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27.02.2024 | 15:10 | Naturwiederherstellungsgesetz 
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EU-Parlament stimmt für umstrittenes Naturschutzgesetz

Straßburg - In der Europäischen Union sollen künftig mehr Bäume gepflanzt sowie Moore und Flüsse in ihren natürlichen Zustand zurückversetzt werden. Eine Mehrheit der Abgeordneten im EU-Parlament stimmte am Dienstag für ein entsprechendes Naturschutzgesetz, wie das Parlament mitteilte.

Naturschutzgesetz
Ein umstrittenes EU-Naturschutzgesetz hat die vermutlich entscheidende Hürde genommen. Christdemokraten konnten viele Änderungen durchsetzen, stimmten am Ende aber mehrheitlich gegen das Gesetz. (c) proplanta
So solle sich die Natur in der EU erholen, denn mehr als 80 Prozent der Lebensräume in Europa seien in einem schlechten Zustand. Die EU-Staaten müssen dem Vorhaben auch noch zustimmen, das gilt aber als sehr wahrscheinlich. Die Mehrheit kam vor allem durch die Stimmen der Sozialdemokraten, Grünen, Teilen der Liberalen und der Linken zusammen.

Dem Gesetz war ein heftiger Streit vorausgegangen, unter anderem weil strenge Auflagen für Landwirte befürchtet wurden. Vor allem die Christdemokraten waren gegen das Vorhaben Sturm gelaufen und versuchten, es komplett auf Eis zu legen. Nachdem sie zahlreiche ihrer Forderungen in Verhandlungen durchsetzen konnten, sahen einzelne Christdemokraten das Vorhaben durchaus positiv. Der Klimapolitiker Peter Liese (CDU) teilte etwa mit, dass praktisch alle Sorgen der Landwirte, Forstbesitzer, Kommunen im ländlichen Raum und der Vertreter erneuerbarer Energien beseitigt seien.

Der Fraktionsvorsitzende der Christdemokraten im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), kritisierte am Dienstag, dass durch das Gesetz zusätzliche Vorschriften für Landwirte eingeführt würden. Die Mehrheit seiner Abgeordneten lehnte das Gesetz ab. Der Deutsche Bauernverband sieht darin eine schwere Bürde für das Verhältnis zwischen Naturschutz und Landwirtschaft. Der Verband kritisiert, dass es weitreichende Vorgaben und pauschale Ziele für die Mitgliedsstaaten gebe.

Bundesumweltministerin Steffi Lemke zeigte sich erfreut. «Das ist eine großartige Nachricht», sagte sie mit Blick auf die Zustimmung des Parlaments. Alle seien auf intakte und gesunde Ökosysteme angewiesen, so die Grünen-Politikerin. Die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhard bezeichnete das Gesetz als größte Errungenschaft im Hinblick auf Naturschutz in der EU seit Jahrzehnten.

Konkret sollen durch das neue Gesetz bis 2030 unter anderem für mindestens 20 Prozent der Land- und Seeflächen Europas Maßnahmen ergriffen werden, um Ökosysteme wieder ihren natürlichen Zuständen näherzubringen. Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten mindestens 25.000 Kilometer Flüsse in frei fließende Flüsse umwandeln. Das heißt, dass Flüsse, die derzeit etwa begradigt oder durch Bauwerke unterbrochen sind, wieder in ihren ursprünglichen Zustand versetzt werden müssen.

In Notsituationen kann die Renaturierung bei landwirtschaftlichen Ökosystemen aber ausgesetzt werden. Das wäre der Fall, wenn zum Beispiel die Ernährungssicherheit gefährdet wäre, weil nicht genug Anbauflächen zur Verfügung stehen.

Renaturierung von 20 Prozent aller Land- und Meeresflächen der EU – auch in Baden-Württemberg sollen Naturflächen wiederhergestellt werden

• EU-Staaten müssen bis 2030 mindestens 30 Prozent, bis 2040 60 Prozent und bis 2050 90 Prozent der Lebensräume in schlechtem Zustand wiederherstellen
• Über 80 Prozent der Lebensräume in der EU sind in schlechtem Zustand
• Auch geschädigte Flächen in Baden-Württemberg sollen in einen guten Zustand versetzt werden
• Bestimmungen für landwirtschaftliche Ökosysteme unter außergewöhnlichen Umständen vorübergehend aussetzbar

Nach dem neuen Renaturierungsgesetz sollen bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen der EU und bis 2050 alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme wiederhergestellt werden. Davon soll auch Baden-Württemberg profitieren.
Das EU-Renaturierungsgesetz, auf das sich Europäisches Parlament und Rat geeinigt haben, sorgt für die Wiederherstellung geschädigter Ökosysteme in allen Mitgliedstaaten. Es trägt zur Verwirklichung der Klima- und Artenschutzziele der EU bei und sorgt für mehr Ernährungssicherheit.

Die Mitgliedstaaten müssen bis 2030 mindestens 30 Prozent der Lebensräume, für die die neuen Vorschriften gelten (von Wäldern, Grünland und Feuchtgebieten bis hin zu Flüssen, Seen und Korallenriffen) von schlechtem in guten Zustand versetzen; bis 2040 sollen es 60 Prozent sein, bis 2050 sogar 90 Prozent.

Im Einklang mit dem Standpunkt des Parlaments haben die EU-Staaten bis 2030 den Schwerpunkt auf Natura-2000-Gebiete zu legen. Sobald ein Gebiet wieder in gutem Zustand ist, müssen die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass es zu keiner wesentlichen Verschlechterung kommt. Sie müssen außerdem nationale Sanierungspläne erstellen, in denen sie angeben, wie sie diese Ziele erreichen wollen.

Landwirtschaftliche Ökosysteme

Um für mehr Artenvielfalt in landwirtschaftlichen Ökosystemen zu sorgen, müssen die EU-Staaten bei zwei der folgenden drei Indikatoren Fortschritte erzielen: beim Index der Wiesenschmetterlinge, beim Anteil der landwirtschaftlichen Flächen mit Landschaftselementen mit großer biologischer Vielfalt und beim Bestand an organischem Kohlenstoff in mineralischen Ackerböden. Außerdem müssen sie auf einen höheren Feldvogelindex hinwirken, da sich am Vogelbestand gut ablesen lässt, wie es insgesamt um die Artenvielfalt bestellt ist.

Die Renaturierung entwässerter Torfgebiete ist eine der kostenwirksamsten Möglichkeiten, die Emissionen im Agrarbereich zu verringern. Die EU-Staaten müssen deshalb mindestens 30 Prozent der entwässerten Torfgebiete bis 2030 wiederherstellen (mindestens ein Viertel muss wiedervernässt werden), bis 2040 sollen es 40 Prozent, bis 2050 50 Prozent sein (wobei mindestens ein Drittel wiedervernässt werden muss). Die Wiedervernässung bleibt für Landwirte und private Grundbesitzer freiwillig.

Wie vom Parlament gefordert, ist in dem Gesetz eine Notbremse vorgesehen. Das heißt, dass die Zielvorgaben für landwirtschaftliche Ökosysteme unter außergewöhnlichen Umständen ausgesetzt werden können, wenn dadurch die Fläche stark verringert würde, die nötig ist, um genug Lebensmittel für die Verbraucherinnen und Verbraucher in der EU zu erzeugen.

Entwicklung von Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwert in Deutschland

In Deutschland hat die Intensivierung der Landwirtschaft nach Angaben des Bundesamts für Naturschutz (BnF) dazu geführt, dass Flächen mit vielfältiger und extensiver Nutzung zurückgegangen sind. Solche Flächen verfügen in der Regel über eine höhere Artenvielfalt und bieten auch seltenen Tier- und Pflanzenarten einen Lebensraum. Daher sind naturnahe Landschaftselemente sowie extensiv genutzte Flächen in der Agrarlandschaft für den Schutz und Erhalt der biologischen Vielfalt von zentraler Bedeutung. Als sogenannte Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwert gelten unter anderem artenreiches Magergrünland, extensiv bewirtschaftete Äcker oder Weinberge sowie Brachen. Landschaftselemente wie Gräben, Feldgehölze oder Trockenmauern werden ebenfalls dazugezählt.

In Deutschland lag der Anteil solcher Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwert an der gesamten Landwirtschaftsfläche der Länderinitiative Kernindikatoren (LiKi) zufolge 2022 bei 13,4 Prozent. Seit 2012 war dies ein Anstieg um 0,3 Prozentpunkte (2012: 13,1 Prozent). Die LiKi ist eine Arbeitsgemeinschaft von Umweltfachbehörden, die die Kompetenzen der Länder und des Bundes für die Entwicklung, Pflege und Dokumentation von gemeinsamen umweltspezifischen Nachhaltigkeitsindikatoren bündelt.

Eine positive Entwicklung wurde für diesen Zeitraum in Baden-Württemberg verzeichnet, wo der Anteil binnen zehn Jahren von 16,9 Prozent auf 19,3 Prozent anstieg. Im Vergleich zum Vorjahr stagnierte der Wert allerdings (2021: 19,3 Prozent). Größer wurde der Anteil der Landwirtschaftsflächen mit hohem Naturwert an der gesamten Landwirtschaftsfläche zwischen 2021 und 2022 lediglich in den Bundesländern Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Andere Ökosysteme

Gefordert wird in den Vorschriften auch ein Aufwärtstrend bei mehreren Indikatoren für Waldökosysteme und die Pflanzung von drei Milliarden zusätzlichen Bäumen. Die Mitgliedstaaten müssen außerdem mindestens 25 000 Flusskilometer so renaturieren, dass die Flüsse an diesen Stellen wieder frei fließen, und dafür sorgen, dass die Gesamtfläche der städtischen Grünflächen und der städtischen Baumüberschirmung nicht schrumpft.

Zitat
Berichterstatter César Luena (S&D, Spanien) erklärte nach der Abstimmung: „Heute ist ein wichtiger Tag für Europa, denn wir gehen vom Schutz und der Erhaltung der Natur zu ihrer Wiederherstellung über. Das neue Gesetz trägt auch dazu bei, dass wir viele unserer internationalen Umweltverpflichtungen erfüllen können. Die Verordnung sorgt dafür, dass geschädigte Ökosysteme wiedergeherstellt werden, sie trägt aber auch den Belangen der Landwirtschaft Rechnung, indem den Mitgliedstaaten Flexibilität eingeräumt wird. Ich danke der Wissenschaft für ihre Erkenntnisse und dafür, dass sie gegen die Leugnung des Klimawandels ankämpft. Der Jugend danke ich dafür, dass sie uns daran erinnert, dass es weder einen Planeten B noch einen Plan B gibt.“

Nächste Schritte
Die mit den Mitgliedstaaten erzielte Vereinbarung wurde mit 329 zu 275 Stimmen bei 24 Enthaltungen angenommen.
Sie muss nun auch vom Rat angenommen werden, bevor sie im Amtsblatt der EU veröffentlicht wird und 20 Tage darauf in Kraft tritt.

Hintergrundinformationen
Über 80 Prozent der europäischen Lebensräume sind in schlechtem Zustand. Die Kommission schlug am 22. Juni 2022 eine Verordnung über die Wiederherstellung der Natur vor, um zur langfristigen Wiederherstellung geschädigter Land- und Meeresgebiete der EU beizutragen, die Klima- und Artenschutzziele der EU zu erreichen und die internationalen Verpflichtungen der EU einzuhalten, insbesondere den globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal der Vereinten Nationen. Nach Berechnungen der Kommission bringen die neuen Vorschriften erhebliche wirtschaftliche Vorteile mit sich, da jeder investierte Euro einen Nutzen von mindestens acht Euro ergibt.
Mit diesen Vorschriften wird den Erwartungen der Bevölkerung in Bezug auf den Schutz und die Wiederherstellung der Artenvielfalt, der Landschaft und der Meere entsprochen, die in den Vorschlägen 2(1), 2(3), 2(4) und 2(5) der Schlussfolgerungen der Konferenz zur Zukunft Europas zum Ausdruck kommen.

Quelle: Europäisches Palament
dpa
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Kommentare 
maximilian schrieb am 29.02.2024 15:59 Uhrzustimmen(11) widersprechen(7)
Warum agricola, soll ich das Essen einstellen, wenn ich mich für eine intakte, artenreiche Natur einsetze. Ich kann hier keinen Gegensatz erkennen.
Für unsere Ernährung ist eine Ausbeutung der Natur erlässlich.
maximilian schrieb am 28.02.2024 17:07 Uhrzustimmen(14) widersprechen(21)
Das sture Festhalten an der Ausbeutung der Natur macht die Bauern zu Paria unserer Gesellschaft. Die Lebensmittelversorgungssicherheit in Deutschland und in Europa lässt sich auch in einer gesunden, intakten Umwelt aufrechterhalten. Wir schaffen das auch mit weniger hochsubventionierten Landwirten.
agricola pro agricolas schrieb am 28.02.2024 14:39 Uhrzustimmen(16) widersprechen(18)
Oh mein Gott, MAXImilian, stellen Sie sofort das Essen ein!!!
maximilian schrieb am 27.02.2024 21:41 Uhrzustimmen(12) widersprechen(24)
Heute ist ein guter Tag für unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Die Vernunft der Mehrheit der EU-Parlamentsabgeordneten hat der grenzenlosen Gier der Agrarindustrie einen Riegel vorgeschoben.
Wir haben nur diesen einen Planeten. Wir dürfen ihn nicht den Agrariern zu Fraße vorwerfen.
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