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25.01.2015 | 02:03

Elf verstorbene Patienten trugen resistenten Keim

Universitätsklinikum
Seit Mitte Dezember kämpft das Uniklinikum Kiel mit einem gefährlichen Keim. Bei elf toten Klinik-Patienten wurde er nachgewiesen. Nun sollen auswärtige Experten helfen. (c) proplanta

Tödliche Keime im Krankenhaus - Einfach Pech oder auch Versagen?

Am 11. Dezember kommt ein 74 Jahre alter Deutscher in die Notfallaufnahme des Uni-Klinikums Kiel. Er hat Urlaub in der Türkei gemacht und ist krank. In den sechs Wochen darauf sterben in der Klinik der Urlauber und 10 weitere Patienten, die zudem den Keim des Touristen tragen. Bei 9 von ihnen ist er aber nach Aussage der Klinikverantwortlichen eindeutig nicht die Todesursache gewesen.

Bei insgesamt mehr als 27 Menschen im Krankenhaus wurde bis Samstagabend der gegen fast alle Antibiotika resistente Keim Acinetobacter baumannii nachgewiesen. Am Freitag waren die aktuelle Zahl der Keimträger noch mit 14 angegeben worden und die Zahl der gestorbenen Patienten mit 5.

Einen Monat lang erfährt die Öffentlichkeit von der Ausbreitung des für Gesunde meist ungefährlichen, für Kranke und Immunschwache aber gefährlichen Keims auf der internistischen Intensivstation nichts. Am 23. Januar veröffentlicht das Uniklinikum dann eine komplizierte Pressemitteilung «Infektion von zwölf Patienten mit MRGN-Keim am Campus Kiel». Versteckt im vierten Absatz die Information, eine Intensivstation sei vorsorglich für Neuaufnahmen «bis auf weiteres» geschlossen. Große Operationen könnten verschoben werden.

Die gestorbenen Patienten werden in der Pressemitteilung überhaupt nicht erwähnt. Erst auf Journalisten-Nachfragen wird das Problem in seiner Dimension bekannt. Am Freitagabend dann eine kurzfristig anberaumte Pressekonferenz. Der Chef des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Jens Scholz, spricht erst von drei gestorbenen Patienten und auf Nachfrage dann von fünf.

Am Samstagabend dann eine weitere Pressekonferenz nach einer Krisensitzung mit Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kristin Alheit (SPD) teil. Jetzt teilt die Klinik mit, 11 Patienten, bei denen die multiresistente Bakterie nachgewiesen wurde, seien gestorben. Die Klinik kündigt an, die Öffentlichkeit jetzt alle zwei Tage über den Stand zu informieren.

«Diese Keime sind eine große Verunsicherung», sagt Alheit. Sie kämen aber häufiger vor in Krankenhäusern. Die vorgeschriebenen Meldewege seien aber eingehalten worden. Auch das städtische Gesundheitsamt versichert: Das UKSH habe rechtzeitig - sobald die Keime gehäuft auftraten - die Behörden informiert. Es habe auch fachlich alles richtig gemacht an Vorsorge- und Hygienemaßnahmen. Das Amt wurde am 24. Dezember informiert, zu dem Zeitpunkt hatten vier Patienten den Keim. Das Ministerium erfährt von den Problemen erst am Tag der Pressemitteilung. Es sei aber auch nicht Teil der Meldekette, sagte dessen Staatssekretär Rolf Fischer. Die Staatsanwaltschaft überprüft die Vorgänge in der Klinik derzeit.

Die Hygiene-Chefin des UKSH, Bärbel Christiansen, versichert, alles im Griff zu haben. Die Situation sei zwar ungewöhnlich, aber die Behandlung und die Maßnahmen seien Routine. Christiansens hat eine hohe fachliche Reputation. Sie leitet die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention, die das Robert Koch-Institut bei der Herausgabe von Leitlinien für Deutschland berät. Fakt ist: Die sehr widerstandsfähige Bakterie hält sich seit mehr als einem Monat im betroffenen Bereich des UKSH. Der Türkei-Tourist wurde bei der Aufnahme ins UKSH nicht auf Keime untersucht. Ein solches Screening sei nicht nötig gewesen, der Mann habe keine auffälligen Symptome gezeigt.

Hier ist ein Ansatzpunkt für die fachliche Diskussion: Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz (Dortmund) fordert ein Umstellen der Aufnahme in Krankenhäuser wie in den Niederlanden. Dort werde grundsätzlich unterstellt, jeder Patient habe Keime und komme deshalb erst auf eine Isolierstation. Der Patient werde erst nach dem Ergebnis der Untersuchung weitergegeben in andere Abteilungen. «Bei uns ist das System genau umgekehrt. Wir reagieren immer nur dann, wenn es Auffälligkeiten gibt.» Bei geschätzt bis zu 40.000 durch Keime gestorbene Patienten pro Jahr in deutschen Krankenhäusern «ist das keine Bagatellfrage», sagt Brysch.

Für das UKSH fällt die Ausbreitung des gefährlichen Keims in eine Phase des Umbruchs. Mehrere hundert Millionen Euro beträgt der Investitionsstau für Sanierung und Neubau. Die Politik dringt darauf, die Klinik solle aus den roten Zahlen kommen. 2013 machte sie 38 Millionen Euro Minus. Für 2014 liegen noch keine endgültigen Zahlen vor, es sollen laut «Kieler Nachrichten» mehr als 30 Millionen Euro sein. Scholz hat wiederholt darauf hingewiesen, dass Schleswig-Holstein zu den Ländern mit den niedrigsten Pauschalvergütungen für bestimmte Operationen und Therapien gehört.

So sucht das UKSH nach jeder Möglichkeit für Einsparungen, aber auch Mehreinnahmen. Zu den Sparmaßnahmen gehört als ein Beispiel die Aufkündigung der rund 100 Jahre langen Zusammenarbeit mit den DRK-Schwesternschaften zum Jahresende 2015. Die Schwesternschaften hatten ihre Schwestern dem UKSH zur Verfügung gestellt, jetzt will das UKSH sie direkt anstellen, in der Erwartung, dies sei günstiger.Trotz aller Sparzwänge betonte Scholz, im Bereich der Hygiene die Mittel aufgestockt zu haben, um den gestiegenen gesetzlichen Anforderungen zu entsprechen. (dpa)
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