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05.08.2017 | 10:50 | Unwetterkatastrophe 

Jahrhundertflut von Sachsen jährt sich zum 15. Mal

Dresden - Eine einzelne Hauswand steht noch inmitten der reißenden Fluten, den Rest hat die sonst so beschauliche Müglitz mit sich gerissen.

Jahrhundertflut
In diesen Tagen jährt sich die Hochwasserkatastrophe vom August 2002. Den betroffenen Orten sind die verheerenden Tage vor 15 Jahren nicht mehr anzusehen. Was bleibt, das sind die Bilder in den Köpfen der Menschen und Hochwasserschutz-Projekte mit Milliardenkosten. (c) proplanta
Das Foto vom Haus der Familie Jäpel ist eines der vielen Bilder, die die Jahrhundertflut von 2002 im Gedächtnis sehr vieler Menschen hinterlassen hat. Stundenlang mussten die Jäpels auf der nur 36 Zentimeter breiten Mauer ausharren, bis Hilfe kam.

«Die Leute haben die Fenster geschlossen, weil sie die Schreie der Menschen auf der Mauer nicht mehr hören konnten», hatte Helmut Berthold der Deutschen Presse-Agentur im Jahr 2002, wenige Tage später, die dramatische Nacht geschildert. Der Pfarrer im Ruhestand ist inzwischen gestorben, den Wiederaufbau seines Ortes hatte er aktiv begleitet.

Jedes vierte Haus in der Gemeinde südöstlich von Dresden verschwand damals in den Fluten. Zwei Bewohner überlebten das Hochwasser nicht. Insgesamt gab es in Sachsen 21 Tote durch die Flut.

Vier Millionen Deutsche waren in den dramatischen zwei Wochen bis Ende August unmittelbar von Hochwasser betroffen, vor allem an Elbe und Donau, aber auch an vielen kleineren Flussläufen und Bächen.

Hunderttausende mussten Haus und Hof zeitweise verlassen. Die Schäden in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Bayern, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein summierten sich am Ende des damaligen Sommers auf 9,2 Milliarden Euro.

Statt eines kühlenden Sommergewitters nach einem heißen Tag lud Tief «Ilse» am 11. August 2002 bis dato undenkbare Wassermassen über dem Erzgebirge ab. Kleine Bäche schwollen zu reißenden Strömen an, schnitten einige Orte binnen Stunden von der Außenwelt ab. In Dresden flutete in der Nacht zum 13. August die Weißeritz den Hauptbahnhof, später setzte auch die Elbe die historische Altstadt unter Wasser - auch diese Bilder gingen um die Welt.

Passau und Regensburg wurden von einer Flutwelle der Donau überrollt, in Österreich und Tschechien versanken ganze Landstriche in den Wassermassen. In Sachsen-Anhalt überschwemmte die Mulde erste Orte. In Sachsen hieß es im Handumdrehen Land unter in Grimma, Meißen oder Döbeln.

Überall spielten sich dramatische Szenen ab: Mit Hubschraubern, Schlauchbooten oder Schaufelradladern holten die Rettungskräfte eingeschlossene Menschen aus ihren Häusern.

In Dresden wurde die Rekordmarke von 8,77 Metern aus dem Jahr 1845 für den Wasserstand der Elbe mit 9,40 Metern deutlich überboten - normal sind zwei Meter. Zeitgleich verschärfte sich die Situation in Bitterfeld, Dessau und rund um Lutherstadt Wittenberg.

Ein ganzes Land blickte angespannt auf die Elbe und ihre Zuflüsse. Immer wieder gaben Deiche nach, brachen Dämme. Um dem Hochwasser die Stirn zu bieten, schaufelten Zehntausende Soldaten, Rettungskräfte und Freiwillige bis zum Umfallen Sand in Säcke, um die aufgeweichten Deiche zu halten.

Am 19. August erreichte die Flutwelle der Elbe Norddeutschland. Gezielte Deichsprengungen wandten die Gefahr weiterer Überflutungen ab, so im Falle des Weltkulturerbes Wörlitzer Park bei Dessau. Vor allem aus der Luft bot sich in jenen Augusttagen ein bedrückendes Bild: Weite Teile des Landes bildeten eine braune Seenlandschaft.

Gleichzeitig zeigten sich die Deutschen großzügig wie nie: Allein bei den großen Hilfsorganisationen gingen fast 180 Millionen Euro an Spenden ein. Die Jahrhundertflut schrieb zudem unzählige Geschichten gelebter Solidarität.

Auch für die Bundestagswahl 2002 waren die Ereignisse wohl von Bedeutung. Mit Gummistiefeln an den Füßen machte sich Kanzler Gerhard Schröder (SPD) vor Ort ein Bild von den Verwüstungen, die das Hochwasser angerichtet hatte.

Nach Einschätzung von Wahlforschern brachte sein Katastrophenmanagement die entscheidende Wähler-Mobilisierung für seine Wiederwahl im September.

Nach vierzehn Tagen wurde am 28. August schließlich in den letzten Gebieten der Katastrophenalarm aufgehoben. Es begann das große Aufräumen und ein Umdenken in puncto Vorbeugung. Allein in Sachsen wurden seit 2002 rund 2,6 Milliarden Euro in den Hochwasserschutz und die Schadenbeseitigung an Gewässern investiert. In den kommenden Jahren sind dafür weitere 630 Millionen Euro vorgesehen.

Eine der bereits fertigen Maßnahmen ist eine 2,3 Kilometer lange Hochwasserschutzmauer in Wilkau-Haßlau. Die kleine Stadt bei Zwickau traf das Hochwasser nicht nur 2002, sondern auch 2013. Während die Seite mit bereits fertiger Mauer trocken blieb, standen die Häuser links der Brücke über die Zwickauer Mulde erneut unter Wasser. Der Grund: Einige Grundstückseigentümer hatten zunächst ihre Zustimmung zur Schutzmauer verweigert. «Das Projekt verzögerte sich dadurch um etwa zwei Jahre, 2013 sollte die Mauer eigentlich fertig sein», sagt Gerd Zobel von der Landtalsperrenverwaltung.

«Das Hochwasser von 2013 hat dann auch die letzten bekehrt, jetzt schützt die Mauer den ganzen Ort», ergänzt Werner Schwieder von der Freiwilligen Feuerwehr. In 40 Jahren als Feuerwehrmann habe er viele Hochwasser erlebt - und die Reaktionen der Menschen in der Folgezeit. «Der Schrecken hält nur ein, zwei Jahre an, dann vergessen die Leute gern, wie schlimm das Hochwasser war.» Und störten sich an der Mauer im Garten.
dpa
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