Verbraucher- und Tierschützern.

Schlemmerwoche
(c) proplanta
Es ist kurz vor Mittag, und in Halle 22 b knallen die Bierkrüge schon aneinander. Gejohle auf den Holzbänken, die Blaskapelle schmettert zünftige Musik. Männer in Lederhosen, Frauen in Trachten - wer die Grüne Woche in Höchstform erleben will, muss in die Bayernhalle gehen. Hier ist die Welt noch in Ordnung, spätestens wenn das erste Weißbier an den Tisch kommt. Der Krustenbraten dampft.

Es ist mal wieder Internationale Grüne Woche in Berlin. Zehn Tage lang findet in den Messehallen unter dem Funkturm die größte Agrarmesse der Welt statt. 400.000 Gäste werden bis Sonntag erwartet, von denen die meisten wohl zum Schlemmen kommen. 100.000 Nahrungs- und Genussmittel aus 60 Ländern - die kulinarische Vielfalt ist riesig. Vielleicht eine Portion Känguru-Gulasch? Russischer Kaviar oder Trüffel - auch kein Problem. «Hallo, hier gibt's was!», ruft ein Imker dazwischen, der süßen Honig verkauft.

Trotzdem, etwas hat sich geändert auf der Grünen Woche. Die Atmosphäre ist kühler, es geht nicht mehr ganz so unbeschwert zu wie früher. Klar, das Gedränge ist nach wie vor groß. Mit hungrigen Blicken zieht die Menschen-Karawane von Stand zu Stand. Aber es gibt auch diejenigen, die bei dem Wort «Schlemmen» einen Wutanfall bekommen. Und sie verschaffen sich immer mehr Gehör, mit Themen wie Massentierhaltung, Agrargiften oder Bienensterben. Und Banken fördern mit Spekulationen auf Nahrungsmittel angeblich den Hunger in der Dritten Welt.

Während in den Messehallen also gemampft wird, rüsten sich draußen die Gegendemonstranten. Rund 25.000 Menschen sind es, die am Wochenende unter dem Motto «Wir haben es satt» in Berlins Mitte auf die Straße gehen. Die Kälte ist eisig. Mit Pappschildern fordern die Protestierer eine Wende in der Agrarpolitik: «Keine Gentechnik auf unseren Tellern» und «Tierfabriken - Nein Danke». Dann Abschlusskundgebung vor dem Kanzleramt: Von der Grünen Woche dürfe man sich nicht blenden lassen, mahnt der Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger. «Hinter dem schönen Schein der Messestände verbirgt sich millionenfaches Tierleid.»

Essen und Trinken ist im Jahr 2013 ein Politikum. Man ist, was man isst - dieser Spruch galt noch nie so sehr wie heute. Daher hat sich auch die Grüne Woche, die alljährliche Leitmesse der modernen Ernährung, angepasst. Wer das Spektakel früher besuchte, wollte sich den Bauch vollschlagen. «Da konnte man sich noch durchfressen und durchsaufen», schwärmt ein Industrieller, der schon vor der Wende hinging. Heute gibt es fast nichts mehr gratis. Selbst kleine Häppchen kosten ein oder zwei Euro. Aber: Die maßlose Völlerei gilt ohnehin nicht mehr als politisch korrekt. Dem Besucher werden jetzt neue Schwerpunkte nahegelegt, allen voran von der Politik.

Einen Käsewürfel ließ sich Angela Merkel (CDU) zur Kostprobe reichen, das hielt die Bundeskanzlerin bei ihrem Eröffnungsrundgang noch für vertretbar. Bloß keine falschen Symbole, die Bilder wären für die Ewigkeit. Helmut Kohl konnte so was noch egal sein. Er ging vor 30 Jahren als letzter Regierungschef über die Berliner Agrarschau. Kohls Lieblingsgericht: Pfälzer Saumagen, eine Kalorienbombe.

Ein Hauptfokus heute liegt auf Information. Der Bürger soll auf der Grünen Woche zum mündigen Verbraucher erzogen werden. Vorbildlich voran geht hier das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Das BMELV hat auf der Grünen Woche eine ganze Halle angemietet, um die Bürger über gutes und schlechtes Essen aufzuklären. Die Sonderschau in Halle 23 a heißt «Verbraucher und Landwirtschaft - Gemeinsame Verantwortung für Mensch, Tier und Umwelt.» Zu essen gibt es hier fast nichts.

Im Vergleich zur lustigen Bayernhalle ist die Stimmung folglich gedämpft, das BMELV-Interieur wirkt steril. Auf vielen Tafeln wird über die richtige Ernährung informiert. «Hast Du den Durchblick?», heißt ein Ratespiel für die ganze Familie. Beispielfrage: Wie viel kostet die jährliche, vermeidbare Verschwendung von Lebensmitteln auf Deutschland hochgerechnet? 21,6 Milliarden Euro, erfährt man als Antwort. Ganz schön viel Geld.

Ein paar Meter weiter geht es um das richtige Verhalten im Supermarkt. «Augen auf beim Rindfleischkauf», mahnt ein Stand. Hier wird erklärt, wie man die Herkunft eines Steaks auf der Verpackung zurückverfolgen kann. Für Wurst oder Grillfleisch gelte die Kennzeichnungspflicht aber nicht, informiert eine Mitarbeiterin. Warum nicht? «Keine Ahnung, das hat man so festgelegt», sagt sie schulterzuckend. Ihr Kollege lacht sarkastisch auf, als sei das mit dem Verbraucherschutz ohnehin alles Schwindelei. Aber die Grundbotschaft in der Ministeriumshalle ist klar: Die Konsumenten müssen ihr Verhalten ändern.

Günter Zengerling vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft (ZDG) ist entspannt. Der Messestand des Lobbyverbands («Das deutsche Ei - ein starkes Stück») ist ein Magnet für kleine Kinder: Sie drängeln sich um einen Käfig, in dem frisch geschlüpfte Küken unter einer Infrarotlampe vor sich hin piepen. Zengerling beobachtet das Treiben mit einem väterlichen Lächeln. «Ich bin kein Glaubenskrieger», sagt der 50-Jährige zum Konflikt zwischen Ernährungsindustrie und Tierschützern. Die Debatte sollte «weniger emotional» geführt werden.

Während der Konsum von Rindfleisch zurückgeht, essen die Deutschen immer mehr Geflügel. 2012 seien es pro Bundesbürger im Schnitt 100 Gramm mehr gewesen, rechnet Zengerling vor. Deshalb findet er es heuchlerisch, wenn die Bürger auf das Leid in der Massentierhaltung schimpfen, aber die Mehrheit weiter zu Discounter-Produkten greift. Einmal habe man es mit Bio-Hühnern versucht, sagt Zengerling. «Die lagen wie Blei in der Kühltruhe.» Auch das Käfigei sei dort, wo es angeboten werde, weiter das «umsatzstärkste Ei». Dass jedes Jahr Millionen männliche Küken geschreddert werden, weil sie keine Eier legen können, erzählt man den Kindern am ZDG-Stand nicht.

«Frankenstein-Industrie», kritisierte die Schriftstellerin Hilal Sezgin in der «taz». Hightech-Hühner, Designer-Kühe: Mit den idyllischen Bauernhöfen, die die Ausmalbilder der Kinder füllten, habe die heutige Fleischproduktion nichts mehr zu tun. Stimmt so nicht, werden die Vertreter der boomenden Bio-Branche sagen. Tierhaltung gehe ja auch anders. Und es muss ja auch nicht immer Fleisch sein, wie wäre es zum Beispiel mit frischem Fisch?

Wer Fisch essen will, geht auf der Grünen Woche am besten in die Halle von Mecklenburg-Vorpommern. «MV tut gut», steht groß über dem Eingang. Mittendrin macht gerade Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) seinen offiziellen Rundgang und isst sich von einem Fischbrötchen zum anderen. Dann, an der «Sektkellerei Wismar», endlich was zum Herunterspülen: Sekt mit Sanddorn-Beeren. Lecker, findet Sellering, «passt sehr schön zusammen».

Wie geht es der Landwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern, Herr Sellering? «Das ist hier unsere Leistungsschau», sagt er. Sein Land habe beides: Gute Bio-Höfe und gute konventionelle Betriebe. Irgendeine Herausforderung für die Zukunft? Noch mehr «unverwechselbare Produkte» schaffen, sagt Sellering - zum Beispiel das Pommernschaf oder die Blaue Lupine.

Der Lupinensamen soll so viel Eiweiß enthalten, dass es tierische Fette ersetzen kann. Aber Blaue Lupine in der Bayernhalle, ist das vorstellbar? Werden die Leute künftig lieber an krautigen Pflanzen knabbern als am saftigen Krustenbraten? Unwahrscheinlich, denn trotz aller Lebensmittelskandale sind die Genießer offensichtlich noch stark in der Überzahl. «Die Menschen in Deutschland essen und trinken gerne», befand die Bundeskanzlerin bei ihrer Premiere auf der Grünen Woche. «Ich finde, das ist ein guter Charakterzug.» (dpa)
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