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05.09.2006 | 15:52 | Gammelfleisch 

Frische Ware für Kunden - hohe Strafen für Ekelfleisch selten

Oldenburg - Grünliches Gammelfleisch, altes Hackfleisch, Ekel-Döner oder übel riechende Wurstwaren - ein lukratives Geschäft für die schwarzen Schafe in der Fleischbranche.

Fleischtheke
(c) proplanta
Dutzende Tonnen nicht mehr genießbares und möglicherweise auch gesundheitsschädliches Fleisch lagern tiefgefroren in den Kühlhäusern verantwortungsloser Großhändler und finden schließlich als «frische Ware» ihren Abnehmer in den Supermarktketten Deutschlands und anderer europäischer Staaten.

Ein Geschäft mit kalkulierbarem Risiko? Nach dem jüngsten Skandal um die Geschäftemacher mit der Ekelware in Bayern mit vier Jahre altem Fleisch wird schnell der Ruf nach härteren Strafen, wie in vielen anderen aktuellen Diskussionen auch, wieder laut. Drakonisches Durchgreifen mussten die Fleischhändler bis heute zumindest aber kaum fürchten. «Richtig harte Strafen sind mir bislang nicht bekannt», sagt der für Wirtschafts- und Lebensmittelstraftaten zuständige Oldenburger Staatsanwalt Bernard Südbeck.

«Das ist die Brunnenvergiftung unserer Tage», beklagt denn gleich der SPD-Bundesvorsitzende Kurt Beck über die «verbrecherischen» Machenschaften und fordert eine schnelle Überprüfung des Strafrechts.
Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Brigitte Pothmer kritisiert: «Wir dürfen dies nach einer Reihe von Skandalen nicht weiter als Kavaliersdelikt behandeln. Es geht hier auch um Körperverletzung.» Während auf der politischen Bühne die Wortgefechte um harte Strafen und Berufsverbote geführt werden, sehen Ermittler zunächst einmal keinen Handlungsbedarf für das strafrechtliche Rüstzeug der Richter.

Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflagen, geringe Geldstrafen oder vereinzelt auch Haftstrafen auf Bewährung - mit der vollen Wucht des Gesetzes sind die schwarzen Schafe unter den Fleischhändlern bislang nicht konfrontiert worden. «Der Strafrahmen muss besser ausgeschöpft werden», fordert Südbeck. Mehrjährige Haftstrafen sehe der Gesetzgeber bei diesen Delikten wie Betrug und Verstößen gegen das Lebensmittelrecht schon jetzt vor. Doch sprechen die juristischen Folgen bislang eine andere Sprache. «Auch könnte bei besonders schweren Fällen ein Berufsverbot seitens der Staatsanwaltschaft gefordert werden», sagt Südbeck. Das ist allerdings nur ein stumpfes Schwert im Kampf gegen überführte Übeltäter. «Da kann im Anschluss viel getrickst werden, so beantragt zum Beispiel einfach ein Familienmitglied das Gewerbe.»

Andere Prozesse ziehen sich in die Länge. In einem großen Gammelfleischverfahren sollte sich im niedersächsischen Cloppenburg im August ein Unternehmer vor Gericht verantworten. Der Vorwurf:
Unsachgemäß aufgetautes und mit Wasser aufgespritztes Fleisch soll an Großhändler in mehrere Bundesländer verkauft worden sein. Auf der Anklagebank saß der Händler bis heute indes nicht. Zunächst hatte sein Anwalt Urlaub, der Prozess wurde verschoben. Nun gibt es eine Reihe neuer Vorwürfe von Betrug in sechsstelliger Höhe bis hin zur Insolvenzverschleppung. «Das Verfahren wird möglicherweise mit einer Anklage in Oldenburg verbunden», sagt Südbeck. Der Termin für einen Prozessbeginn ist unbekannt.

Geschnetzeltes in Gewürzmischung oder als «frische Ware» verkaufte Altlasten, für die Verbraucher ist Gammelfleisch auf dem Teller oft nur selten zu erkennen. Und, so räumt Südbeck ein, für die Fahnder ist es besonders schwer, die Machenschaften als kalkulierte und geplante Tat nachzuweisen. «Es gibt meistens nur Proben von einem Tag, wir haben also auch nur einen Ausschnitt von einem Tag.» Abgelaufene Fleischware könnte als Versehen entschuldigt werden. Zeugen knicken ein, weil sie um ihren Arbeitsplatz fürchten.

Nicht selten sind die Berge gefrorenen Fleisches zunächst auch nur ein schlichter Bilanztrick der Fleischhändler. Die gelagerte Ware taucht als Wert in den Büchern zur Bilanzverschönerung auf. Irgendwann muss der «Wert» dann auf den Markt, einfach vernichtet, könnte er zur Insolvenz führen.

Nach Expertenansicht
muss das bei zwei bayerischen Großhändlern gefundene Fleisch mit abgelaufenem Verfallsdatum nicht zwingend gesundheitsgefährdend sein. «Wenn Fleisch optimal gelagert und die Kühlkette eingehalten wird, kann es durchaus zwei oder vier Jahre haltbar sein», sagte Gerd Hamscher, Lebensmittelwissenschaftler an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, am Dienstag am Rande einer Fachtagung zum Thema Lebensmittelsicherheit in Münster.

Fleisch mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum könne fade oder ranzig schmecken, müsse deshalb aber nicht unbedingt gesundheitsschädlich sein. «Theoretisch darf man auch abgelaufenes Fleisch in den Handel bringen, wenn abgesichert ist, dass es nicht gefährlich ist», erklärte Hamscher. «Aber man muss es als solches kennzeichnen.» Das hätten die bayerischen Großhändler versäumt.

Normalerweise sei frisches Rind- oder Schweinefleisch geruchlos, sagte Hamscher. Verdorbenes Fleisch sei leicht am Geruch zu erkennen. «Das ist auch für den Verbraucher ein einfacher Detektor.» Fleisch könne immer auch zu Hause verderben, gab Hamscher zu bedenken.

Insgesamt sei Verbraucherschutz nicht nur Aufgabe des Staates, Lebensmittelsicherheit betreffe auch den privaten Haushalt. Die Bevölkerung solle sich mehr mit Ernährung und Lebensmittelsicherheit beschäftigen, forderte er: «Das allgemeine Wissen über Ernährungsfragen ist viel zu gering.» Eine sichere Zubereitung von Lebensmitteln zu Hause sei nicht immer gegeben.

Quelle: dpa 05.09.2006 / 15:56:11
© dpa
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