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29.01.2013 | 15:43 | Wohlstandskompass 

Die schwierige Vermessung des Wohlstands

Berlin - Erzähle mir, wie viele Vögel in deinem Land leben, und ich sage dir, wie reich du bist. Nein, das ist nicht die Einleitung eines Handbuchs für Vogelkundler, sondern Teil eines Kompasses, mit dem die Politik den Wohlstand in Deutschland neu vermessen will.

Wohlstand
(c) auremar - fotolia.com
Jahrzehntelang galt das Motto: Mein Haus, mein Auto, meine Jacht. Brummte die Wirtschaft, musste es doch zwangsläufig den meisten Deutschen gut gehen. Aber ging es fair zu, waren sie auch glücklich?

Nicht erst seit der weltweiten Finanzkrise und ihren sozialen Verwerfungen vor allem in Südeuropa sehnen sich immer mehr Menschen nach einem anderen Maßstab für Wohlstand, Sicherheit und Glück.

Nicht mehr der schnöde Mammon - der alleinige Blick auf die jährlichen Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP), das die Summe der produzierten Waren und Dienstleistungen umfasst - soll Aufschluss geben, ob es einem Land und seinen Menschen gut geht.

Denn was nützt ein kleines BIP-Plus, wenn dutzende Vogelarten aussterben, Wälder für immer abgeholzt sind, die Lebenserwartung sinkt oder die Schulabbrecherquote steigt?

Darüber zerbrechen sich im Bundestag seit zwei Jahren in der Enquete-Kommission «Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität» 17 Politiker und 17 Sachverständige den Kopf. Kein leichtes Unterfangen, denn es geht nicht nur, aber immer wieder auch um Proporz, Parteimeinung und Klientelpolitik.

Am Montag beschloss die Kommission mehrheitlich eine Art Armaturenbrett mit insgesamt 20 Messwerten und Warnlampen, auf dem die Bürger künftig sehen sollen, wie Deutschland wohlstandstechnisch unterwegs ist. Bei Krisen wie in der Banken- oder Immobilienwelt, sollen die Lampen aufleuchten.

Drei zentrale Bereiche gibt es: «Materieller Wohlstand», gemessen an BIP, Einkommensverteilung und Staatsschulden. «Soziales und Teilhabe», gemessen an der Beschäftigungsquote, Abi-Quote (Sek II), der Lebenserwartung und dem Grad der Freiheit, wofür ein Weltbank-Indikator herangezogen wird. Im dritten Bereich «Ökologie» sollen der nationale Ausstoß des Klimakillers Kohlendioxid (CO2), der Überschuss an Stickstoff sowie der nationale Vogelindex (Artenvielfalt) wichtige Anhaltspunkte für den Wohlstand liefern.

Während CDU, CSU, FDP und SPD damit zufrieden sind, treibt das neue Instrumentarium Grüne und Linke auf die Barrikaden. Sie lehnen das Modell ab. Hermann Ott von den Grünen schimpfte, mit ein paar Indikatoren mehr sei nichts gewonnen. «Es geht darum, die Dominanz des Ökonomischen in der Politik zu beenden.» Die Grünen wollen deshalb weiter für einen mehr auf Ökologie und Nachhaltigkeit ausgerichteten «Wohlstandskompass» kämpfen.

Matthias Birkwald von der Linkspartei sieht es ähnlich wie Ott. In der Kommission habe sich die «Wünsch-dir-was-Fraktion» aus Union, FDP und SPD durchgesetzt. Dabei habe selbst der von der CDU berufene Gutachter Meinhard Miegel darauf verwiesen, dass man sich bei alternativen Messgrößen beschränken sollte. Das neue Armaturenbrett verwirre die Bürger nun noch mehr: «Das ist ein abstruses Zahlenspiel mit Disko-Beleuchtung», sagte Birkwald.

Der FDP-Obmann Florian Bernschneider wies die Kritik zurück. Das Wohlstands-Armaturenbrett sei nicht komplexer als die Anzeige im Auto, wo der Fahrer neben Tempo auch Tank, Drehzahl, Ölstand und anderes im Blick habe. Grüne und Linke trauten den Bürgern einfach zu wenig zu und klammerten sich letztlich an «ein politisch verordnetes Wertegerüst», meinte Bernschneider. Im Sommer soll ein gemeinsamer Vorschlag durch den Bundestag, im nächsten Jahr könnte dann der erste «Jahreswohlstandsbericht» kommen.

Wie der Streit der Parteien auch ausgehen mag, in anderen Regionen der Welt sind die Menschen weiter als in den westlichen Hochburgen des Kapitalismus. In Bhutan, dem kleinen Königreich im Himalaya, sucht der Staat nach dem Glück seiner Untertanen, hat das «Bruttonationalglück» (gross national hapiness) seit 2008 Verfassungsrang. Regelmäßig befragt die Regierung die Bürger, wie sie die Entwicklung des Landes und ihre persönliche Situation wahrnehmen. Glücklich kann dabei auch sein, der nach westlichen Maßstäben bettelarm ist. (dpa)
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