Vorsprung durch Wissen
Das Informationszentrum für die Landwirtschaft
06.01.2009 | 19:42 | Braunbärpopulation im Alpenraum  

Vormarsch mit Hindernissen: WWF will Braunbären im ganzen Alpenraum

Gusswerk/Masun - Der 19-jährige Djuro nähert sich vorsichtig dem Objekt seiner Begierde.

Braunbär
(c) proplanta
Mehrere Kilometer schon ist der riesige Braunbär bereits dem unwiderstehlichen Geruch nach leckerem Fressen gefolgt, das Menschen dort an einer hohen Fichte für ihn aufgehängt haben. Djuro sieht nicht den Stacheldraht, der 50 Zentimeter über dem Boden rund um den Köder gespannt ist. Ein paar Haare seines Fells bleiben an dem Draht hängen, doch das kümmert den hungrigen Bären nicht. Mit einem gewaltigen Satz holt er sich den Eimer und verzehrt seine Beute. Dass eine Kamera seine Aktion festgehalten hat, stört Djuro nicht.

«Wir haben zum Glück wieder mehrere Beweise, dass Djuro noch am Leben ist», erzählt Georg Rauer (51), Wildbiologe an der Uni Wien. Djuro ist einer der Urväter des österreichischen Bärenprojekts der Tierschutzorganisation WWF und der vorletzte verbliebene Bär des vor fast 30 Jahren begonnen Wiederansiedlungsprojekts des WWF für «Ursus Arctos», den europäischen Braunbären.

Etwa 30 der kraftvollen Tiere hat das österreichische Bären- Projekt in den vergangenen Jahrzehnten hervorgebracht. Allein hier im Gebiet um den 1893 Meter hohen Ötscher-Berg streunten in den vergangenen Jahren bis zu zehn dieser größten Raubtiere Europas herum. Doch bis auf Djuro und seinen Sohn Moritz, der sich überwiegend im Salzkammergut herumtreibt, sind alle anderen Tiere inzwischen verschwunden. Elsa, das letzte Weibchen, wird seit dem vergangenen Jahr vermisst.

«Wenn Djuro und Moritz nicht bald ein Weibchen finden, wird der Bär hier schon bald zum zweiten Mal aussterben», warnt Christoph Walder (40), Chef des WWF-Bärenprojekts in der Alpenrepublik. Ein peinlicher Rückschlag für das ehrgeizige WWF-Projekt, aber ein noch größerer für das von der EU geförderte Artenschutzprogramm. Lediglich im Süden Kärntens, im Grenzgebiet zu Slowenien, halten sich immer wieder Braunbären auf. Experten sprechen von einem halben Dutzend.

Doch Österreichs Bärenschützer wollen nicht aufgeben. Im Gegenteil: Mit einem noch ehrgeizigeren Plan soll das gewaltige Tier, das in Österreich vor rund 150 Jahren zum ersten Mal ausgestorben war, dauerhaft wiederangesiedelt werden. Die Fehler des ersten Ansiedelungsprogramms will man künftig vermeiden. «Wir haben dieses Mal unsere Hausaufgaben gemacht», betont Walder.

Der Plan erscheint einfach: Innerhalb von drei Jahren wollen die Naturschützer in den traditionellen Gebieten der Alpenrepublik 10 Bären aussetzen. In wenigen Jahren - das hat ein ähnliches Projekt im italienischen Trentino bewiesen - könnte dann der Bestand auf 30 oder mehr Tiere wachsen. Dort, im Adamello-Nationalpark hat sich die Bärenpopulation von ursprünglich zehn seit 1999 verdreifacht. «Wenn ein Bestand erst einmal so groß ist, dann kann ihn auch der gelegentliche Verlust eines Tieres nicht mehr gefährden».

In den 90er Jahren hatte der WWF es zunächst mit drei Tieren versucht. Zu wenige, wie das gescheiterte Experiment beweist. Die Stammeltern für die neue Bärenpopulation sollen aus dem Nachbarland Slowenien kommen, wo heute bis zu 500 Braunbären vor allem in den südlichen Waldgebieten leben. Der slowenische Ursus Arctos gilt genetisch als der Urvater des alpenländischen Braunbären. Schon die Tier für das erste WWF-Programm stammten von dort.

Doch zurzeit stoßen die Bärenplaner in der Alpenrepublik auf den Widerstand fast aller relevanten Gruppen. Zwar kann sich der WWF nach einer eigens in Auftrag gegebenen Umfrage auf die Zustimmung von mehr als Zweidritteln der Bevölkerung stützen. Doch zwei für den Erfolg überlebenswichtige Gruppen «mauern». Österreichs zig-tausendfache Jägerschaft ist derzeit ebenso strikt gegen die erneute Wiederansiedlung wie die mächtigen Bauernverbände. Und angesichts dieser massiven Front verweigert die Politik in den «Bärenländern» Niederösterreich und Steiermark ihre Zustimmung. Die Länder aber sind für die finanzielle und personelle Absicherung des Projekts und die Schadensregulierung zuständig.

Vor allem die Jäger sind sauer auf den WWF. Sie glauben, dass die Naturschützer den Waidmännern die Schuld am Misserfolg des ersten Bärenprojekts in die Schuhe schieben wollen. Tatsächlich wurden die Grünröcke in den vergangenen zwei Jahren in den Medien mehr oder weniger offen für das erneute Aussterben der Bären verantwortlich gemacht. Zwar bestreiten diese den Vorwurf heimlicher Wilderei an den Tieren, doch zumindest in einem Fall fand die Polizei einen ausgestopften Jungbären im Keller eines Waidmannes.

Die Jägervereinigung ist deshalb vehement gegen ein neues Bärenprogramm. «Ich bin immer hundertprozentig "pro Bär" gewesen. Aber inzwischen gibt es unter uns regelrechte Bärenhasser», gesteht Harald Lasinger, stellvertretender Bezirksjägermeister für das Waldgebiet. «Bevor nicht genau geklärt ist, was hier zum Verschwinden der Bären geführt hat, sind wir strikt gegen eine Neuauflage.» Dass Jäger die Tiere als Trophäen heimlich geschossen haben könnten, weist er zurück. «Diesen Vorwurf lassen wir nicht so einfach auf uns sitzen».

Das Argument, dass die rund 30 in Österreich geborenen Tiere etwa durch Lawinen, Steinschlag oder im steilen Gelände abgestürzt sein könnten, wollen wiederum die WWF-ler nicht geltenlassen. Doch auch die im ländlichen Österreich nach wie vor sehr einflussreichen Bauern haben ihren Groll auf Meister Petz. Und dies, obwohl die einzelnen Bundesländer bisher bei der Regulierung der von Bären angerichteten und alles in allem relativ geringen Schäden keine Schwierigkeiten gemacht haben. Denn natürlich sind solche Schäden auf entfernten Höfen oder unter Schafherden bei einer größeren Bärenpopulation unvermeidbar.

Ohne die Einbeziehung aller relevanten Gruppen wäre auch das nächste Bärenprojekt zum Scheitern verurteilt», weiß Bären-Chef Walder. Dass es auch anders geht, haben die Bärenprojekte im benachbarten Slowenien, aber auch im italienischen Friaul bewiesen, wo die Jäger eine wichtige Schutzfunktion übernommen haben.

«So, wie es jetzt aussieht, blockiert eine Partei die andere, und eine Einigung kommt nicht zustande, weil keiner die Verantwortung für ein erneutes Scheitern übernehmen will», fürchtet Walder. Dabei drängt die Zeit, denn wenn der Braunbär erst einmal wieder völlig ausgestorben ist, wird es umso schwerer sein, das neue Projekt zu beginnen. |«Allen ist klar, dass es bereits fünf Minuten vor Zwölf ist» mahnt deshalb Gerald Plattner von den österreichischen Bundesforsten, Österreichs größtem Landbesitzer und ungemein wichtig für das Projekt.

Dabei könnte Österreich, wie auch andere ehemalige «Bärenländer» relativ leicht wieder zu einer sicheren Heimstatt für Ursus Actos werden. «Allein vom natürlichen Lebensraum wäre hier Platz für 100 bis 300 Tiere|», glaubt Veronika Länder-Grünschachner. Die studierte Wildbiologin, die ihre Tochter Elsa nach einem der - inzwischen vermissten Bärenweibchen nannte, hat ihr Haus mitten im (einstigen) Bärengebiet. «Man muss sich halt etwas anpassen», gibt sie sich überzeugt. «im Trentino nimmt man den Bären ja auch als etwas selbstverständliches hin. Warum nicht auch bei uns.»

Christoph Walder ist überzeugt, dass es mit der Wiederansiedlung in Österreich klappen wird, wenn nur die Politiker erst einmal grünes Licht gegeben haben. «Letztlich soll die Population schnell auf 50 bis 70 Tiere ansteigen. Die könnte dann mit der slowenischen vernetzt werden.» Ziel des WWF, so der Braunbär-Experte, ist die nördlichen Kalkalpen «dünn aber flächendeckend wieder zu besiedeln».

Wie man mit dem Braunbären leben kann, beweisen Österreichs südliche Nachbarn, die Slowenen. Hier leben auf relativ kleinem Raum inzwischen bis zu 500 Tiere unter dem Schutz des slowenischen Bärenprojektes. Allein im Schutzgebiet bei Masun im Süden treiben sich sich in dem bergigen Waldgebiet zurzeit etwa 80 bis 100 Tiere herum. «Braunbären sind hier seit 1890 offiziell geschützt. Die Art ist hier nie ausgestorben», erläutert Janez Kastelic vom Umweltministerium in Ljubljana.

Die Gesetze wurden in den vergangenen Jahren immer wieder den aktuellen Notwendigkeiten angepasst. «In Slowenien waren die Menschen immer an die Präsenz der Bären gewöhnt. Für sie ist es also etwas selbstverständliches.» Mit dem Schutz und der Überwachung der Bärenpopulation sind in dem kleinen Land immerhin rund 400 Menschen hauptamtlich beschäftigt. Im Nachbarland Österreich sind es - alles zusammen gerade mal 19.

Immerhin stieg unter dieser staatlichen Obhut die Population von etwa 80 Tieren im Jahr 1940 stetig an. 1955 wurden schon 150 Bären gezählt, und 2004 waren es bereits über 400. So viele, dass die Regierung bis zu 100 Tiere zum Abschuss freigeben wollte. Unter dem empörten Druck der Naturschützer wurde die Entscheidung aufgehoben. Dass sich die Bären ständig nach Norden ausdehnt, ist den Tierschützern nur recht. «Natürlich gibt es auch hier einen Teil der Bevölkerung, der strikt gegen die Bären ist», gibt Marco Jonovic zu. Er arbeitet für die slowenische Forstbehörde, die für die Betreuung der Bären zuständig ist.

Angesichts der wachsenden Zahl der Tiere nehmen zwangsläufig auch die von den kraftvollen Tieren angerichteten Schäden zu. Vor allem mit den Bauern kommt es immer wieder zum Konflikt. Die Zahl der Schafe hat sich in dem kleinen Land seit der Unabhängigkeit von 25.000 auf 150.000 erhöht. Wenn die Tiere auf den Weiden nicht gut geschützt sind, werden sie leicht eine Beute der Bären. Dennoch denkt in Slowenien niemand daran, den Braunbären aus der Region zu vertreiben. Im Gegenteil. Slowenien hat in den vergangenen 20 Jahren Tiere nicht nur nach Österreich, sondern auch nach Frankreich und ins Nachbarland Italien zur Wiederansiedlung exportiert.

Nicht nur im Trentino, wo das vor zehn Jahren begonnene Bärenprojekt außergewöhnlich erfolgreich verlief, ist Meister Petz inzwischen fast schon heimisch. Auch in Friaul wandern immer wieder Bären aus Slowenien ein. «Nach dem offiziellen Monitoring leben hier 15 Tiere», sagt Paolo Molinari, amtlicher Bärenschützer, der die Zahl allerdings für zu hoch hält. In Italien, wo der Bär gesetzlich geschützt ist, «ist er ökologisch betrachtet, nie ausgestorben. Er hat sich lediglich zurückgezogen».

Dass auch hier also im «Projetto Urso" die Wiederansiedlung gefördert wird, ist angesichts der gemeinsamen Grenze mit dem «Bärenland Slowenien» nur natürlich. Inzwischen wird das Projekt europaweit auch von der EU gefördert. Das sei auch nötig, meint Bärenschützer Molinari: «Wenn man grenzüberschreitende Projekte nicht weiterbringt, dann machen alle Initiativen keinen Sinn.» Auf diese Einsicht hofft auch der Österreicher Walder, der zusammen mit dem WWF die Wiederansiedlung des Braunbären «im Alpenbogen von Slowenien bis Frankreich» anstrebt. Natürlich gehören zu einer panalpinen Besiedlung auch Bärenpopulationen in Österreich und in der Schweiz. Bayern, so meint er, «ist für eine eigenständige Besiedlung aber wohl zu klein». (dpa)
Kommentieren
weitere Artikel

Status:
Name / Pseudonym:
Kommentar:
Bitte Sicherheitsabfrage lösen:


  Weitere Artikel zum Thema

 WWF fordert Umschichtung bei EU-Subventionen

 Earth Hour 2024 - Licht aus für die Erde

 WWF sieht Fischer als wichtige Partner im Kampf gegen Geisternetze

 GAP-Vereinfachungen ernten scharfe Kritik von Umweltverbänden

 WWF fordert ambitioniertes Fischereiabkommen

  Kommentierte Artikel

 Bundesbeauftragte fordert Nachbesserungen bei Tierschutz in Ställen

 Geld wie Heu - Geht auf den Bauernhöfen wirklich die Post ab?

 Tote Ziegen im Schwarzwald gehen auf Rechnung eines Wolfs

 Gärtner verzweifeln über Superschnecke

 Bauerndemo in Brüssel für faire Preise

 Tierschutznovelle erntet Kritik von allen Seiten

 Online-Abstimmung über Verbrenner-Verbot manipuliert?

 Wut und Wahlen 2024: Die zunehmend mächtige Gruppe der Nichtwähler

 NRW-OVG verhandelt Streit um ein paar Gramm Wurst zu wenig

 Ruf nach Unterstützung der Imker