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24.06.2017 | 11:36 | Luftqualität 

Luft in Reutlingen muss sauberer werden

Reutlingen - 40 Jahre geplant, acht Jahre gebaut: Jetzt kommt der Scheibegipfeltunnel in Reutlingen der Stadt wie gerufen.

Miese Luft in Reutlingen
Schadstoffe in der Luft beschäftigen nicht nur Stuttgart, auch in Reutlingen sind die Grenzwerte regelmäßig überschritten. Ob ein Tunnel eine Lösung sein kann, ist strittig. (c) proplanta
Oberbürgermeisterin Barbara Bosch (parteilos) hofft darauf, dass damit Verkehr aus der Stadt herausgehalten wird und die Luftqualität steigt, ohne dass Reutlingen Fahrverbote verhängen muss. Doch die Deutsche Umwelthilfe sieht die Entwicklung kritisch.

Die Stadt Reutlingen überschreitet regelmäßig die seit 2010 gültigen Grenzwerte für Stickstoffdioxid, wogegen die Deutsche Umwelthilfe bereits geklagt hat. Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat entschieden, dass der Luftreinhalteplan für die Stadt erneuert werden muss. Einwendungen sind noch bis Ende dieser Woche möglich, im September muss der Katalog zur Reduzierung von Luftschadstoffen stehen.

Reutlingen liegt bei der Stickstoffdioxidbelastung mit 66 statt der erlaubten 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft auf dem zweiten Platz hinter Stuttgart im baden-württembergischen Negativranking. Der Stoff reizt die Atemwege und ist für Asthmatiker problematisch. 70 Prozent der Stickstoffdioxidbelastung stammt nach Angaben des Regierungspräsidiums Tübingen aus dem Straßenverkehr.

Feinstaub ist ebenfalls ein Problem. 2017 wurde der Feinstaubgrenzwert nach Angaben des Regierungspräsidiums Tübingen bereits an 24 Tagen überschritten - im gesamten Jahr sind nur 35 Überschreitungen zulässig.

Dazu zählen neben dem Tunnel, der auch aus Sicht der Stadt nicht allein den Durchbruch bringen kann, voraussichtlich eine Geschwindigkeitsreduzierung, die Anschaffung umweltfreundlicherer Linienbusse, ein Lastwagen-Durchfahrtsverbot - aber kein generelles Durchfahrtsverbot für Dieselfahrzeuge, wie die Deutsche Umwelthilfe es fordert.

«Wir können die Städte nicht zu machen, sonst machen wir sie kaputt», sagt Bosch. 60 Prozent der Arbeitsplätze in Reutlingen seien von Pendlern belegt, so Bosch. Auch Regierungspräsident Klaus Tappeser pflichtete ihr bei - der Deutschen Umwelthilfe sei es egal, wie die Menschen zum Einkaufen oder zur Arbeit kämen.

Nicht nur in Reutlingen freut man sich über die Tunnellösung. Auch in Schwäbisch Gmünd hat man gute Erfahrungen mit einer Umfahrung im 2013 eröffneten Einhorntunnel gemacht. «Die Belastung ist stark gesunken», berichtet Stadtsprecher Markus Herrmann.

Selbst am Abluftschacht, wo die Abgase aus dem Tunnel ins Freie geblasen werden, verdünnten sich die Schadstoffe in der Höhe so stark, dass es nicht etwa zur Verlagerung der Schadstoff-Belastung komme. In Schwäbisch Gmünd freue man sich vor allem auch über den psychologischen Effekt, so Herrmann. Man sehe nun mehr Grün anstatt Autos, die sich durch die Stadt quälten.

Ein Tunnel könne keine Patentlösung sein, sagt indes die Leiterin Verkehr und Luftreinhaltung bei der Deutschen Umwelthilfe, Dorothee Saar, der Deutschen Presse-Agentur. «Wenn neue Straßenabschnitte geschaffen werden, zieht das eher noch Verkehr an.» Wenn eine Umgehung geschaffen werde, müsse die Durchfahrt gleichzeitig unattraktiver gemacht werden, zum Beispiel indem die Zahl der Durchfahrtsspuren verringert werde. Doch dagegen wehrt man sich in Reutlingen.

«Der Bau des Scheibengipfeltunnels ist ein Glücksfall für die Luftreinhaltung vor Ort ebenso wie dies in Schwäbisch-Gmünd zu beobachten war», sagt eine Sprecherin des Verkehrsministeriums. Aus zeitlichen und finanziellen Gründen könnten Tunnel aber kein Patentrezept für belastete Städte sein. «Tunnelplanung und Tunnelbau ist nicht in den Zeiträumen möglich, in denen die Luftreinhaltung Verbesserungen verlangt.»

Die Umwelthilfe hat gegen das Regierungspräsidium Tübingen, zuständig für Reutlingen, und 16 weitere Behörden in Deutschland geklagt, in deren Einzugsgebiet Städte die Schadstoffgrenzwerte nicht einhalten.

München etwa gehörte laut Umwelthilfe dazu und hat den Informationen zufolge inzwischen Fahrverbote angekündigt. «Durch die Klage ist etwas in Bewegung gekommen», sagt Saar. «Schade, dass man erst diesen Weg einschlagen muss, um das vorhandene Recht auf saubere Luft durchzusetzen.»
dpa/lsw
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