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11.04.2011 | 18:31 | Trinkkultur 

Blauer Würger und Co. - Trinkkultur in der DDR

Berlin - Trotz Mangelwirtschaft in der DDR - Hochprozentiges gab es immer, denn Trinken gehörte dazu. Doch warum? War es das «Schönsaufen» des sozialistischen Alltags? Oder ertränkten die Bürger ihren Kummer? Alles Legende, meint der Berliner Ethnologe Thomas Kochan.

Hochprozentiges
Geburtstag, Feiertag, Urlaubsanfang oder -ende, eine Prämie oder einfach Feierabend: Der DDR-Bürger fand immer eine Gelegenheit zum «Prosten». Der Berliner Ethnologe Thomas Kochan will hier endlich mit Vorurteilen aufräumen. Vor allem im Westen kursiert seiner Ansicht nach eine abenteuerliche Mär über das Saufvergnügen seiner Landsleute: Da ist die Rede vom exzessiven Picheln mit den dazugehörigen Auswirkungen, für die es nur Abscheu gab. Kochan widmete sich in einer Doktorarbeit dem Thema und wurde dabei von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unterstützt.

Ein gefülltes Glas mit Hochprozentigem gehörte zum guten Ton. Es galt nicht als verwerflich, in fröhlicher Runde während der Arbeit oder danach das eine oder andere Glas zu leeren. Gebechert wurde auch im privaten Kreis. «Es war eine alkoholzentrierte Gesellschaft. Alkohol spielte eine große Rolle. Rausch war aber nicht das Ziel», sagt Kochan, dessen Untersuchung jetzt im Aufbau-Verlag veröffentlicht wurde.

«Es gibt keine Belege, dass getrunken wurde, um dem Alltag zu entfliehen», sagt der 42-Jährige. Auch sei der Verbrauch nicht angekurbelt worden, um Fünfjahrespläne zu erfüllen. Aber: 1988 trank jeder DDR-Bürger im Durchschnitt 142 Liter Bier, 12,1 Liter Wein und Sekt. «Ob Säugling oder Hochbetagter: Jeder leerte 23 Flaschen Hochprozentiges im Jahr», erläutert Kochan die Statistik. Das war zweieinhalbmal so viel wie im Westen. 1987 eroberten sich die Ostdeutschen vor Ungarn und Polen den Spitzenplatz beim Spirituosenkonsum. Mittlerweile ist der Konsum gesunken und liegt bei etwa 5,9 Liter Alkohol wie im Westen.

Dem Alkoholmissbrauch wurde zu DDR-Zeiten nicht tatenlos zugesehen, Alkoholismus und Sucht hingegen tabuisiert.  Zwar ließ sich gutes Geld mit Hochprozentigem verdienen, doch um den Sozialismus aufzubauen brauchte man klare Köpfe. Mit Arbeitern, die noch benebelt einen «Kater» zum Dienst schleppten, war kein Staat zu machen. «Ab Ende der 1960er Jahre wirkte Alkohol nicht mehr strafmildernd vor Gericht», erzählt der Wissenschaftler. Im Straßenverkehr galt die Null-Promille-Regelung.

Kochan, der in Berlin ein Geschäft für Spirituosen betreibt, berichtet von erfolglosen Bemühungen für mehr Kultur beim Trinken. Verräucherte Eckkneipen mit dem Standardangebot einer «Lage» - ein Bier und Korn - sollten verschwinden. Stilvoll schien dagegen, am Glas Wein zu nippen - in Klubgaststätten in den Neubauvierteln in Berlin-Marzahn, Leipzig-Grünau oder anderswo.

Skurril fand Kochan eine besonderer Methode zum Abnehmen, bei der Schnaps eine tragende Rolle spielte: die «Wodka-Bockwurst-Diät». Über den Erfolg der Fastenkur liegen ihm keine Berichte vor, wie er beteuert. Auch nicht, ob dabei 40-prozentiger Klarer getrunken wurde, der wegen der Farbe des Etiketts im Volksmund auch «Blauer Würger»  hieß. Die DDR-Band «Amor & Die Kids» setzten dem Schnaps ein Denkmal mit einem Song. Sie beschreiben seinen Effekt mit den Zeilen: «Blauer Würger, Blauer Würger/Da klatscht die Leber in die Hände». (dpa)
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