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30.05.2014 | 19:32 | Gas-Streit 

Europa will Putins Liefermacht brechen

Berlin - Iwan Gratschjow macht sich über die EU-Hysterie ein bisschen lustig. Solarstrom könne nie so billig sein wie russisches Gas.

Gaslieferung für Ukraine
(c) proplanta
«Ich bin Physiker und analysiere das schon sehr lange: Das ist unmöglich», sagt der russische Duma-Abgeordnete am Mittwoch auf einer Konferenz in Berlin. Neben ihm sitzt Sergej Taruta. Er ist Gouverneur der Ukraine-Unruheregion Donezk und schwerreicher Stahl-Oligarch.

Fast verzweifelt listet er Zahlen auf: 20 bis 22 Millarden Kubikmeter Gas könne sein Land selbst erschließen, 12,5 Milliarden Methan und bis zu 7,5 Milliarden Schiefergas.

Das alles ist aber Zukunftsmusik und hilft den Ukrainern nichts, wenn Anfang nächster Woche Gazprom den Gashahn zudreht. Die EU will in letzter Minute eine Eskalation verhindern. Eine weitere Verhandlungsrunde findet an diesem Freitag in Berlin statt. Der Termin, der bis zuletzt infrage stand, wurde am Donnerstag von der EU-Kommission bestätigt.

Worum geht es beim Gas-Streit konkret?

Russland wirft den Ukrainern vor, mehr als 10 Milliarden Kubikmeter russisches Gas gebunkert zu haben - ohne Bezahlung. Auf 3,5 Milliarden US-Dollar bezifferte Moskau bislang die Schulden. Am Mittwoch legte Gazprom-Chef Alexej Miller nach - durch Lieferungen im Mai steige die Schuld auf 5,2 Milliarden US-Dollar (3,82 Mrd Euro).

Kann Kiew überhaupt zahlen?

Das zerrissene Land steht kurz vor dem Staatsbankrott. Für die Schulden bei Gazprom würden letztlich indirekt die westlichen Partner aufkommen - Europa und der Internationale Währungsfonds (IWF). Sie haben bereits Milliarden-Hilfen für die Ukraine beschlossen.

Ist eine Einigung möglich?

Die Lage ist kompliziert. Kiew will eine Paketlösung, die künftige Gaspreise und Altschulden regelt. Unter dem prorussischen Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch hatte der vom Kreml gesteuerte russische Gasmonopolist Gazprom der Ukraine einen Rabattpreis von am Ende 268 Dollar je 1.000 Kubikmeter gewährt.

Nun pocht Moskau nach dem Machtwechsel in Kiew wieder auf vertraglich vereinbarten 485 Dollar. Beim jüngsten Gas-Deal zwischen China und Russland soll der Preis bei 350 Dollar liegen.

Warum muss jetzt alles schnell gehen?

Ein Kompromissvorschlag von EU-Energiekommissar Günther Oettinger sieht vor, dass die Ukraine bis Donnerstag eine Anzahlung von zwei Milliarden US-Dollar an Gazprom überweisen sollte. An diesem Freitag soll bei einem Krisengipfel mit den Energieministern beider Länder in Berlin um die Gaspreise für April und Mai sowie ab Juni gefeilscht werden. Ohne Einigung will Gazprom Anfang der Woche nur noch gegen Vorkasse liefern, das wäre praktisch ein Lieferstopp.

Was geht das Deutschland an?

Die Hälfte der russischen Gasexporte nach Europa wird über Leitungen (Pipelines) durch die Ukraine abgewickelt. 2013 kamen über 38 Prozent der deutschen Gasimporte aus Russland. EU-weit liegt der Anteil bei 30 Prozent, die Baltenstaaten, Finnland, Slowakei und Bulgarien kommen auf bis zu 100 Prozent.

Bleibt bei Lieferausfällen der Gasherd kalt?

Nein. Deutschland hat 51 Gasspeicher, die nach dem milden Winter zu 70 Prozent voll sind. Das dürfte einige Monate reichen. Zudem fließt russisches Gas ungehindert durch die Ostsee-Pipeline nach Deutschland - die Nord-Stream-Leitung wurde gebaut, um Transitländer wie die Ukraine zu umgehen.

Wie reagieren Europas Politiker?

Bis zum Winter will die EU-Kommission in einem Stresstest die Anfälligkeit der europäischen Gasversorgung untersuchen. Vorgesehen sind Notfallpläne für alle 28 EU-Staaten und mehr Speicher. Die G7-Industrieländer wollen auch mit neuen Pipelines, Schiefergas-Förderung (Fracking) und Flüssiggas aus Katar oder den USA unabhängiger von Putins Gas werden.

Wäre eine EU-Einkaufsgemeinschaft eine Lösung?

Die Idee für eine Energie-Union kommt von Polens Regierungschef Donald Tusk. Eine zentrale Agentur würde alle Gasmengen für die EU einkaufen und verteilen. Gazprom könnte Länder nicht mehr «abstrafen» oder gegeneinander ausspielen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist skeptisch. Er warnt vor einem Rückfall in die Energie-Staatswirtschaft.

Ohnehin werden bis zur Verwirklichung der EU-Pläne Jahre vergehen: «Revolutionen sind selten, erst recht in der Energiepolitik», meint Steinmeier. Zur Erinnerung: Auch bei den früheren Gasstreits zwischen Moskau und Kiew 2006 und 2009 kamen aus Europa fast gleichlautende Ankündigungen.

Was halten Umweltschützer von der EU-Strategie?

Nicht viel. Sie fürchten, dass nun als Alternative zu russischem Gas verstärkt auf Kohle, Fracking oder Atom gesetzt wird: «Das ist, als wenn ein Drogenabhängiger den Dealer wechselt, anstatt eine Suchttherapie zu beginnen», sagt Greenpeace-Experte Andree Böhling. (dpa)
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