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30.04.2023 | 10:08 | Arzneimittelverfügbarkeit 

Europäische Kinderärzte machen Gesundheitsminister mobil

Berlin - Kinder- und Jugendärzte aus mehreren europäischen Ländern haben in einem Brief an die Gesundheitsminister ihrer Länder appelliert, gegen die Knappheit bei Kinderarzneimitteln vorzugehen.

Arzneimittel
Schon im Winter war Fiebersaft knapp. Weil nun viele Eltern in der Apotheke auch keine Antibiotikasäfte für ihre Kinder mehr bekommen, die bei lebensbedrohlichen Krankheiten helfen, schicken Kinderärzte aus mehreren europäischen Ländern einen Hilferuf an die Politik. (c) proplanta
«Die Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen ist durch den Medikamentenmangel europaweit gefährdet. Eine schnelle, zuverlässige und dauerhafte Lösung ist dringend erforderlich!», heißt es in dem am Samstag bekanntgewordenen Schreiben. Es ging nach Angaben des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) unter anderem an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Der äußerte Verständnis.

Kein Penizillin mehr

Die «Neue Osnabrücker Zeitung» (NOZ) hatte zuerst darüber berichtet. Der Brief ist vom 27. April und richtet sich an die Ministerinnen und Minister für Gesundheit in Deutschland, Frankreich, Österreich, der Schweiz und Südtirol (Italien) und ist von dortigen Kinderarztverbänden unterschrieben. Zu den Mitzeichnern gehört BVKJ-Präsident Thomas Fischbach. Es fehle an Fieber- und Schmerzmedikamenten in kindgerechter Darreichungsform. Auch das Antibiotikum Penizillin gebe es derzeit nicht, sagte er der NOZ.

Antibiotika werden zum Beispiel bei Lungenentzündungen, Harnwegsinfektionen oder Scharlach verschrieben. Steht das passende Präparat nicht zur Verfügung, muss nach Angaben des BVKJ zu einem Antibiotikum der zweiten und dritten Wahl gegriffen werden, das aber schlechter wirkt und das Risiko für sich bildende Antibiotika-Resistenzen erhöht.

Gesundheit von Kindern «nachhaltig gefährdet»

In ihrem Brief warnen die Medizinerinnen und Mediziner: «Die Engpässe der letzten Monate führen dazu, dass weder kindgerechte noch an Therapierichtlinien ausgerichtete Behandlungen möglich sind.» Die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen werde dadurch nachhaltig gefährdet. Noch vor wenigen Jahren sei dieses Szenario eines Versorgungsmangels «nicht einmal ansatzweise» vorstellbar gewesen.

Offizieller Versorgungsmangel

Der Versorgungsmangel mit Antibiotikasäften für Kinder in Deutschland ist seit Dienstag sogar offiziell: Das Bundesgesundheitsministerium hatte im Bundesanzeiger, der amtlichen Verkündungsplattform der Bundesrepublik, bekanntgemacht, dass derzeit ein solcher Versorgungsmangel bestehe. Das heißt, bestimmte Wirkstoffe sind zurzeit nicht lieferbar, wie ein Sprecher am Freitag erläutert hatte.

Mit der Bekanntmachung wurden gleichzeitig normalerweise geltende strenge Regeln für die betroffenen Arzneimittel befristet etwas gelockert. So könnten Behörden es nun etwa auch möglich machen, ein Medikament aus Spanien, das keine deutsche Verpackung hat, von Apotheken hierzulande ausgegeben zu lassen, erläuterte der Sprecher des Spitzenverbandes der gesetzlichen Krankenkassen (GKV), Florian Lanz, am Samstag.

Krankenkassen geben Pharmaindustrie Mitschuld

Die Ursachen für Lieferengpässe bei Arzneimitteln seien vielfältig, heißt es vom Bundesgesundheitsministerium. Verwiesen wird etwa auf «Engpässe bei Grundstoffen» oder auch «Produktionsprobleme». Der GKV-Spitzenverband gibt der Pharmabranche eine Mitschuld: «Es gab ein gemeinsames Vertrauen in die Pharmaindustrie, dass sie im Zweifel die Versorgung der Patientinnen und Patienten sicherstellt. Dieses Vertrauen ist mittlerweile erschüttert», sagte Lanz. Die Branche habe in der Vergangenheit Lieferketten mit Produktionsstätten im Ausland aufgebaut, die sich jetzt als instabil erwiesen.

Gesetz soll Abhilfe schaffen

Lauterbach schrieb am Samstag bei Twitter, die Sorge der Kinderärzte sei berechtigt und verwies auf ein entsprechendes Gesetz zur Bekämpfung der Engpässe, das die Bundesregierung Anfang April auf den Weg gebracht hatte. Vom Bundestag beschlossen ist es aber noch nicht.

Es soll Herstellern ermöglichen, höhere Abgabepreise für Kindermedikamente in Deutschland zu verlangen, so dass sich Lieferungen nach Deutschland mehr lohnen. Bei wichtigen Medikamenten ist auch eine Pflicht zur mehrmonatigen Lagerhaltung vorgesehen. Und bei Antibiotika sollen Hersteller, die Wirkstoffe in Europa produzieren, stärker zum Zug kommen.

In der Begründung zum Gesetz ist nachzulesen, dass bei bestimmten Arzneimitteln mit Antibiotika inzwischen mehr als 60 Prozent der Wirkstoffproduktion in Asien stattfindet, vor zwanzig Jahren seien es noch 30 Prozent gewesen.

Die Neuregelung soll Abhängigkeiten verringern und für mehr Stabilität sorgen. Der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge (CDU), kritisierte am Samstag, der Gesetzentwurf der Ampel werde nur einen Teil der Probleme lösen. «Vor allem kommt das Gesetz mit Monaten Verspätung», fügte er hinzu.

Problem reicht über Kindermedikamente hinaus

Nach Angaben der Deutschen Stiftung Patientenschutz reicht das Medikamentenproblem weit über Kinderarzneimittel hinaus. «Überall leiden chronisch kranke Menschen an der schleppenden Versorgung mit Basis-Medikamenten. Blutfettsenker, Blutdruckmittel, selbst Krebsmedikamente sind Mangelware», sagte Vorstand Eugen Brysch der dpa. Die bisherigen nationalen und europäischen Maßnahmen reichten nicht aus, um die Patientenversorgung sicherzustellen.
dpa
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