Vorsprung durch Wissen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
09.04.2011 | 23:24 | Reaktorkatastrophe  

Ex-Tschernobyl-Direktor warnt vor neuer Katastrophe

Berlin/Kiew - Ein riesiger Betonsarg schützt die Welt vor Strahlen aus dem Katastrophenreaktor Tschernobyl. Doch die Strahlen zersetzen den Beton. Eine neue Katastrophe droht, meint der Ex-Leiter des AKW. Europaweit leiden 600 Millionen Menschen an Folgeschäden.

Atomkraftwerk
25 Jahre nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl hat der frühere Direktor des Kernkraftwerks vor einem neuen schweren Nuklearunfall an der maroden ukrainischen Anlage gewarnt. Der damals explodierte Reaktor 4 sei in einem extrem unsicheren Zustand, sagte Michail Umanez am Freitag in Kiew. Nach Angaben von Atomkritikern sind in Europa noch heute mehr als 600 Millionen Menschen gesundheitlich von der Katastrophe betroffen. In Berlin debattierte der Bundestag, welche Folgerungen aus Reaktorunglücken wie in Tschernobyl und Fukushima zu ziehen sind.

In Tschernobyl drohe jederzeit eine Kettenreaktion mit Todesgefahr, warnte der 73-jährige ehemalige Kraftwerksdirektor auf einer Greenpeace-Tagung zum Jahrestag der Katastrophe in Kiew. «Wir werden alle zu Verbrechern, wenn wir das nicht verhindern.» Der damals notdürftig errichtete Sarkophag um den Reaktor gilt als einsturzgefährdet. Experten hatten eine «Lebensdauer» bis 2016 errechnet.

«Die Gefahr, dass die Metall- und Betonkonstruktion einstürzt, erhöht sich aber mit jedem Tag, weil die Radioaktivität die Materialien zersetzt», sagte Umanez. «Es droht eine neue nukleare Wolke, die auch wieder nach Westeuropa ziehen kann.» Das bisher folgenreichste Unglück in der Geschichte der zivilen Nutzung der Atomenergie ereignete sich am 26. April 1986.

Auch Greenpeace-Experten sehen dringenden Handlungsbedarf. Unter der provisorischen Schutzhülle lagerten 190 Tonnen radioaktives Material, sagte der Atomphysiker Heinz Smital der Nachrichtenagentur dpa. «Im Fall eines Einsturzes könnten mindestens fünf Tonnen radioaktiver Staub freigesetzt werden, der beim Einatmen tödlich sein kann», sagte Smital.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin sagte am Freitag im Bundestag, ein neuer «Atom-Konsens» sei die richtige Lehre aus dem damaligen Reaktorunglück. Dazu gehörten eine endgültige Abschaltung der ältesten Atomkraftwerke sowie die Rücknahme der im Vorjahr beschlossenen Laufzeitverlängerung. Union und FDP wandten sich gegen endgültige Entscheidungen vor Ablauf des Moratoriums. So stimmte die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundestag auch gegen mehrere Anträge der Opposition für einen möglichst raschen Atomausstieg.

Am meisten an den gesundheitlichen Folgen leiden die Aufräumarbeiter von Tschernobyl, wie aus einer am Freitag in Berlin vorgestellten Veröffentlichung der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges (IPPNW) und der Gesellschaft für Strahlenschutz (GfS) hervor geht. Bis 2005 seien von 830.000 der sogenannten Liquidatoren zwischen 112.000 und 125.000 gestorben. Über 90 Prozent seien heute schwer krank. Sie litten nicht nur an Krebs, sondern auch an hirnorganischen Schäden, Bluthochdruck und Magen-Darm-Erkrankungen. IPPNW-Mitglied Angelika Claußen sprach zudem von einem «erheblichen Anstieg» von Tot- und Fehlgeburten infolge der Katastrophe.

Vor allem Kinder erkrankten durch die Ansammlung der radioaktiven Stoffe in einigen Organen an Schilddrüsenkrebs. Viele der bösartigen Tumore würden zudem erst Jahre später entdeckt. Die Organisation bezieht sich hierbei auf eine Untersuchung von 2007, in der berechnet wurde, dass durch Tschernobyl bis 2056 knapp 240.000 zusätzliche Krebsfälle in Europa auftreten werden.

Die damaligen Aufräumarbeiter von Tschernobyl forderten die internationale Gemeinschaft zur Mitfinanzierung des seit langem geplanten «Super-Sarkophags» auf. Die verarmte ehemalige Sowjetrepublik will in diesem Monat auf einer weiteren Tschernobyl-Konferenz an die Vereinten Nationen appellieren, einen Teil der erforderlichen 1,6 Milliarden Euro aufzubringen. (dpa)
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Kommentierte Artikel

 Wut und Wahlen 2024: Die zunehmend mächtige Gruppe der Nichtwähler

 NRW-OVG verhandelt Streit um ein paar Gramm Wurst zu wenig

 Ruf nach Unterstützung der Imker

 Kein kräftiger Aufschwung in Sicht - Wirtschaftsweise für Pkw-Maut

 Schutz vor Vogelfraß durch Vergrämung?

 Globale Rekord-Weizenernte erwartet

 Immer mehr Tierarten sorgen in Thüringen für Ärger

 Größere EU-Getreideernte erwartet

 Bedarf an hofeigenen KI-Wetterfröschen wächst rasant

 Was will die CDU in ihrem neuen Programm?