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20.04.2016 | 15:17 | Getränketechnologie 

Muss Bier immer flüssig sein?

München - Wenn Thomas Becker und Johannes Tippmann ihre Arbeit erklären, lachen sie viel. «Jeden Dienstagnachmittag bilden wir uns selber weiter», sagt Becker fröhlich, Professor für Brau- und Getränketechnologie an der TU München.

Bier-Beschaffenheit
In Weihenstephan bildet die Technische Universität München Brauerei-Studenten aus der ganzen Welt aus. Von den künftigen Ingenieuren wird sehr viel verlangt. Auch wenn es nicht immer bierernst zugeht. (c) proplanta
Gemeinsam mit Tippmann, dem Leiter der Forschungsbrauerei in Weihenstephan, prüft er die Ergebnisse von der jüngsten Fortbildungsrunde. Schließlich müssen auch die Bier-Spezialisten ihre Sinne schulen, um Aromen wissenschaftlich präzise erkennen und beschreiben zu können.

Becker holt ein Dutzend Riechproben von der jüngsten Fortbildungsrunde, schnüffelt an einem Gläschen und verzieht die Nase: «Wie gekochter Sellerie: Dimethylsulfid! Das kann im Bier als Fehlaroma vorkommen. Wir müssen so was erkennen, um zu klären, wie kriegt man das raus?»

Über Nachwuchsmangel kann er nicht klagen. Doch die Anforderungen sind hoch: Die Hälfte der Ingenieurs-Studenten gibt schon im ersten Jahr auf. Wer vor allem Gaudi erwartet, steigt bald ernüchtert aus.

Die ehemalige Kloster- und heutige Staatsbrauerei Weihenstephan ist nach eigenen Angaben die «älteste Brauerei der Welt». Direkt daneben steht der Forschungstrakt der TU - seit mehr als 100 Jahren wird hier die Bierherstellung wissenschaftlich erforscht und gelehrt. Ähnliche Studiengänge gibt es inzwischen auch in Berlin, in Belgien, England und Kalifornien.

Aber «wir sind die Nummer eins», sagt Becker. Braukonzerne wie der Weltmarktführer Inbev, aber auch viele mittelständische Brauereien oder Verbände gäben Forschungsaufträge und -gelder nach Weihenstephan.

Dazu gehören auch ketzerische Fragen wie: «Muss Bier flüssig sein?» Wie Instant-Kaffee lasse sich auch Instant-Bier herstellen, das der Verbraucher zu Hause selbst mit Wasser fertigstellt, sagt Becker. Das spare Transportkosten. «Aber die Qualität ist noch nicht so, da arbeiten wir noch dran.»

Brennend aktuell ist die Frage, wie der Geschmacksträger Alkohol im Bier ersetzt werden kann. «Wir untersuchen, wie das mit Hopfen oder Glycerin als Aromaträger auszugleichen ist», sagt Forschungsbrauereileiter Tippmann. Das Glycerin wird von Hefen je nach Temperatur und Brauprozess produziert. Die Wissenschaftler lassen auch Bier jahrelang liegen und erforschen, wie sich die Aromen verändern. Vieles schmecke nicht mehr - «aber da entstehen auch interessante Sherry-Aromen», sagt Becker.

Rund 190 Studenten fangen jedes Jahr an, aber nur 70 schaffen den Abschluss. «Lebensmittelchemie, Biologie, Mathe, Physik, Genetik, Verfahrenstechnik - wir lernen viel», sagt Michael Zeilmann. Der 24-Jährige ist im vierten Semester und will als Ingenieur später Getränkeanlagen bauen. «Ich kann auch Hefe züchten für Fruktose zum Süßen von Lebensmitteln oder aus Zucker Schlafmohn-Extrakt für die Medizin herstellen.» Von Hongkong bis Brasilien gebe es kaum eine große Brauerei, in der nicht Absolventen aus Weihenstephan arbeiteten - aber auch bei einem Pharmakonzern im oberbayerischen Penzberg seien etwa 200 Absolventen aus Weihenstephan beschäftigt, erzählt Becker.

Jeder fünfte Student kommt aus dem Ausland - die meisten von ihnen aus China, Nord- und Südamerika. «Jeder in den USA, der mit Bier zu tun hat, kennt Weihenstephan», sagt Bryan France. Der 33-Jährige aus dem US-Staat Nevada hat in seiner Heimat zunächst Biologie studiert, dann in Deutschland als Englischlehrer gearbeitet und studiert jetzt Brauwesen. «Das kann man nirgendwo besser als hier.» Sein Berufsziel: «Meine eigene Brauerei.»

Dabei ist er schon auf einem gutem Weg. Im vergangenen Jahr kam er bei einem internen Brauwettbewerb ins Finale. Jetzt hat er schon 30 Hektoliter seines extrem gehopften «Yankee&Kraut»-Biers als Spezialität an einige Gasthäuser verkauft. «Brauen ist Teil der Ausbildung. Wir wollen keine Schreibtischtäter entlassen», sagt Tippmann.

In der Forschungsbrauerei gibt es drei Anlagen - die kleinste fasst gerade mal 8 Liter, die kleinen Maisch- und Läuterbottiche sind aus Glas. «Aber alle Prozesse laufen ab wie in einer großen Brauerei, voll automatisiert», erklärt Tippmann. Hier wird zum Beispiel eine kleine Getreideprobe aus Afrika im Brauprozess analysiert: «Wie lässt sich das verarbeiten? Welche Aromen kommen raus?»

«Die Klaviatur so beherrschen, dass mit vier Grundstoffen das erwünschte Bier rauskommt, das ist die Kunst», sagt Becker. Und Tippmann fügt hinzu: «Wegen des Reinheitsgebots ist Deutschland bei der Prozesstechnik Spitze.»

Alle Ergebnisse der Weihenstephaner Forscher werden veröffentlicht. Und das Bier aus der Versuchsbrauerei? «Da geht viel in den Gulli», räumt Tippmann ein. Aber: «Wenn's schmeckt, wird's verkauft.» Die Nachfrage von Studenten, Mitarbeitern und der Bevölkerung aus der Umgebung sei allerdings weit größer als das Angebot.
dpa
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