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18.06.2023 | 12:04 | Verbraucherschutz 

Werbeverbote für Lebensmittel: Fehlt die wissenschaftliche Grundlage?

Berlin - Der Entwurf für ein Kinder-Lebensmittel-Werbegesetz (KLWG) steht nach Einschätzung der Lebensmittelhersteller auf tönernen Füßen.

Ungesunde Produkte
Laut den Statistikexperten Schüller und Krämer gibt es nachweislich „keine wissenschaftliche Evidenz“ für einen Kausalzusammenhang zwischen Werbung und Übergewicht. (c) proplanta
Bestätigt sieht sich die Branche jetzt durch das Ergebnis eines Gutachtens der Statistikexperten Katharina Schüller von der STAT-UP GmbH und Prof. Walter Krämer von der Technischen Universität (TU) Dortmund, das im Auftrag des Lebensmittelverbandes Deutschland erstellt wurde. Demnach gibt es nachweislich keine wissenschaftliche Evidenz für einen Kausalzusammenhang zwischen Werbung und Übergewicht.

„In einer hitzig geführten Debatte zeigt dieses Gutachten ganz nüchtern, dass die analysierten Studien keine Belege oder Rechtfertigungen für Werbeverbote liefern“, betonte der Hauptgeschäftsführer des Lebensmittelverbandes, Christoph Minhoff, am Freitag (16.6.) in Berlin. Seit Monaten werde die Öffentlichkeit von Befürwortern eines Werbeverbots hinters Licht geführt, in dem behauptet werde, dass ihre Forderungen auf den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien beruhten.

„Diese Verbrauchertäuschung wird jetzt entlarvt“, erklärte Minhoff. Untersucht wurden dem Verband zufolge populäre Studien, die in der Debatte um Werbeverbote immer wieder von Unterstützern zitiert werden. Nicht nur, dass diese Studien methodische Schwächen aufwiesen; nicht selten interpretierten Befürworter des Werbeverbots die Ergebnisse „grob falsch und interessensgeleitet“.

Beispiele

Dabei geht es laut Lebensmittelverband zum Beispiel um die Literaturübersicht von Boyland et al. von 2016, um eine Studie vom Institute of Medicine von 2006 sowie eine Studie von Effertz von 2021. Konkret wirft der Verband unter anderem der Stiftung Kindergesundheit und Prof. Bernhard Koletzko vor, immer noch fälschlicherweise auf Grundlage der Studie vom Institute of Medicine zu argumentieren, dass Werbung kindliche Adipositas fördere.

Schüller und Krämer kommen laut dem Lebensmittelverband in ihrem Gutachten indes zu dem Fazit, dass eine wissenschaftliche Grundlage, aus der sich ein evidenzbasiertes Werbeverbot zur Gesundheitsförderung ableiten ließe, „nicht hinreichend gegeben“ ist. Alle untersuchten Studien, die im Kontext des diskutierten Verbots zitiert würden, stellten entweder keinerlei derartige Behauptungen auf, seien methodisch nicht geeignet konstruiert, um einen kausalen Zusammenhang aufzeigen zu können, oder seien inhaltlich und methodisch derart mangelhaft, dass die Aussage der Studie haltlos sei.

Langfristbeobachtung nötig

Die Studie von Effertz wird dem Lebensmittelverband zufolge stets damit zitiert, dass Kinder im Schnitt täglich 15 Werbespots für Lebensmittel mit hohem Zucker-, Fett- oder Salzgehalt sehen. Diese Anzahl an Werbespots ergebe sich allerdings nur bei ausschließlicher Betrachtung der mediennutzenden Kinder. Bezogen auf alle Kinder in Deutschland liege sie nur etwa halb so hoch. Zudem sei die zugrundeliegende Zahl der Mediennutzer vermutlich zu niedrig angesetzt, was zu einer Aufblähung des Pro-Kopf-Werbekonsums und somit zu einer starken Verzerrung führe, moniert der Verband.

Zudem nennt er als wesentliche Schwäche vieler Studien, dass sich aus ausschließlich kurzfristigen Effekten auf den Konsum keine kausalen Einflüsse auf die langfristige Wirkung von Werbung auf die Gesundheit von Kindern ableiten ließen. In dem Gutachten von Schüller und Krämer sei daher ein Kapitel ergänzt worden, in dem Kriterien für eine Studie genannt würden, die qualitativ hochwertig wäre. Dazu gehört nach Angaben des Lebensmittelverbandes etwa eine Langfristbeobachtung einer Gruppe über mindestens ein Jahr und der Einbezug anderer Risikofaktoren.

Konträre Schlüsse

Derweil legte die Verbraucherorganisation foodwatch ebenfalls ein Gutachten zu dem geplanten KLWG vor. Die in ihrem Auftrag von der Rechtsanwältin Karoline Borwieck von der Kanzlei Geulen & Klinger vorgenommene Prüfung kam zu dem Resultat, dass der Gesetzentwurf verfassungsgemäß ist. Der Schutz der Kindergesundheit sei „ein überragend wichtiger Gemeinwohlbelang“, die Einschränkungen für die Wirtschaft indes begrenzt. „Durch die Regelungen verfolgt der Gesetzgeber ein legitimes Ziel.

Die Normen sind zur Zielerreichung geeignet, erforderlich und angemessen“, zitierte foodwatch aus dem Gutachten. Die Verbraucherorganisation reagierte mit dieser Untersuchung auf ein Gutachten des Lehrstuhlinhabers für Öffentliches Recht und Europarecht der Ludwig-Maximilians-Universität München, Prof. Martin Burgi. Dieser war bei seiner im Auftrag des Lebensmittelverbandes und des Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) vorgenommenen Prüfung zu dem Schluss gekommen, dass der KLWG-Entwurf „verfassungs- und europarechtswidrig“ ist.

Zuständigkeit des Bundes „klargestellt“

Die Agrarsprecherin der Grünen im Bundestag, Renate Künast, sieht sich durch das Ergebnis des von foodwatch in Auftrag gegebenen Gutachtens bestätigt. Kinderwerbung sei ein süßer Verführer, der nachweislich dazu führe, dass Kinder mehr Zuckerbomben, Snacks und Junkfood konsumierten, sagte Künast. Das führe zu Übergewicht und anderen ernährungsbedingten Krankheiten.

„Deshalb müssen wir dringend Werbung für ungesunde Lebensmittel regulieren, um unsere Kinder zu schützen“, betonte die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin. Es sei gut, dass das von foodwatch in Auftrag gegebene Rechtsgutachten die Zuständigkeit des Bundes bei den anstehenden Regulierungen „noch einmal klarstellt“.
AgE
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