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22.08.2023 | 16:34 | Schweinebewusstsein 

Von der seltsamen Sicht aufs Schwein

Hannover - Schwein sein, Schwein haben - man spricht oft und gerne vom Schwein. Wenn wir wütend sind, uns verletzt fühlen, nennen wir andere Menschen ein Schwein.

Schwein
Über das Schwein wissen wir alles, könnte man meinen. Aber was genau, wo sehen wir das Tier eigentlich noch - außer in Portionen verpackt? Das Sprengel Museum in Hannover nimmt die Beziehung des Menschen zum Schwein unter die Lupe. Und kreiert dafür ein neues Wort. (c) proplanta
Aber taucht das Schwein im täglichen Leben noch auf, wenn man nicht gerade auf einem Bauernhof lebt - außer abgepackt im Supermarkt? Sicher, gelegentlich hört man von gequälten Tieren in der Schweinemast, wenn wieder einmal gegen den Tierschutz verstoßen wird, oder von dem wirtschaftlichen Gut Schwein, wenn die neuesten Schlachtzahlen verkündet werden. Aber das Tier? Das Sprengel Museum in Hannover will mit einer Sonderausstellung ein neues «Schweinebewusstsein» schaffen.

Es ist ein ungewöhnliches Wort - und so ist die ganze Ausstellung mit dem Titel «Ocular Witness: Schweinebewusstsein», die von Mittwoch an bis zum 5. November gezeigt wird. Es sei «nicht das gängige Thema, das man im Museum erwartet», sagt der Direktor des Sprengel Museums, Reinhard Spieler. «Irritiert» sei man gewesen, als Kuratorin Inka Schube es vorschlug. Das Ergebnis sei «keine Jubelarie über Riesen-Schweinezuchtfarmen», betont er.

Denn das Thema habe vor allem in Niedersachsen «große Präsenz»: Nach früheren Angaben des Bundesinformationszentrums Schweinehaltung werden in Deutschland rund 26,9 Millionen Schweine zur Fleischerzeugung gehalten, die meisten in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen mit einem Anteil von fast 60 Prozent. Nicht nur das Schwein, auch die Diskussionen über die Transformation der Landwirtschaft betreffen das Land unmittelbar, wie Schube sagt: «Das Thema Schwein liegt geradezu vor der Tür, im Einkaufskorb, in der Luft.»

So befassen sich rund 300 Bilder und Objekte von 16 Künstlerinnen und Künstlern mit der facettenreichen Beziehung von Mensch und Schwein - zum «Schweinebewusstsein» gehören Blicke auf Fleischindustrie, Schweinezucht und deren Auswirkungen auf die Umwelt sowie die Frage der Unsichtbarkeit der Tiere im Alltag: «Als gäbe es zwei Parallelwelten, die lediglich über Portionen, Scheiben, Stücke und Häppchen miteinander verbunden sind», sagt Schube. Und wo sind die ganzen Schweine?

Gute Frage: Der Leipziger Fotograf Frank Berger zeigt auf ganz eigene Weise, wie wenig man rund um die Fleischindustrie vom Tier mitbekommt. Seit 1996 fotografiert er immer wieder die Einfahrt des Großschlachthofs Weißenfels in Sachsen-Anhalt - das Ergebnis ist eine Projektion von Transportern, die regelmäßig ein- und ausfahren. «Man sieht viele Laster, Tiere sieht man fast gar nicht», sagt er. Es sei ein Geschehen, das andauert, nur die Transporter seien größer geworden und im Hintergrund ein Supermarkt hinzugekommen. Eine Veränderung, die auffällt: Auf einem der Lastwagen ist eine vegetarische Wurst aufgedruckt - ein Zeichen des Trends zum fleischlosen Leben.

«Wo kommt man an, wenn man anfängt, vom Schwein aus zu denken?», fragt Schube. Und antwortet selbst, dass man weit komme. Bis hin zum Surrealen: Der in Belgien lebende Künstler Pierre Bismuth zeigt seine «Librairie Charcuterie» oder «Wurstwarenbuchhandlung» - Kühlschränke, die mit industriell verarbeitetem Fleisch und Wurst sowie mit Büchern über das «Schweine-System», Massentierhaltung und Tierschutz gefüllt sind. Das Lebewesen Schwein eine Ware wie ein Buch? Das ist die Frage.

Das in Südkorea lebende Künstler-Duo Young-Hae Chang und Marc Voge wiederum lässt in dem Video «How to slaughter a Hog at Home humanely» («Wie man ein Schwein auf humane Weise hausschlachtet») ganz sachlich und Schritt für Schritt die Hausschlachtung erklären. Der Fotograf Arne Schmitt zeigt Bilder der Standorte eines großen Schweinemast- und Ferkelzuchtbetriebs - allesamt unscheinbare Zweckbauten, Fotografie transportiert hier gegen ihre Natur Unanschaulichkeit, das Tier bleibt verborgen.

Und der Titel der Ausstellung, das Wort «Schweinebewusstsein», bleibt seltsam, wie Museumssprecherin Judith Hartstang einräumt. Sie meint, Kuratorin Schube hätte das «Schweinebewusstsein» wohl gern im Duden.
dpa/lni
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